Ich darf nicht langweilen

Witziger als die Kollegen: Der Konzeptkünstler John Baldessari in Wien und Graz. von jens kastner

Das Verfahren scheint zunächst etwas kompliziert: Der Künstler fotografiert menschliche Hände, die auf Dinge zeigen, die für die jeweilige Person bedeutsam sind. Dann legt er die Fotos so genannten Sonntagsmalern vor, also Hobbymalern, die sich ein Bild aussuchen sollen, um es möglichst naturgetreu abzumalen. Sie tun dies in dem Wissen, dass es irgendwie um Kunst geht. Die fertigen Bilder wiederum, klassisch in Öl auf Leinwand, werden zu einem Schildermaler gebracht. Dieser untertitelt das Gemälde mit der Zeile: »Ein Bild von …« und fügt den Namen des Hobbymalers hinzu. Im Auftrag des Konzeptkünstlers John Baldessari entstand so 1969 eine Serie von 14 Bildern, die derzeit im Wiener Museum für Moderne Kunst (Mumok) zu sehen sind. Verfahrensfragen sind für die konzeptuelle Kunst, zu deren Pionieren Baldessari zählt, von zentraler Bedeutung. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich Strukturen aufzeigen, die die autonome, für sich selbst stehende Position des Kunstwerks demontieren.

Die Fingerzeige der Serie deuten in verschiedene Richtungen: Dass die Malerei dem Genius des Künstlers entspringt, wird ebenso infrage gestellt wie das in der Renaissance erkämpfte Recht des Künstlers, sein Werk zu signieren.

Die Mechanismen aufzuzeigen, die der Museumskontext produziert, war für Baldessari sicherlich eine letzte Möglichkeit, die Malerei überhaupt als Medium zu nutzen. Ein Jahr später, 1970, verbrannte er in einer etwas pathetischen Aktion namens »Cremation Project« die meisten seiner bis 1966 entstandenen Bilder. Auch wenn fortan die damals längst noch nicht zur Kunst geadelte Fotografie und die Medienkunst im Zentrum seines Schaffens standen und Baldessari lapidar notierte: »Ein Notizbucheintrag über die Malerei sollte also die Malerei ersetzen« – ein paar Leinwandbilder von ihm gibt es auch noch aus den Siebzigern. Eins zeigt eine Schultafel, auf der immer wieder der Satz wiederholt wird: »Ich will keine langweilige Kunst mehr machen.« Diesem Vorsatz, das beweist die Ausstellung, ist er treu geblieben. Anders als die Werke der anderen frühen Konzeptkünstler wie Sol LeWitt oder Hanne Darboven ist das Werk Baldessaris nicht nur ein Ausbund guter Ideen und strenger Planung. Es ist außerdem auch ziemlich lustig.

Das Mumok in Wien hat ganze Arbeit geleistet und ein paar Bilder aufgetrieben, die der Verbrennung entgangen sind. Diese frühen Arbeiten deuten bereits auf Themen hin, die später wesentlich für Baldessaris Schaffen wurden: die Produktion von Sinn und Bedeutung und die definitorische Macht der Bilder. Der vergrößerte Ausschnitt der Rückseite eines Lastwagens beispielsweise wirkt wie eine Comic-Adaption der Pop Art. Zusammen mit der Serie von Fotos, auf denen aus dem Auto fotografierte Trucks von hinten zu sehen sind, erweist er sich als Auseinandersetzung mit Form, Format und mit der Aussage des Bildes – der Lastwagen als fahrender Werbeträger.

Die Ausstellung formuliert damit die These, dass es hinsichtlich der verwendeten Medien und verhandelten Themen keinen radikalen Bruch zwischen den frühen Malereien Baldessaris und seinen späteren Foto- und Videoarbeiten gibt. Bereits seine Malerei integriert Aspekte konzeptueller Kunst, so wie sich umgekehrt seine konzeptuellen Arbeiten nicht von den klassischen gestalterischen Fragen nach Farbe, Licht und Komposition verabschiedet haben.

Parallel zu der Retrospektive des Wiener Mumok zeigt das Kunsthaus Graz die Ausstellung »John Baldessari – Life’s Balance. Werke 84–04«. Die dort präsentierten Werke aus den Jahren 1984 bis 2004 sind zwar eher psychoanalytisch als sprachtheoretisch inspiriert. Dennoch zeigt sich, wie sehr die Arbeiten ineinander verzahnt sind. Sprachliche wie malerische Elemente finden sich in allen Phasen, und auch die verwendeten Medien dienen zu keiner Zeit ausschließlich als Botschaft. Neben Fotos, die Baldessari aufgenommen hat, arbeitet er mit Filmstills, Zeitungsausschnitten, Werbeanzeigen oder Postkarten.

Apropos Komposition: Die Unordnungen oder Ordnungen, die sich ergeben, wenn vier Bälle in die Luft geworfen werden oder wenn das Rad eines Fahrrads vor die Kamera gerollt wird – beides in Fotoserien von Baldessari getestet – , sind nicht nur bildimmanente. Marcel Duchamp hatte 1913 ein Rad auf einen Hocker geschraubt und als Readymade ins Museum gestellt. Was Kunst ist und was nicht, so viel war nun klar, richtet sich nicht nach objektiven ästhetischen Kriterien, sondern ist eine Sache der Definition und der gesellschaftlichen Vereinbarung. In diese künstlerische Tradition der ironischen Infragestellung stellt sich auch Baldessari. Hatte Duchamp behauptet, das Rad nur aus Zeitvertreib auf den Schemel montiert zu haben, so erläutert Baldessari die kompositorischen Reihen als Ergebnis einer Anti-Haltung: Von einer Galerie beauftragt, einen bestimmten Ort zu fotografieren, animierte er seine Kollegen, dort stattdessen einen von ihm geworfenen Ball genau in der Mitte des Fotos zu fixieren. Und zwar, wie er schreibt, um sie davon abzuhalten, »schöne Fotos« zu machen.

Andererseits sind seine Serien auch nicht gerade frei von Didaktik. Sie machen aufmerksam, deuten auf etwas hin, verweisen auf Dinge – auch mit Pfeilen oder eben Fingerzeigen. Ausschnitte aus B-Movies zum Beispiel, die entlang der Blickrichtung der abgebildeten Schauspieler an die Wand gehängt sind, führen exemplarisch vor, wie das Bild selbst den Blick des Betrachters lenkt. Überklebte Porträts lassen den Blick abschweifen und Nebensächliches entdecken. Eine Methode, die durch Verdecken aufdeckt. Zur Veranschaulichung der Lücken und Brüche in Ordnungs- und Kommunikationsprozessen greift Baldessari auf popkulturelle Schnipsel oder alltägliche Gesten zurück. Nicht zuletzt darin äußert sich das Interesse des 1931 geborenen Künstlers, der als Professor an der University of California in Los Angeles tätig ist, seine Inhalte auch zu vermitteln. Die gewisse Sperrigkeit, die der Konzeptkunst in der Regel sonst zu eigen ist, ist jedenfalls nicht das hervorstechendste Merkmal der Arbeiten des Kaliforniers.

»John Baldessari. A Different Kind of Order (Arbeiten 1962–1984)«. Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig, Wien. »John Baldessari. Life’s Balance. Werke 84–04«, Kunsthaus Graz. Bis 3. Juli