»Das Morden hat im Osten stattgefunden«

Worüber informiert der »Ort der Information«? Fragen an den Historiker jürgen lillteicher, der die Ausstellung mitgestaltet hat, die das Holocaust-Mahnmal ergänzt

Der unter dem Stelenfeld gelegene »Ort der Information« will das Mahnmal ergänzen. Worüber informiert die Ausstellung und was zeigt sie nicht?

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Perspektive der Opfer, gezeigt werden exemplarische Familiengeschichten und Biografien. Die Ausstellung will ausdrücklich keine klassische Geschichtserzählung liefern. Sie thematisiert also nicht die Vorgeschichte der Judenvernichtung und des Nationalsozialismus, ebenso wenig wie deren Aufarbeitung. Sie steigt direkt in die Phase der Eskalation ein und beleuchtet vor allem die Vorgänge in Osteuropa und der Sowjetunion.

Welche Aussage steckt hinter der Idee, sich in der Ausstellung auf die Opfer zu konzentrieren?

Das Denkmal ist ausdrücklich den ermordeten Juden Europas gewidmet, was zunächst relativ abstrakt bleibt. Die Ausstellung will also die Frage beantworten, um wen es hier überhaupt geht: Wer sind die zu ehrenden Juden Europas, die in dem von deutschen geführten Vernichtungsfeldzug ermordet wurden?

Wäre es nicht die Aufgabe eines Mahnmals im Land der Täter, auf die Mechanismen des Verbrechens einzugehen, statt sich die Perspektive der Opfer anzueignen?

Die Idee, mit dem Denkmal die ermordeten Juden zu ehren, geht ja auf eine 1999 vom Deutschen Bundestag getroffene Entscheidung zurück. Darin wurde auch festgelegt, dass es um einen Ort der Information über die zu ehrenden Opfer und die authentischen Stätten des Gedenkens ergänzt wird.

Wie haben Sie diesen Beschluss denn in die Tat umgesetzt?

Die Ausstellung will eine Personalisierung und Individualisierung der Opfer erreichen, um sie aus der Abstraktion und der Anonymität herauszuholen. Wir wollen bewirken, dass sich die Besucher mit ihnen identifizieren können.

Das riesige Stelenfeld spiegelt das gigantische Ausmaß des Verbrechens. Die Ausstellung geht scheinbar den umgekehrten Weg, wenn sie einige wenige Familienschicksale aus der Masse der sechs Millionen Ermordeten herausgreift. Mahnmal wie Ausstellung sprechen dabei sehr stark die Emotionen an.

Dahinter steht die Idee, die Geschichte überhaupt erst mal zugänglich zu machen. Wir brauchen dazu identifikatorische Momente, beispielsweise indem wir 15 exemplarische Familiengeschichten schildern. Natürlich entsteht durch die Personalisierung der Opfer, etwa durch die Porträts der ermordeten Männer, Frauen und Kinder, eine stärkere Emotionalisierung als durch eine politikgeschichtliche Erklärung der Entstehung des Nationalsozialismus.

Über die Architektur des Mahnmals, seinen Standort, die Anzahl, Farbe und Höhe der Stelen hat es eine breite öffentliche Debatte gegeben. Die Gestaltung der Ausstellung blieb in der Diskussion weitgehend ausgespart. Welche Auseinandersetzungen gab es darüber unter den beteiligten Historikern?

Der Ort der Information, der auf eine Initiative von Michael Naumann zurückgeht, die nicht unumstritten war, war Teil der Debatte. Es gab einige Fürsprecher, die in der Ausstellung das Gedenken wiederholen wollten und sich vor allem einen Raum der Kontemplation wünschten. Da mussten wir schon einige Überzeugungsarbeit leisten. Zunächst war es gar nicht geplant, dass wir im Foyer eine sehr rationale Beschreibung der einzelnen Entwicklungsstufen des historischen Geschehens geben, die dazu dient, die einzelnen Schicksale zu kontextualisieren. Das ist das Ergebnis langer Diskussionen mit Historikern und anderen Experten. Die Ausstellung besitzt also in ihrer jetzigen Form sehr wohl einen ganz eigenen Informationsgehalt.

Diese Informationen werden aber keineswegs in einem sachlichen Umfeld präsentiert.

Die Gestaltung der vier unterirdischen Räume nimmt die Architektur des Stelenfelds auf und setzt sie fort. Es geht um die Balance zwischen Information und Gedenken.

Gibt es Vorbilder für die Ausstellung? Wie stark haben Sie sich bei der Gestaltung an der Gedenkstätte Yad Vashem orientiert? Lea Rosh und Eberhard Jäckel haben immer damit argumentiert, dass es im Land der Täter eine vergleichbare Gedenkstätte geben müsse.

Das Argument lautete, dass es in Deutschland keine Stelle gibt, die an den europäischen Judenmord erinnert. Es gibt die deutschen Gedenkstätten, die die Geschichte vor Ort erzählen, wie in Dachau, Buchenwald, Flossenbürg. Das ist aber nur bedingt eine Geschichte des Holocaust. Denn das Morden hat in Osteuropa stattgefunden. Die Analyse Eberhard Jäckels ist also korrekt: Es gibt in Deutschland keine zentrale Stelle, die den Mord an den Juden zum Thema hat. Lea Rosh hat darauf reagiert, indem sie sagte: Ja, wir brauchen in Deutschland ein Denkmal, das genau auf den Mord in Osteuropa hinweist, auf Regionen, die wir heute nicht mehr kennen, aber wo die Wehrmacht und die Einsatzgruppen tätig waren. Die Idee zu dieser Ausstellung entstand also in Deutschland und wurde nicht einfach von Yad Vashem kopiert.

Viele Elemente erinnern jedoch an die Ausstellungen in Yad Vashem. Dort gibt es die berühmte »Halle der Namen«, in Berlin findet sich nun der »Raum der Namen«.

Ja, es besteht inzwischen auch eine enge Arbeitsbeziehung zu Yad Vashem. Gerade was die Präsentation der Namen angeht, haben wir uns natürlich anregen lassen. Andererseits hatten wir die Idee, dass die Präsentation der Namen allein nicht ausreicht. Wir wollten komplette Geschichten erzählen. Im dritten Raum werden daher die Namen und Kurzbiografien von ermordeten Juden verlesen und die Namen, Geburts- und Todesdaten an die Wände des Raums projiziert.

Dieses Konzept wird ideal ergänzt durch die Datenbank, die uns von Yad Vashem zur Verfügung gestellt wird. Yad Vashem ist jedoch ein Holocaust-Museum und steht in einem anderen Kontext. Das Museum benutzt auch andere Mittel, wenn man zum Beispiel eine Straße aus dem Warschauer Ghetto nachbaut.

Die Diskussionen über die verschiedenen Entwürfe des Wettbewerbs haben gezeigt, wie schwer es ist, dem Anspruch gerecht zu werden, ein zentrales, ja »das« Mahnmal zu schaffen. Die Entwürfe verweisen nicht nur auf bestimmte künstlerische Positionen, sondern repräsentieren auch unterschiedliche Auffassungen von Gedenken. Haben die Diskussionen Sie bei der Konzeption beeinflusst?

Einige Aspekte aus den Wettbewerbsentwürfen wurden durchaus inkorporiert. Der Entwurf von Christine Jackob-Marks, der zunächst favorisiert worden war und dann als unrealisierbar abgelehnt wurde, sah eine 20 000 Quadratmeter große, schiefe Betonebene vor, auf der die Namen aller Opfer eingemeißelt sind. Die Architektur von Peter Eisenman will dagegen bewusst »leer« sein. Die Namen der Opfer tauchen nun aber im Ort der Information wieder auf.

Integriert wurde ebenso die Aussage des Entwurfs »Bus Stop«. Darin hatten die Künstler Renata Stih und Frieder Schnauck vorgeschlagen, eine Buslinie zu den Gedenkstätten einzurichten. Dieser Gedanke wurde aufgegriffen, indem wir ein virtuelles Portal zu den authentischen Stätten des Gedenkens eingerichtet haben. Hier findet man auch konkrete Informationen über Bahn- und Busverbindungen.

Welchen Platz nimmt der Ort der Information im bestehenden Ensemble von Gedenkstätten und Ausstellungen zur deutschen Geschichte ein?

Man muss den Ort der Information im Zusammenhang mit dem künftigen Museum der Topographie des Terrors sehen. Dies ist ein Ort der Täter, der genau die Funktion erfüllen wird, die manche Kritiker vom Ort der Information einfordern. Mit den einander ergänzenden Ausstellungen wird eine Gesamtsicht auf die deutsche Vernichtungspolitik möglich, auch auf die verschiedenen Opfergruppen wie zum Beisspiel die sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten.

Der Ort der Information versteht sich ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu den Gedenkstätten. Auf das »Haus der Erinnerung«, wie es Michael Naumann gewünscht hatte, wurde genau deshalb verzichtet, um nicht mit den authentischen Orten des Gedenkens in Konkurrenz zu treten. Es ist unter anderem die Aufgabe des Orts der Information, die Zentralität des Mahnmals für eine Portalfunktion zu nutzen, als einen Verteiler zu den vielfältigen Einrichtungen in Deutschland und Europa.

interview: heike runge