Alarmstufe gelb

Westerwelles Angriff auf die Gewerkschaften von steffen falk

Wenn zwei dasselbe Ziel haben, dann heißt das noch lange nicht, dass sie unbedingt zusammenarbeiten. Sie können sich auch gegenseitig des Vaterlandsverrats bezichtigen. So konkurrieren sie um die beste Dienstleistung für die Nation und buhlen um die Gunst des Wählers, der dieses Anliegen möglicherweise teilt.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering bot mit seiner »Kapitalismuskritik«, die keine Kritik am Kapitalismus ist, sondern eine Beanstandung von unliebsamen Begleiterscheinungen für den eigenen Standort, die Vorlage. Guido Westerwelle trat auf dem Parteitag der FDP in Köln in der vorigen Woche dann nicht an, um die Ehre des Kapitals zu retten, das hatten schon andere übernommen, sondern er drehte den Spieß um. In seiner Rede machte der im Amt bestätigte Parteivorsitzende die wahren Schuldigen aus: Nicht die Unternehmer vernichteten Arbeitsplätze, sondern die Gewerkschaften.

Wer derart austeilt, stößt in der aufgeregten Diskussion auf Gehör mit seinen Unterstellungen. Arbeit braucht der Mensch, und das Allgemeinwohl, also der Finanzminister, braucht die bezahlte Arbeit; den deutschen Unternehmern muss das Arbeitgeben, also ihre Geschäftsbedingung, erleichtert werden, denn nur ein freies Gegeneinander führt zu Wachstum und so zu mehr Arbeitsplätzen. So weit ist das nationaler Konsens, auch der DGB, der die Interessen der Lohnabhängigen vertritt, stimmt dem zu.

Westerwelles Vorwurf trifft eine Organisation, die, hätte sie nicht die Würde entdeckt – »Du hast Würde. Zeige sie«, hieß das Motto des DGB am 1. Mai –, auch den Parteitagsslogan der FDP zum Motto hätte küren können: »Arbeit hat Vorfahrt.« Eine Organisation, die stolz auf wenig Streiktage im Jahr ist, auf die Sozialpartnerschaft und die Mitbestimmung, und deren Funktionäre noch vor jeder Tarifverhandlung die Annahme akzeptieren, die Höhe des Lohnes sei abhängig vom steigenden Gewinn der Unternehmer.

Was stört den liberalen Freigeist eigentlich an den Gewerkschaften? Schlichtweg ihre pure Existenz ist es, die seiner Ansicht nach einen Fluch für die Nation darstellt. Die »wahre Plage«, wie Westerwelle die Gewerkschaften nennt, kann sich in Deutschland fast überall an einen Verhandlungstisch setzen, und da hört selbst für die FDP der Spaß auf.

Schon dass es eine gesetzlich garantierte Betreuung der Opfer von Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit gibt, stört den Wettbewerbsfanatiker. Dass eine Massenorganisation, die mit Mitgliederschwund zu kämpfen hat, die Auflösung des Flächentarifs nicht verhindern wird, weiß auch er. Wer aber die Aushandlung eines Tarifvertrags als Klassenkampf bezeichnet und die freiwillige Aufkündigung des Vertrages fordert, verlangt nichts anderes als die Selbstentmachtung der organisierten Gegenwehr.

Dabei besteht diese Gegenwehr seit Jahren nur noch als Möglichkeit. Schon das Dementi der Gewerkschaften gibt Auskunft über den gemeinsamen Maßstab der Kontrahenten. »Eine üble Politik der Verleumdung« betreibe Westerwelle, sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer am Freitag im Bayerischen Rundfunk. Die mutwillige Beschädigung von Deutschlands Zukunft lässt er sich nämlich nicht vorwerfen.