In geheimen Diensten

Ein Niederländer wird verdächtigt, dem Irak die Produktion von Giftgas ermöglicht zu haben. Der niederländische Nachrichtendienst soll ihn jahrelang protegiert haben. von udo van lengen, amsterdam

Er könnte der erste Niederländer sein, der wegen Beihilfe zum Völkermord verurteilt wird. Seit Dezember 2004 sitzt Frans van Anraat in Untersuchungshaft, weil er Rohstoffe in den Irak geliefert haben soll, die zur Herstellung von Giftgas dienen können. Der Prozess gegen ihn soll im November in Rotterdam stattfinden. Dann wird der niederländische Nachrichtendienst AIVD streng geheime Details darüber bekannt geben müssen, inwieweit er van Anraat in den vergangenen Jahren vor internationaler Strafverfolgung geschützt hat.

Vermutet wird, dass der AIVD und das niederländische Innenministerium van Anraat jahrelang protegiert haben, weil er enge Verbindungen zur irakischen Regierung von Saddam Hussein unterhielt. Er soll dem AIVD seit den neunziger Jahren als Informant gedient haben. Eine Untersuchung der Regierung soll die Vorwürfe klären.

Anfang der siebziger Jahre verließ van Anraat die Niederlande, um als Ingenieur bei verschiedenen Firmen zu arbeiten, die im Irak chemische Fabriken aufbauten. Als der Irak in den Krieg gegen den Iran zog, erregte der Niederländer die Aufmerksamkeit von Saddam Hussein. Er sollte für ihn Giftgaszutaten ins Land schleusen. Van Anraat hatte mittlerweile in Panama einen eigenen Betrieb gegründet. Die niederländische Justiz glaubt, dass diese Firma chemische Stoffe wie Thiodiglycol (TDG) in den Irak lieferte.

TDG wird in Kugelschreibertinte verwendet und in der Textilindustrie. Aber bekannt ist es vor allem als Bestandteil von Senf- und anderen Nervengasen. Im Auftrag des irakischen Erdölministeriums kaufte van Anraat zwischen 1984 und 1989 mehrere tausend Tonnen TDG und liefert es über Japan und die USA an den Irak, der selber kein TDG auf dem Weltmarkt erwerben konnte. Mehrere iranische Grenzstädte sowie kurdische Siedlungen im Norden des Iraks wurden danach mit Nervengasen eingenebelt. Im kurdischen Halabja starben 1988 daran rund 5 000 Menschen. Danach stellten die amerikanischen Behörden einen internationalen Haftbefehl aus. Ein Jahr später wurde van Anraat in Mailand verhaftet. Aber er konnte fliehen, als er vorübergehend auf freien Fuß kam. »Aus Sicherheitsgründen«, so stellt es van Anraat dar, ging er in den Irak. Dort blieb er bis 2003.

Noch bevor amerikanische Soldaten ihn dort verhaften konnten, verließ er Bagdad mit einem Notpass. Den hatte die niederländische Botschaft in Bagdad ausgestellt, der AIVD diente wahrscheinlich als Vermittler. Über Syrien in den Niederlanden angekommen, wohnte van Anraat in einem Haus, dass der Nachrichtendienst angemietet hat. Auch ein Telefon hat er über diese Quelle erhalten. Der AIVD beruhigte den Flüchtigen. Ihm drohe keine Strafverfolgung, weil seine Verbrechen verjährt seien. Er erlaubte ihm auch, seine Geschichte ganz offen im Fernsehen zu erzählen. Doch nachdem die Rotterdamer Staatsanwaltschaft einen ranghohen Mitarbeiter des irakischen Erdölministeriums verhört hatte, gab es neue Beweise. Die Staatsanwaltschaft veranlasste, das Telefon, das van Anraat benutzte, abzuhören und nahm ihn im Dezember 2004 fest. Die Verhaftung, die einen Tag früher als geplant stattfand, traf ihn nicht unvorbereitet. Er saß regelrecht auf gepackten Koffern.

Ob der AIVD ihn – vergebens – warnte und ihm riet, erneut zu fliehen, soll nun der Prozess im November klären. Weder der für den AIVD verantwortliche Innenminister noch der Justizminister mochte die vielen Merkwürdigkeiten erklären. »Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, so lange muss sich die Öffentlichkeit gedulden.«