Alle auf den Mond schießen!

Das freie Radio »La Luna« hat den erfolgreichen Aufstand gegen die Regierung von Lucio Gutiérrez in Ecuador unterstützt. Jetzt gehen beim Sender Morddrohungen ein. von wolf-dieter vogel und sandy chávez, quito

Hochbetrieb bei Radio »La Luna«. Ständig klingelt das Telefon, Moderator Paco Velasco ist im Dauereinsatz. Die Chiche-Brücke sei von Militärs besetzt, berichtet ein Hörer, eine Studentin kündigt eine Versammlung an der Universität an. Velasco gibt die Tipps einer Anruferin weiter: »Essig hilft gegen Tränengas, und am besten immer ein Handtuch mit auf die Straße nehmen.« Dann erklingt Musik. »Ich bin ein Bandit«, singt eine Männerstimme, begleitet von einer scheppernden Gitarre, bis der Moderator den nächsten Anruf entgegennimmt.

Ecuadors Hauptstadt Quito im April: Indígenas, Bauern und Studenten liefern sich in der ecuadorianischen Hauptstadt Straßenschlachten mit der Polizei. Die Demonstranten klopfen auf Kochtöpfe, rufen: »Lucio soll abhauen.« Sie meinen den Präsidenten Lucio Gutiérrez. Und überhaupt: »Alle sollen abhauen!« Sie nennen sich »Forajidos« – »Banditen«, weil der Staatschef die Protestierenden einmal abfällig so bezeichnet hat.

Die Ursache ihrer Aktionen ist das korrupte und eigenmächtige Handeln von Gutiérrez, der den Obersten Gerichtshof kurzerhand mit regierungstreuen Juristen besetzte, um ein Verfahren gegen sich zu verhindern. Die Rebellion der Banditen hat Erfolg: Nach wochenlangen Protesten tritt der Staatschef am 20. April zurück. Für viele ist das ein Grund zum Feiern, und auch bei Radio »La Luna« ist man nicht unglücklich.

Der Lokalsender spielte schon zu Beginn des Aufstands eine wichtige Rolle. Die Radiomacher öffneten die Mikrofone für ihre Hörer und Hörerinnen. Wer wollte, konnte sich einbringen und loslegen gegen die Privatisierung öffentlicher Betriebe, gegen die hohen Lebensmittelpreise oder einfach, um eine Demonstration anzukündigen. »Das hat es hier noch nie gegeben«, meint eine Hörerin. »Das Radio hat uns gezeigt, dass ein Medium auch im Interesse der großen Mehrheit arbeiten kann und nicht nur für eine kleine Minderheit.« Sogar der spätere Nachfolger von Gutierréz, Alfredo Palacio, rief an, nachdem er von Sicherheitskräften kurzfristig festgenommen worden war. »Was können Sie für mich tun?« fragte er, und in ganz Quito konnte die Bevölkerung das Telefonat mithören.

Das Projekt entwickelte eine rasante Dynamik. Leute kamen, nutzten das Mikrofon, gingen auf die Straße. Viele aus der Bewegung sind von der zentralen Bedeutung von »La Luna« – dem »Mond« – überzeugt. Über die Frequenz UKW 99,3 wurde die Rebellion der Forajidos öffentlich koordiniert; ohne das Radio hätte der Aufstand längst nicht die Kraft entwickelt, um den Präsidenten aus dem Amt zu jagen.

Das sieht auch Paco Velasco so. Er ist nicht nur Moderator, sondern auch der Direktor des Lokalsenders. Mit ein paar anderen gründete er 1996 das nicht kommerzielle Basisradio. Vor allem die Menschen aus dem Viertel, die Indígenas, die Jugendlichen sollten zu Wort kommen. Nichts anderes sei jetzt passiert. Man habe den Kanal zur Verfügung gestellt, aber keinen Einfluss auf das Handeln und Denken der Menschen genommen, die das Medium genutzt hätten, sagt Velasco. »La Luna hat die politischen Äußerungen lediglich verstärkt. Wir haben die Bürger der Stadt dazu bewegt, ihre Meinung öffentlich zu vertreten und sich so als gesellschaftliche Kraft neu zu konstituieren.«

Unabhängige Medienprojekte wie »La Luna« sind im letzten Jahrzehnt in vielen Staaten Lateinamerikas entstanden: Community-Radios in den indigenen Gemeinden Guatemalas, Stadtteilradios in den Barrios von Buenos Aires oder Rio de Janeiro, Piratensender im Asphaltdschungel von Mexiko-Stadt. Gisela Dávila, die Direktorin des Verbandes Ecuadorianischer Basisradios, glaubt, dass diese Bewegung durch den Erfolg von »La Luna« erheblich gestärkt wurde. »In Quito hat sich gezeigt, welche bedeutende Rolle ein solcher Sender spielen kann«, meint sie. Dabei sei das Radio zunächst gar nicht so wichtig gewesen, ergänzt Professor Alexey Páez vom lateinamerikanischen Institut Flasco. »Doch die Massenmedien haben den sozialen Protest verleugnet und kaum über die Ereignisse berichtet«, erklärt er. »La Luna fand so großen Anklang, weil die Leute sich von den anderen Medien nicht einmal visuell repräsentiert fühlten.«

Dennoch ist der Lokalsender nicht mit Freien Radios vergleichbar, wie sie sich in vielen deutschen Städten mittlerweile etabliert haben. So haben die ecuadorianischen Radiomacher zum Beispiel kein Problem damit, Werbeaufträge von großen Konzernen oder Regierungseinrichtungen anzunehmen. Außerdem übernehmen Velasco und die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch redaktionelle Aufgaben. So moderiert der Radiodirektor an jedem Werktag ein politisches Magazin, und auch die Sportsendung mit professionellen Journalisten hat sich als feste Rubrik etabliert.

Velasco besteht trotzdem auf dem partizipativen Charakter des Projekts. »Mit ihren Handys, Aufnahmegeräten und Mikrofonen wurden die Leute auf der Straße kurzerhand zu Journalisten«, sagt er mit Blick auf die vergangenen Wochen. »Wir haben vor allem den Einfallsreichtum genossen, mit dem die Bevölkerung ihre Ablehnung von Caudillos und politischen Parteien zum Ausdruck brachte.«

Vieles spricht dafür, dass die derzeitige Ruhe in Ecuador nur von kurzer Dauer ist. Schließlich hatten die Demonstranten gefordert, dass alle aus der alten Garde abtreten und Neuwahlen durchgeführt werden. Präsident Palacio dagegen hat Politiker des ehemaligen Regimes in sein Kabinett geholt und ist verpflichtet, die Verträge mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank einzuhalten. Ecuador ist völlig verschuldet, und das nötige Geld, um die Schulden zu zahlen, soll das Land mit Erdölexporten sichern. Zudem will die Regierung der USA ihre militärische Präsenz in der Region garantiert sehen, nicht zuletzt, um von dort aus die kolumbianische Guerilla zu bekämpfen. Und dann ist da noch der Freihandelsvertrag, über den die Regierung mit den USA verhandelt.

All das kommt bei den »Banditen« nicht gut an. Schon in der vergangenen Woche rief eine »Gruppe, die darauf besteht, dass alle gehen«, im Radio zu Protestaktionen vor dem Parlament auf. Auch die indigene Bewegung hat angekündigt, so lange mit den Protesten weiterzumachen, bis das politische Establishment gegangen ist. Das sind keine leeren Drohungen. Gutierréz ist bereits der dritte Staatschef, der in den vergangenen acht Jahren dem Druck der Straße weichen musste. Im Jahr 1997 musste Abdala Buacaram seinen Amtssitz räumen, und drei Jahre später folgte ihm Jamil Mahuat. In allen Fällen hat das Radio seinen Teil zum Umsturz beigetragen.

Doch derzeit haben die Betreiber des Radios andere Sorgen. Immer wieder hat es in den letzten Monaten Angriffe gegeben. Plötzliche Stromausfälle und gewalttätige Aktionen regierungstreuer Gruppen sollten zu Zeiten des Aufstandes den Sendebetrieb lahm legen. Direktor Velasco befand sich bereits seit längerem in einem Schutzprogramm der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten. Doch die Angriffe gingen auch nach dem Regierungswechsel weiter. Anfang Mai haben Unbekannte, die sich selbst »Banditenjäger« nennen, Velasco mit dem Tode gedroht. Er hat deshalb das Land verlassen und befindet sich an einem unbekannten Ort.