Unser cooler Bürgermeister

Ein Hobbyhistoriker hat die Geschichte des Ersten Bürgermeisters der Stadt Chemnitz nach Kriegsende rekonstruiert. Gegen den war der Hauptmann von Köpenick ein Waisenknabe. von andre seitz

Für Chemnitz ist der 8. Mai durchaus ein wichtiges Datum. Bis zum vergangenen Sommer fanden im »Kulturhaus 8. Mai« Veranstaltungen statt, heute gibt es den Technoclub »Achtermai«. Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung sind jedoch nicht geplant.

Der pensionierte, in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aktive Pädagoge Eberhard Hübsch hat sich mit einem Kapitel der Chemnitzer Stadtgeschichte beschäftigt, das eng mit dem 8. Mai 1945 verknüpft, jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Ernst Ring, der erste Chemnitzer Bürgermeister nach dem Krieg, hatte sich den Nazis widersetzt, taugte aber dennoch nicht zur realsozialistischen Identifikationsfigur.

»Wie gemeldet hat das alliierte Oberkommando Dr. Ernst Ring zum Ersten Bürgermeister von Chemnitz eingesetzt«, berichteten die Chemnitzer Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 12./13. Mai 1945. Der Stettiner habe sich unter Einsatz seines Lebens als Widerstandskämpfer ausgezeichnet.

Gegen Ende des Kriegs waren in Chemnitz die militärischen Widerstandsgruppen Arüsa und Ciphero aktiv. »Nach Kriegsende bemühten sich die Teilnehmer um die Anerkennung als Antifaschisten«, sagt Hübsch. Dazu sollte auch ein Bericht Edgar Fischers, des Leiters von Ciphero, dienen, der im November 1945 verfasst wurde. »Der historische Hauptmann von Köpenick ist im Vergleich zu Ring als Anfänger und Waisenknabe zu bezeichnen«, zitiert der Bericht eine Einschätzung der Geheimen Feldpolizei der Wehrmacht. Denn weder der Doktortitel noch der Dienstgrad Oberleutnant, mit dem sich der 1921 geborene Ring zu schmücken pflegte, waren echt. Ab März 1945 war es Ring gelungen, auf der Grundlage gefälschter Dokumente und Befehle »von ganz oben« im Erzgebirge einen eigenen Auffangstab aufzubauen, mit Hauptsitz in der Stadt Annaberg. Statt versprengte Soldaten aufzusammeln und zurück an die Front zu schicken, behielt er die kriegsunlustigen Soldaten in seinem Stab.

Nach etwa zwei Monaten drohte das Unternehmen aufzufliegen, als ein Offizier mit echten Befehlen zur Bildung eines Auffangstabes und ein Ermittler der Wehrmacht, der die Echtheit der Dienststelle anzweifelte, auftauchten. Obwohl Ring beide bluffen konnte, gerieten seine Leute in Bedrängnis, Wehrmachtstruppen besetzten die Dienststelle und kontrollierten sie. Mit Hilfe anderer Truppen konnte jedoch ein Befreiungsschlag gelingen, Ring verhaftete NSDAP- und Polizeiangehörige, Gefechte gegen Volkssturm, HJ- und SS-Leute endeten siegreich.

Am 3. Mai unternahm Ring einen bewaffneten Vorstoß gegen den Chemnitzer Divisionsstab und forderte die kampflose Übergabe der Stadt an die Alliierten bis zum nächsten Morgen. »Widrigenfalls wolle er das Divisionsgebäude mit allem drum und dran in Schutt und Asche legen … Ring ließ sich noch das gesamte Kartenmaterial über die Chemnitzer Verteidigungsanlagen übergeben und fuhr wieder ab.«

Zurück bei seinen Leuten, wurde er jedoch verraten und der Wehrmacht überstellt. Eine Stunde vor der geplanten Exekution am 4. Mai um 17 Uhr gelang ihm die Flucht. »Er hatte lediglich einige Bekleidungsstücke und zwei im Abort eingesperrte Offiziere zurückgelassen«, heißt es in Fischers Bericht. Ring übergab am 7. Mai mittags einen Lkw-Zug mit ihm unterstellten Leuten als Gefangene an die Rote Armee. Am gleichen Abend wurde er als Stadtkommandant eingesetzt, am 9. Mai offiziell zum Bürgermeister ernannt. Doch schon am 15. Mai wurde er als Bürgermeister wieder abgesetzt, von den Sowjets vermutlich wegen Hochstapelei inhaftiert und saß sechs Wochen in Haft.

Die Informationen über die Zeit danach sind lückenhaft. Wieder auf freiem Fuß, wollte er sich bei der neu gegründeten Sächsischen Landesregierung als Kfz-Spezialist bewerben, wurde aber abgewiesen. Später war er unter falschem Namen als Wirtschaftsberater tätig und beantragte als Rennfahrer politisches Asyl in der DDR. Der Spiegel widmete ihm Anfang der fünfziger Jahre einen Artikel in einer Serie über große Betrüger.

Für Eberhard Hübsch steht vor allem eins fest: »Ring gehörte zum Widerstand gegen die Nazis, weil er sich gegen das Kämpfen bis zuletzt gewehrt hat.« Seine Spur verliert sich in den sechziger Jahren in der Schweiz.