Das rülpsende Insekt

Die Kapitalismusdebatte findet ihr Feindbild im amerikanischen Finanzinvestor. von andrej reisin

Nein, man hat es nicht leicht als Unternehmer dieser Tage. Die Energiepreise sind hoch, die Steuern drücken, die Lohnabhängigen sind unzufrieden, und nun kommt auch noch die Regierung daher und macht einen zur Heuschrecke. Auswandern möchte man da, Gewinne hin, Gewinne her. Der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt spricht aus, was viele denken, und warnt: »Kein Investor fühlt sich in einem Land willkommen, in dem er von der Politik als ›Heuschrecke‹ verunglimpft wird.«

Dumm nur, wenn man bereits investiert hat und jetzt um den Genuss seines sauer verdienten Kapitals gebracht werden soll. Die Mehrwertsteuer wird vermutlich steigen, und die Union und das Land Bayern haben sich geeinigt, zur Gegenfinanzierung der Erbschaftssteuersenkung Aktionäre künftig stärker zu belasten. Mit einer »moderaten« Anhebung der Steuer auf Dividenden von 50 auf 57 Prozent. 57 Prozent! Erzählen Sie das mal einem Ihrer Partner in den USA. »You must be joking«, wird er sagen.

Womit wir beim Thema wären: Die derzeit schwer angesagte »Kapitalismuskritik« sei antiamerikanisch, findet Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Er ist gerade von einer Reise in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt und berichtet, dass seine Gesprächspartner irritiert seien und keine Lust hätten, »jedes Mal zum Punchingball in Wahlkämpfen« gemacht zu werden.

Tatsächlich antiamerikanisch gibt sich zurzeit die IG Metall: Im dringenden Bedürfnis, auch auf der populären Welle der »Kritik« zu surfen, setzt man auf Populismus. Das Titelblatt der Mitgliederzeitschrift Metall ziert eine gezeichnete Riesenmücke im Anzug, die mit feistem Grinsen ihren Zylinderhut lüftet. Die Schlagzeile dazu lautet: »Die Aussauger – US-Firmen in Deutschland«.

Im Heft geht es dann munter so weiter. Da saugt eine amerikanische Investorenmücke allen Ernstes einen deutschen Fabrikschornstein aus, und anschließend rülpst das abgefüllte Kapitalisteninsekt. Dazu schwadroniert der Autor über »amerikanische Finanziers«, die keine Rücksicht auf »Regionen oder Traditionen nehmen«. »Leidtragende sind die Menschen« konstatiert der Artikel, als ob diese besser dran wären, wenn sie von deutschen Investoren entlassen oder in von der IG Metall ausgehandelte Tarifverträge mit »flexiblen Arbeitszeiten« jenseits der 40 Stunden in der Woche gedrängt werden.

Gegen diese Art der »Kapitalismuskritik« und insbesondere die Illustration derselben sei eingewendet, dass sie nicht nur antiamerikanisch ist, sondern auch mit antisemitischen Klischees spielt. Tierkörper mit Menschenköpfen, die anständige deutsche Unternehmen aussaugen, entspringen einer Bilderwelt, die dem Stürmer eben doch näher liegt, als es der IG Metall lieb sein dürfte. Insbesondere verstärkt diese Darstellung ohnehin vorhandene Ressentiments und führt die Rezipienten im schlechtesten Fall direkt zur NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, wo das Schenkelklopfen über die Zeichnungen von Illustrator Silvan Wegmann besonders laut gewesen sein dürfte.

Die NPD veröffentlichte dieser Tage einen ganz eigenen Beitrag zur »Kapitalismuskritik«, die »Erklärung zu Wesen und Wollen der Dresdner Schule«. Die nationalen Kameraden schwafeln darin von den »nackten Wirtschaftsinteressen« der USA und bekennen, dass sie dem »Imperium Americanum feindlich gegenüber« stünden und sich gegen »den American Way of Death zur Wehr setzen« wollen.

Vollkommen Unrecht hätte – bei anderer Formulierung – auch der konservative Krachmacher Michael Wolffsohn nicht, wenn er Münteferings Heuschrecken in einem historisch eher zwielichtigen Feld grasen sieht. Die Frage ist dabei nicht, ob Müntefering Antisemit ist – Antwort: nein –, sondern ob er sich antisemitischer Symbolik bedient – Antwort: mit Einschränkung ja. Zwar mag die in unseren Breiten seltene Heuschreckenplage ursprünglich eine biblische Verheißung gewesen sein, aber so zu tun, als sei da zwischen 1933 und 1945 nichts gewesen mit Bildern und Metaphern, geht nun auch nicht. Denn wie heißt es in Veit Harlans Film »Jud Süß«: »Wie die Heuschrecken kommen sie über unser Land!« Gemeint sind die Juden.

Trotzdem kann man nicht wie Wolffsohn Franz Müntefering unterstellen, er lege nahe, dass Unternehmer »als Plage vernichtet, ausgerottet werden müssen«. Die Radikalisierung des Antikapitalismus war schon geschichtlich nicht eben das Geschäft der Sozialdemokratie, und kein Unternehmer muss um Leib und Leben fürchten. Von daher ist Wolffsohns Kritik in dieser Form eher eine revisionistische Verharmlosung der Shoah.

Sein stümperhafter und gleichfalls ressentimentgeladener Vergleich ist die eine Sache. Die andere aber ist, dass sich ein Sprecher des Verteidigungsministeriums genötigt sah, auf die Wissenschaftsfreiheit des an der Bundeswehruniversität in München lehrenden Wolffsohn hinzuweisen, derentwegen man ihn nicht einfach abberufen könne. Die Forderung nach »dienstrechtlichen Konsequenzen« hatte unter anderem der neu gewählte Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) erhoben. Die Überlegung, ein Universitätsprofessor müsse und könne des Amtes enthoben werden, weil er Kritik an der Wortwahl des Parteivorsitzenden der SPD geäußert hat, offenbart das jämmerliche Staatsverständnis der Sozialdemokraten.

Dieses kommt in Verbindung mit einer ebenso fehlenden Gesellschaftsanalyse in der aktuellen Diskussion besonders stark zum Ausdruck. Eigentlich ist es unfassbar, dass eine Regierungspartei eine Debatte inszeniert, in der sie genau jene Marktmechanismen angreift, die sie selber seit Jahren befördert hat. Mit Freuden verkaufte die Bundesregierung die Bundesdruckerei an jene Kapitalgesellschaften, die jetzt auf Münteferings »schwarzer Liste« stehen. Genauso verhält es sich mit der Autobahnraststätten-Betreibergesellschaft »Tank & Rast«. Die Bundesanteile gingen damals an ein Konsortium, an dem die – jetzt als Heuschrecke gebrandmarkte – Fondsgesellschaft Apax führend beteiligt war. Verkehrsminister war damals Franz Müntefering.

Von allen guten Geistern verlassen ist offenbar auch der Juso-Vorsitzende Björn Böhning, der den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, mit den Worten angriff, dieser sei »ein williger Diener des entfesselten Kapitals und letztlich doch nur eine arme Marionette im Haifischbecken dieser neoliberalen Globalisierung«. Mehr Schaum vor dem Mund hat höchstens noch Guido Westerwelle, der die Debatte verständlicherweise ähnlich »zum Kotzen« findet wie Arbeitgeberpräsident Hundt. Der FDP-Vorsitzende bezeichnete die Gewerkschaften als »wahre Plage für Deutschland«.

Inhaltlich will die Bundesregierung vier Dinge tun: das Entsendegesetz auf alle Branchen ausweiten, Managergehälter veröffentlichen, kleinen Firmen bessere Finanzierungsmöglichkeiten geben und einheitliche Steuersätze in Europa anstreben. Zumindest das Letztgenannte ist reines Wunschdenken. In Großbritannien etwa wird man »not amused« sein bei dem Gedanken, sich eigene Wettbewerbsvorteile nehmen zu lassen, indem man die Steuersätze aus Brüssel diktiert bekommt. Dafür hat der vom Kapitalismus überzeugte Churchill den Krieg vor 60 Jahren schließlich nicht gewonnen.

Die SPD bezeichnet sich als »die Schutzmacht der anständigen Leute – ob das nun Unternehmer oder Arbeitnehmer sind«, wie Franz Müntefering meint. Ein Aufstand der Anständigen gegen das unanständige Investmentkapital? Offensichtlich gerät die SPD angesichts des weglaufenden Wahlvolks in Panik und sucht ihr Heil in einer heillosen »Kapitalismuskritik«, die von Stereotypen und falschen Personifizierungen nur so strotzt. In schlimmer Tradition bringt sie die Diktion vom »schaffenden und raffenden Kapital« wieder in die Diskussion.

Die fünf Millionen Arbeitslosen und Hartz IV-Empfänger werden es zur Kenntnis nehmen, nützen wird es ihnen nichts. Wohl im Wissen darum wurde der SPD-Vorsitzende am 1. Mai denn auch trotz seiner neu entdeckten Liebe zur »Kapitalismuskritik« mit Eiern beworfen. Darin kommt die mangelnde Glaubwürdigkeit der Protagonisten dieser Kritik zum Ausdruck, die in den vergangenen Jahren alles mögliche unternommen haben, um den Forderungen der Wirtschaftsverbände nachzukommen.

Die aktuelle Debatte ist daher vor allem ein hilfloser Versuch, Schuldige dafür zu finden, warum es trotz aller Reformen nicht endlich aufwärts geht. Dies könnte an Faktoren liegen, auf die die Bundesregierung im Rahmen ihrer durch EU-Statuten und globalen Wettbewerb eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten wenig Einfluss hat. Zu diesen Faktoren gehören der starke Euro, die hohen Ölpreise und die im internationalen Vergleich nach wie vor höheren Zinsen.

Außerdem reagierten sowohl die USA als auch Großbritannien und Frankreich auf die Krise der New Economy und der Kapitalmärkte mit direkten und indirekten Subventionen, während Hans Eichel sich als Sparminister profilierte. Die Bevölkerung, die sich mit dem Abbau staatlicher Hilfen in allen Bereichen konfrontiert sah, entwickelte ihre Angst vor dem sozialen Absturz und spart seitdem ebenfalls, was das Zeug hält. In der Folge ist die Binnennachfrage zurückgegangen – und damit jedes nicht am Export orientierte Wachstum.

Kritiker werden einwenden, dass der Kapitalismus immer krisenhaft ist und dass insbesondere die so genannten neoliberalen Konzepte eben nicht funktionieren. Dies erklärt zwar nicht die nationalen Unterschiede, würde aber bedeuten, dass von der Politik andere Konzepte entwickelt werden müssten. Dieses steht aber nicht zu erwarten, denn dafür bräuchte man erst einmal eine über den Tag hinaus weisende Analyse und Kritik von Wirtschaft und Gesellschaft. Die SPD hat weder das eine noch das andere, und eben da liegt das Dilemma: Entweder man betreibt Kapitalismus, oder man betreibt Kapitalismuskritik. Die SPD kann beides nicht.