Alles Pocher

Jedes Land bekommt die Komiker, die es verdient. Deutschland hat Oliver Pocher. von markus ströhlein

Einen kurzen Moment lang bestand Hoffnung. Als Oliver Pocher im Oktober 2004 bei einer Hörspiel-Performance des Berliner Senders Radio Fritz mitwirkte, stürmte plötzlich ein bewaffneter Mann das Studio. Vor den entsetzten Studiogästen feuerte der Attentäter zwei Schüsse auf Pocher ab, der getroffen zu Boden sank. Die Auflösung des mysteriösen Zwischenfalls war ernüchternd. Der Schütze war ein Schauspieler, die Szene Teil der Inszenierung und Oliver Pochers vermeintliches Ableben, wie hätte es anders sein können, ein Gag. Schließlich ist Oliver Pocher Spiegel-Online zufolge »TV-Spaßmacher«, »TV-Witzbold« oder, folgt man der Humorinstitution NDR, »Comedy-Star«. Oft wird er als »Comedian« bezeichnet. Das trifft zu. Denn Comedians sind Menschen mit hoher Wort- und niedriger Witzfrequenz, die sich bei den Privatsendern gegenseitig auf die Füße treten. Pocher ist einer von ihnen. Und er hat Zukunft.

»Der wird noch ein ganz Großer.« Das Orakel für Oliver Pochers Karriereverlauf kam aus berufenem Mund. Rudi Carrell, glücklicherweise schon Humorarbeiter in Rente, zollte Pocher im Rahmen der Verleihung des Deutschen Comedypreises 2004 Tribut. Auch andere sind angetan. Für Harald Schmidt und Otto Waalkes ist er das größte deutsche Showtalent. Seine Fernsehshow »Rent a Pocher« war 2004 beim Deutschen Fernsehpreis in der Rubrik »Beste Comedy« nominiert, beim Deutschen Comedypreis in der Rubrik »Beste Comedyshow«. Pocher selbst ging beim Fernsehpreis in der Rubrik »Beste Moderation« ins Rennen. A star is born. Kein schwarzes Loch ist in Sicht, das ihn verschlucken könnte.

Geboren wurde der Mann 1978 in Hannover, in einer ganz anderen Welt als der des Show-Business. Seine Eltern waren und sind Mitglieder der Zeugen Jehovas. Statt Weihnachten, Geburtstage oder Karneval zu feiern, verteilte Olli, wie ihn seine Fans kumpelhaft nennen, den Wachtturm und ging mit der Bibel in der Hand hausieren. Wenig glamourös blieb sein Leben auch nach Abschluss der Mittleren Reife auf der Waldorfschule. Er ging auf Nummer sicher und bei einem Versicherungsunternehmen in die Lehre.

Kaum übelnehmen kann man ihm den Wunsch, aus dieser religiösen und beruflichen Tristesse entkommen zu wollen. Schon während seiner Ausbildung zum Versicherungskaufmann moderierte er nebenberuflich bei Radiosendern und Messen, arbeitete als DJ in Clubs und bei Hochzeiten, war Mitglied einer Comedy-Truppe und betätigte sich als Publikumsanheizer für die Fernsehshow »Birte Karalus«. Doch die Rolle des Pausenclowns im Off war ihm nicht genug. Der Weg zum Vollzeitkasper vor der Kamera schien sich ihm zunächst jedoch nicht zu eröffnen. Viermal lehnten die Verantwortlichen des Musiksenders Viva seine Bewerbung um einen Moderatorenposten ab. Über Umwege funktionierte es dann doch. In einer Sendung von Hans Meiser wurde Pocher 1999 für eine einwöchige Gastmoderation der Viva-Sendung »Interaktiv« ausgewählt. Der Testlauf endete mit einer Festanstellung.

Pocher moderierte fortan die Teenie-Formate »Was geht ab?«, »Planet Viva« und »Chartsurfer«, erhielt 2002 seine eigene Show bei Viva, die Late-Night-Miniatur »Alles Pocher, oder was?«, und machte 2004 den Sprung zu Pro Sieben, wo man ihn in seiner Sendung »Rent a Pocher« für erniedrigende Aufgaben, die mancher andere auch für weniger Geld als ein Moderatorengehalt machen würde, mieten kann. Daneben moderiert er bei Viva die »Trash Top 100« und »Pocher vs. Jackson«, ist regelmäßiger Gast bei Stefan Raab, ist im Rahmen einer ProSieben-Produktion Teamchef der Fußballmannschaft von Sansibar und war Aushängeschild des Reklamefeldzugs eines Unternehmens, das Unterhaltungselektronik verkauft. Pocher ist überall. Und sein »Humor« ist immer mit dabei.

Verfügte Oliver Pocher nur über den Hang zum Pennälerulk, fiele es leichter, ihn zu ignorieren. Wenn er in seiner Show »Rent a Pocher« im Hundekostüm durch den Park hecheln muss und dabei Spaziergängern zwischen den Beinen schnüffelt, bedient er seine von Viva gewohnte, pubertierende Klientel. Ältere können gleichgültig umschalten.

Es ist Pochers konsensheischender Humor zwischen Spießigkeit und Skrupellosigkeit, der ihn unerträglich macht. Der Mann sei »die perfekte Mischung aus Schwiegermutters Liebling und Wildsau«, konstatierte ein Sprecher des Unternehmens, für das Pocher wirbt, weswegen er der »Wunschkandidat« für die Werbekampagne gewesen sei. Im Werbespot darf er ganz er selbst sein, d.h. ein mittelmäßiger, von sich selbst gelangweilter Mann, der seine Selbstverachtung auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Objekt projiziert. Er sitzt als Angestellter einer Filiale des Unternehmens an der Kasse, eine Frau mit großer Oberweite und tief ausgeschnittenem Dekolleté reißt ihn aus der Langeweile und erfüllt den Zweck der Triebabfuhr. »Das Obst vorher in der Abteilung abwiegen. Oder soll ich jetzt mit den Dingern hier durch den Markt laufen?« Die Republik blökte vor Lachen. Die Redaktion der Frauenzeitschrift Emma kochte vor Wut.

Das bisschen Trubel inklusive einer Überprüfung durch den Werberat hat Oliver Pocher keineswegs geschadet. Er arbeitet an seinem nächsten Projekt, bei dem er seit Januar 2005 als Teamchef der Fußballmannschaft von Sansibar fungiert und regelmäßig auf Pro Sieben über den Trainingsstand seines Teams informiert. Das ist tolles Selbstmarketing, auch wenn sich dafür ein Häufchen drittklassiger schwarzer Kicker vor deutschem Fernsehpublikum zu Trotteln machen lassen muss. Die Feuerprobe hat Oliver Pochers Methode, andere vor großem Publikum zu Objekten seines Blödel-Voyeurismus zu machen, ebenfalls im Januar 2005 bestanden. Als Außenmoderator für die ZDF-Unterhaltungskamelle »Wetten, dass …?« beleidigte er vor fast 15 Millionen Zuschauern eine anwesende Frau: »Ich will ja nichts sagen, aber du siehst ganz schön alt aus für dein Alter. Es gibt übrigens eine schöne Operationsshow bei Pro Sieben, da könnte ich Sie mal vorschlagen.« Schon vorher hatte er ein anderes beliebtes Ziel des Spießerhumors im Visier. Weil für die Stadtwette Friseure gebraucht wurden, bat er alle Schwulen in Hannover zum Rathausplatz.

Eine Woche lang war die Aufregung groß. Oliver Pocher wurde von der Beleidigten auf Schadensersatz verklagt, und er musste sich bei ihr entschuldigen. Seinem Image hat der Vorfall nicht geschadet. Er ist für die Medien immer noch der sympathisch-dreiste, witzige und wortgewandte Entertainer, der auch mal Grenzen überschreitet. Das ist natürlich Unsinn. Er überschreitet keine Grenzen. Mit seinem Humor tut er weh, aber immer nur dem Anderen, demjenigen, den er in den Kreis stößt und vor den Augen aller demütigt.

Er ist ein Opportunist, der der Meute gibt, was sie will, und mit Prominenz belohnt wird. Gleichzeitig bleibt er der Junge von nebenan, der Bodenständigkeit beweist, indem er in seinen Sendungen lokalpatriotisch mit den Fähnchen von Hannover 96 winkt. Der über seine Beziehung spricht, als ginge es immer noch um Versicherungspolicen: »Die Grundvoraussetzungen stimmen. Bisher passt alles bei uns.« Der auch mal den gläubigen Christen herauskehren kann: »Religion ist eine durchaus ernste Sache in meinem Leben.«

Das Publikum scheint das Produkt zu goutieren. Pochers Spießigkeit und sein skrupelloser Opportunismus liefern für Fernsehdeutschland in Zeiten von Hartz IV ein adäquates Role-Model, auch wenn der Protagonist selbst noch an sich zweifelt. So äußerte er sich in einem ZDF-Interview: »Viele Leute beschmeißen und bespucken mich von außen auf dieser Straße des Erfolgs. Ich hoffe, dass es keine Sackgasse wird.« Dass Oliver Pocher auf der Straße des Erfolgs auch weiterhin freie Fahrt hat, steht zu befürchten.