Sündige Körperteile

Abgeordnete in Kenia übertreffen sich in der Diskussion über Sexualverbrechen mit Vorschlägen für härtere Strafen. von ruben eberlein

Kenias Parlamentarier verbringen normalerweise nicht gern unnötig viel Zeit mit ausgedehnten Debatten. Einem kürzlich veröffentlichten Bericht zufolge diskutierten die Abgeordneten 2004 weniger Gesetzesentwürfe als jeweils in den zwei Jahren zuvor, die Politiker würden – Ausschusssitzungen nicht eingerechnet – durchschnittlich 57 Tage pro Jahr im Parlament weilen.

Doch vor zwei Wochen drängte es nahezu jeden ans Rednerpult, so dass die Redezeit auf fünf Minuten herabgesetzt werden musste. Zur Aussprache stand ein von Njoki Ndung’u, einer Abgeordneten des regierenden Narc-Bündnisses und Aktivistin der Federation of Women Lawyers, vorgelegter Antrag zur Einbringung eines Gesetzes, das unter anderem die so genannte chemische Kastration von Vergewaltigern im Wiederholungsfall und Mindesthaftstrafen von 15 und 30 Jahren für Sexualverbrechen vorsieht.

Ein rares Ereignis war auch die herrschende Einmütigkeit. Lediglich in der Härte der geforderten Strafen für Gewalttäter wollte keiner der Redner hinter dem anderen, und insbesondere nicht hinter den Vorschlägen Ndung’us, zurückbleiben. Gesundheitsministerin Charity Ngilu favorisiert die physische Kastration und findet für diese Ansicht den Beistand in der ihr heiligen Schrift: »Die Bibel sagt: Wenn ein Teil deines Körpers dich veranlasst zu sündigen, sollte er entfernt werden.« Minister und Hinterbänkler forderten die öffentliche Kastration bzw. Hinrichtung durch Erschießungskommandos oder gar die Steinigung »nach südäthiopischem Vorbild«.

Der ursprüngliche Entwurf wurde einstimmig angenommen, ein entsprechendes Gesetz soll demnächst vorgelegt werden. Die Abgeordnete Ndung’u legte zur Bekräftigung ihrer Initiative, die von einigen Aufsehen erregenden Missbrauchsfällen inspiriert wurde, Polizeistatistiken vor, nach denen im letzten Jahr 2 300 Vergewaltigungen gemeldet wurden. Lobbygruppen und Behandlungszentren sprächen dagegen von 16 000 Fällen. Auch eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes Steadman International, aus der die keniatische Zeitung The Nation zitierte, legt nahe, dass Vergewaltigungen in Kenia weit verbreitet sind. Jeder fünfte Befragte gab an, jemanden zu kennen, der in den letzten drei Monaten vergewaltigt wurde.

Die so genannte chemische Kastration ist in einigen Bundesstaaten der USA vorgeschrieben und wird regelmäßig in Europa diskutiert. Dabei wird ein Hormongemisch gespritzt, das für wenige Monate den Testosteronspiegel senkt und so den Sexualtrieb reduzieren soll. Nicht nur die technische Effektivität einer solchen Behandlung wird von Gegnern bezweifelt. Sie nähre den Mythos, Vergewaltigungen würden ungeplant von Männern verübt, die ihre sexuelle Lust nicht kontrollieren können, erklärte das südafrikanische Rape Crisis Center anlässlich einer ähnlichen Diskussion vor sechs Jahren. In Kenia wie auch anderswo finden sich die Täter außerdem meist im Verwandten- oder Bekanntenkreis.

Kommentatoren wiesen auch darauf hin, dass einem Verdächtigen im Zeugengesetz die Möglichkeit eingeräumt wird, sich mit »Nachweisen zum fragwürdigen moralischen Charakter« des Opfers zu verteidigen. Zudem können sich zahlungskräftige Verdächtige in Kenias korruptem Rechtssystem ohne Schwierigkeiten freikaufen. Doch diese Fragen werden bisher nicht erörtert, weil es im Kern nicht um Gewaltverbrechen und deren Bekämpfung geht, sondern um die persönliche Profilierung von Politikern, die seit der »demokratischen Wende« von 2003 nicht viel vorzuweisen haben. Der damals mit großer Geste angekündigte Kampf gegen die Korruption beispielsweise ist kläglich gescheitert.