Der Auto-Platzverweis

Ein britischer Schiedsrichter wurde kurzfristig weltberühmt, weil er sich selber Rot zeigte. Jetzt scheint seine Karriere beendet. von elke wittich

Ein paar Tage lang, zwischen Ende Januar und Anfang Februar dieses Jahres, hieß der bekannteste Schiedsrichter der Welt Andy Wain. Der 39jährige hatte sich beim Amateur-Spiel Peterborough North End gegen Royal Mail AYL selbst die Rote Karte gezeigt und es mit diesem Platzverweis in beinahe jeder internationalen Zeitung in die Sport-Kurzmeldungen geschafft.

Bis zur 63. Spielminute an diesem Sonntag war Wain ein ganz normaler Referee, der hier mal auf Abseits pfiff und da mal ein Foul monierte. Dann aber fiel ein Tor für Royal Mail, das er trotz einiger Proteste anerkannte. Was den Torhüter von North End, Richard McGaffin, extrem erboste. Dem Treffer sei ein klares Foul vorangegangen, schrie er, und fügte hinzu: »Es ist doch jedes Mal das gleiche mit euch verdammten Schiedsrichtern, und wir können einfach nichts gegen Euch unternehmen!« Andy Wain stürmte daraufhin wutentbrannt auf den Keeper zu und wollte ihn eigentlich zur Rede stellen. Dann besann er sich jedoch anders, zeigte sich die Rote Karte und verließ gesenkten Hauptes und ohne weitere Erklärung den Platz.

Nach wenigen Minuten wurde klar, dass Wain nicht daran dachte, zurückzukommen und weiter zu pfeifen. Den Vereinsverantwortlichen erklärte er, er sei mit den Nerven am Ende, da Richard McGaffin ihn massiv bedroht habe. Ein Schiedsrichter dürfe sich jedoch nicht so provozieren lassen, wie es ihm gerade passiert sei, deswegen werde er den Platzverweis auch auf keinen Fall zurücknehmen. Unter den Funktionären muss daraufhin ziemliche Hektik ausgebrochen sein, aber ihre Versuche, das Spiel trotzdem zu retten, waren vergeblich. Hauptsächlich, weil einfach keiner der Zuschauer im Besitz einer Schiedsrichter-Lizenz war, weswegen das Match schließlich abgebrochen werden musste.

Am Montag danach suchten britische Medien nach einer Erklärung für des Referees ungewöhnliches Verhalten. Bob Bell, sein Schiedsrichter-Assistent bei diesem Match, wurde interviewt und erklärte, Wain habe »bis zu diesem Vorfall das Spiel sehr unauffällig und kompetent geleitet. Es ist einfach, ihm vorzuhalten, dass er sich nicht hätte verhalten dürfen, wie er sich nun einmal verhalten hat. Aber wer weiß schon, welche Probleme jemand mit aufs Spielfeld schleppt?«

Wain selbst versuchte, einem Reporter der BBC seine Beweggründe zu erklären. »Rückblickend betrachtet hätte ich das Match natürlich niemals leiten dürfen«, sagte er. Er habe extrem unprofessionell gehandelt. »Wenn sich ein Spieler so verhalten hätte, hätte ich ihn des Feldes verwiesen, und deswegen musste in dieser Situation eben ich gehen.« Er habe, gab er zu, »unter immensem Druck« gestanden. Am Tag zuvor war sein Schwiegervater gestorben, fast gleichzeitig war festgestellt worden, dass Wains Ehefrau an einer ernsten Krankheit litt.

Womöglich hoffte der Schiedsrichter, beim Sport ein wenig Ablenkung zu finden, was jedoch nicht funktionieren sollte: »Als ich dann gerade auf dem Gelände angekommen war und in die Kabine gehen wollte, wurde auf dem benachbarten Platz eine Schweigeminute für ein Vereinsmitglied abgehalten, das kurz zuvor völlig überraschend im Alter von nur 38 Jahren gestorben war. Und ein guter Freund von mir gewesen ist, von dessen Tod ich nun auf diesem Wege erfuhr.«

Viel Mitleid bekam Wain von offizieller Seite jedoch nicht zu spüren. Nick Titman, Ligabeauftragter der Peterborough Sunday League, erklärte eine Woche nach dem Auto-Platzverweis, der Referee sei zunächst mit einer 35tägigen Sperre und einer Strafe in Höhe von umgerechnet knapp 75 Euro belegt worden. Denn Wain, so Titman, habe »den Sport in Misskredit gebracht, deswegen musste er bestraft werden. Für unsere Liga ist er mit sofortiger Wirkung suspendiert worden.« Die persönlichen Probleme des Schiedsrichters wollte er nicht als Grund gelten lassen: »Wenn es ihm tatsächlich so schlecht gegangen« sei, »dann hätte er zu allererst einmal das Spiel nicht anpfeifen sollen«.

»Ich bin jetzt seit 38 Jahren im Fußballgeschäft, und ich habe in dieser Zeit wirklich sehr viel erlebt. Zunächst konnte ich nicht glauben, was da passierte«, sagte Titman weiter. Und er erklärte, er wäre womöglich etwas mitfühlender und gnädiger gestimmt, »wenn der Schiedsrichter zunächst einmal dem Verband gegenüber ein Statement abgegeben hätte und danach mit den Medien gesprochen hätte. Dann wäre vielleicht alles nur halb so wild gewesen. So habe ich praktisch erst durch die Weltpresse von der Geschichte hinter der Geschichte erfahren. Ich wurde wirklich kalt erwischt, als uns die Reporter von überall her plötzlich die Bude einrannten.«

Wain entschuldigte sich daraufhin noch einmal für sein Verhalten und dachte eigentlich, mit der von ihm vorbehaltlos akzeptierten Strafe sei die Sache nun auch erledigt. Bis er am 13. April in seinen Briefkasten schaute. Dort lag ein Schreiben des Schiedsrichterverbands des britischen Fußballverbandes NFA, in dem ihm mitgeteilt wurde, sein Antrag auf die Schiedsrichterlizenz für die nächste Saison sei abgelehnt worden. Dabei war der Referee davon ausgegangen, dass dem formlosen Ersuchen, wie in jedem Jahr zuvor, umstandslos stattgegeben werden würde. Entsprechend fassungslos zeigte er sich: »Ich bin wirklich sehr, sehr wütend über diese Entscheidung. Klar, ich habe einen Fehler gemacht, aber ich habe ihn auch sofort eingestanden und sehr offen über die Gründe gesprochen, die zu seiner Entstehung führten.« Es habe zuvor keinerlei Anzeichen gegeben, dass man ihn als Schiedsrichter nicht mehr wolle, klagte Wain weiter: »Man vermittelte mir den Eindruck, dass ich meine Strafe erhalten habe und die Sache damit erledigt sei. Deswegen freute ich mich auch schon darauf, in der nächsten Saison wieder zu pfeifen. Bis ich gestern den Brief der Schiedsrichtervereinigung erhielt, in dem mir lapidar mitgeteilt wurde, dass ich auf unbestimmte Zeit suspendiert sei. Was im Klartext lebenslange Sperre bedeutet …«

Der NFA-Vorsitzende David Payne hielt dagegen: »Es handelt sich nicht um eine Entscheidung sine die, Herr Wain kann durchaus gegen den Bescheid Berufung einlegen. Wir haben uns ganz einfach gegen seinen Antrag entschieden, in der nächsten Saison als Schiedsrichter tätig zu sein. Und stellt er einen neuen, werden wir darüber selbstverständlich absolut unvoreingenommen entscheiden.«

Andy Wain fühlt sich jedoch zutiefst ungerecht behandelt und schließt nicht aus, dass die mittlerweile weltberühmte rote Karte auch die letzte gewesen sein könnte, die er jemals zeigte: »Diese ganze Sache macht mich völlig krank; sie zeigt mir nämlich, dass Ehrlichkeit einen heutzutage nicht weiterbringt. Und ganz ehrlich, ich weiß nun wirklich nicht, ob ich tatsächlich Berufung einlegen möchte. Aus Geprächen habe ich erfahren, dass 95 Prozent der Clubs, deren Spiele ich bisher geleitet habe, meine Rückkehr wollten. Das zählte für die Funktionäre jedoch anscheinend nicht!«

Dabei möchte sogar der Torhüter von Peterborough North End, Richard McGaffin, unbedingt, dass Wain wieder pfeifen darf: »Eigentlich gehörte er zu den besten Referees, die wir bei unseren Spielen hatten.«