Matador im Dreieck

Der Wiederaufbau im Irak stagniert, die Aufstellung einer Armee kommt kaum voran. Weil die Regierung und die US-Truppen den Terror nicht stoppen können, bilden sich überall im Land Milizen. von jörn schulz

Der Matador erscheint erst in der letzten Phase des Kampfes in der Arena. Nachdem Toreros, Picadors und Banderilleros den Stier wütend gemacht haben, muss er ihm den Todesstoß versetzen. Obwohl in der US-Regierung die Abneigung gegen das »alte Europa« verbreitet ist, darf man annehmen, dass die Militärführung an das machistische spanische Ritual dachte, als sie die in der vergangenen Woche begonnene Offensive im sunnitischen Dreieck »Operation Matador« taufte. Als Matador wird in den USA jedoch auch der Rodeo-Clown bezeichnet. Seine Aufgabe ist es, den wütenden Bullen abzulenken, nachdem dieser den Reiter abgeworfen hat.

Auch dieses Bild beschreibt die Lage der US-Truppen nicht ganz zutreffend. Von einem unmittelbar bevorstehenden Todesstoß für den »Widerstand« spricht die US-Regierung nicht mehr. Die Zahl der im Irak getöteten US-Soldaten hat 1 600 überschritten, die Zahl der Anschläge ist nach einem Abflauen Anfang des Jahres wieder gestiegen, und der Wiederaufbau verläuft ebenso schleppend wie die Aufstellung irakischer Polizei- und Armeeeinheiten.

Der vom US-Außenministerium veröffentlichte »Iraq Weekly Status Report« gibt die Zahl der Polizisten mit knapp 88 000 an, vermerkt jedoch: »Ohne Erlaubnis abwesendes Personal ist in diesen Zahlen enthalten.« Dem Verteidigungsministerium unterstehen angeblich 74 000 Soldaten. Als die US-Regierung im Februar ein Zusatzbudget in Höhe von 5,7 Milliarden Dollar für die irakischen Sicherheitskräfte beantragte, beurteilte sie die Kampfbereitschaft der bis zu diesem Zeitpunkt aufgestellten Einheiten als dürftig: »Bis auf eines haben diese 90 Bataillone nur leichte Ausrüstung und Bewaffnung, ihre Beweglichkeit und ihr Durchhaltevermögen sind sehr begrenzt.«

Nur bei wenigen Militäroperationen haben die offiziellen irakischen Streitkräfte eine bedeutende Rolle gespielt. Soldaten, Polizisten und ihre Familien wurden zum Ziel terroristischer Anschläge. Desertationen sind häufig, manche Einheiten gelten aber auch als vom »Widerstand« infiltriert.

Der bewaffnete »Widerstand« ist offenbar auch recht erfolgreich bei der Verhinderung des zivilen Wiederaufbaus. Die US-Regierung hat mehr als 18 Milliarden Dollar bereitgestellt, doch es mangelt an Möglichkeiten, das Geld auszugeben. Selbst im Ölsektor konnten nur 15 Prozent der zugeteilten 1,7 Milliarden Dollar verwendet werden, in den Bereichen Gesundheits- und Wasserversorgung lag die Rate unter zehn Prozent. Weder bei der Stromerzeugung noch bei der Ölgewinnung wurde der Stand der Vorkriegsproduktion erreicht.

Es ist derzeit kaum möglich, die Erfolgsaussichten eines von rechtsextremen Gruppen geführten Terror- und Guerillakrieges einzuschätzen. »Das US-Militär kann geschlagen werden«, stellt Oberst William S. Lind, ein konservativer Kritikern der US-Militärstrategie im Irak, in einem Beitrage für die Website Defense and the National Interest fest.

Die US-Strategie ist eine widersprüchliche Mischung aus militärischer Härte und großzügigen Integrationsangeboten. Im Pentagon erfuhr Lind, dass die Militärbürokratie glaubt, durch »chirurgische« Bombenangriffe die Bevölkerung zu einer Distanzierung von den Terrorgruppen zwingen zu können: »Die gesamte Geschichte des Luftkrieges zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein wird.« Auch bei der »Operation Matador« gehen Bombardements dem Vorstoß der Bodentruppen voraus. Die Zahl der im Irak getöteten Zivilisten liegt den Berechnungen von Iraq Body Count zufolge zwischen 21 500 und 24 500.

Die Ernennung John Negropontes, eines Veteranen des »schmutzigen Krieges« gegen die lateinamerikanische Linke in den achtziger Jahren, zum Botschafter im Irak stärkte den Verdacht, dass die USA mit der »Option Salvador« liebäugeln und Todesschwadronen einsetzen wollen. Belegt ist bislang nur, dass diese Option im Militärapparat diskutiert wurde. Sicher ist jedoch, dass die US-Truppen bei vielen Operationen von informellen irakischen Milizen unterstützt werden, die meist lokalen Politikern oder Warlords unterstehen.

Andererseits hat die US-Regierung immer wieder zu erkennen gegeben, dass sie nicht nachtragend und auch zur Integration von Gruppierungen bereit ist, die derzeit noch auf ihre Soldaten schießen. Die Angebote gelten vor allem dem ba’athistischen Flügel des »Widerstands«. Viele Ba’athisten trauern über den Verlust ihrer Macht und ihrer Privilegien. Wenn ihnen beides in ausreichendem Maß zurückgegeben wird, könnten sie bereit sein, die Waffen niederzulegen. Derzeit werden den Recherchen der New York Times zufolge mit der Hilfe sunnitischer Geistlicher informelle Gespräche geführt.

Diese Integrationspolitik stößt jedoch auf den Widerstand großer Teile des irakischen Parlaments und der Bevölkerung. Vor allem die schiitische Parlamentsmehrheit widersetzte sich dem Drängen der USA, ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Wahlen arabisch-sunnitischen Politikern Ministerposten zu geben. Nur die Ernennung Saadoun al-Dulaimis, eines ehemaligen ba’athistischen Offiziers und arabisch-sunnitischen Stammesführers, zum Verteidigungsminister fand Anfang Mai die Zustimmung des Parlaments.

Dass die US-Regierung nicht den erhofften Einfluss auf die irakische Politik gewonnen hat, könnte auf längere Sicht ein weiteres Argument für den Rückzug sein. Ihre wichtigsten Verbündeten haben sich entweder, wie Ahmed Chalabi, von den USA abgewendet oder blieben, wie der ehemalige Premierminister Iyad Allawi, in den Wahlen erfolglos. Als halbwegs zuverlässige Partner bleiben den USA allein die kurdischen Parteien Puk und KDP.

Entgegen manchen Erwartungen hat die Wahl einer irakischen Regierung nicht zu einer Schwächung des »Widerstands« geführt. Die von Musab al-Zarqawi geführten islamistischen Kämpfer haben wenig Interesse an »nationaler Selbstbestimmung«. Ihr Ziel ist es, die USA in einen Zermürbungskrieg zu verwickeln, von dem sie hoffen, dass er sich auch auf die Nachbarstaaten ausweitet. Gesprächs- und Integrationsangebote an ihre Adresse dürften vergeblich sein, und es ist fraglich, ob Offensiven wie die »Operation Matador«, die die Grenze zu Syrien sichern soll, den Zustrom von Jihadisten verhindern können. Lind glaubt, dass die USA einen längeren Zermürbungskrieg nicht durchhalten werden. »Lokale Feinde wissen, dass sie uns überdauern werden«, aber auch Verbündete und Neutrale würden ihre Entscheidungen auf der Basis dieser Gewissheit treffen.

Die Jihadisten denken nicht in Legislaturperioden, sondern in heilsgeschichtlichen Dimensionen, und bereits der eigene Tod ist für sie ein Sieg. Ihre Angriffe auf die zivile Infrastruktur steigern die Unzufriedenheit der Bevölkerung, und die gezielten Attacken auf die schiitische und die kurdische Zivilbevölkerung könnten einen Bürgerkrieg provozieren.

Als Reaktion auf die Anschläge und die Schwäche der Regierung bilden sich überall im Land Milizen. Dies ist ein erster Schritt zur Warlordisierung. Ob es zum Bürgerkrieg kommt, hängt letztlich davon ab, wie lange die irakische Gesellschaft dem täglichen Terror standhalten kann, ohne zu zerfallen oder selbst terroristisch zu werden.