Proletarier aller Länder, was geht heute noch ab?

Beverly Silver fragt in ihrem Buch »Forces of Labor« nach den Perspektiven der Arbeiterbewegung im Zeitalter der Globalisierung. von felix baum

Wo von »Globalisierung« gehandelt wird, ist erfahrungsgemäß Langeweile garantiert, und auch der Hinweis, dass der Weltmarkt nicht erst in den neuziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, gehört zur Endlosschleife akademischer Diskussionen. Beverly Silvers gerade in deutscher Übersetzung erschienenes Buch »Forces of Labor – Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870« betritt hingegen Neuland, weil es »die Geschichte eines gemeinsamen historischen Prozesses von Arbeitermilitanz und Kapitalmobilität« darzustellen versucht.

Ihre Auseinandersetzung mit Arbeiterunruhen in aller Welt führt nicht nur aus der Ödnis der sozialwissenschaftlichen Literatur heraus, sondern steht auch, ohne dies eigens zum Thema zu machen, der Renaissance nationalistischer und kulturalistischer Ideologien im Zuge der Antiglobalisierungsbewegung entgegen. En passant wird etwa geschildert, wie das Gewicht der Textilarbeiter den nationalen Befreiungsbewegungen in Indien und China zum Sieg verhalf, die sich dafür mit der staatlichen Kontrolle von Gewerkschaften oder nackter Repression bedankten. Kulturelle Differenzen wiederum sind der Untersuchung zufolge für die Kämpfe der Arbeiter vollkommen unerheblich.

Silver verzahnt die Weltsystemanalyse, die vor allem durch Immanuel Wallersteins Arbeiten über den historischen Kapitalismus bekannt geworden ist, mit den amerikanischen Labor Studies im Sinne einer wechselseitigen Kritik: Der Tendenz der ersteren, das globale System als eine »Dampfwalze« zu begreifen, hält sie die Wirkungsmacht der Arbeiterbewegungen entgegen, während der Annahme eines allgemeinen Niedergangs des Klassenkonflikts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Blick auf die Länder der Peripherie widersprochen wird. Anstatt Länderstudien vergleichend nebeneinander zu stellen, bemüht sich Silver darum, den inneren Zusammenhang zwischen den Arbeiterunruhen in aller Welt freizulegen und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsprozess, den Charakter des Staates und die Weltpolitik nachzuzeichnen.

Anhand der Automobilindustrie als wichtigster Branche des 20. Jahrhunderts wird gezeigt, wie die ständigen Produktionsverlagerungen dem Rhythmus der Arbeiterunruhen folgen: Die massenhaften Sitzstreiks in den amerikanischen Fabriken der dreißiger Jahre, mit denen die Anerkennung von Gewerkschaften durchgesetzt wurde, ziehen Ausweichversuche der Unternehmen nach sich und lassen in den fünfziger und sechziger Jahren vor allem Westeuropa als Produktionsstandort attraktiv erscheinen. Als sich auch dort die moderne Fließbandfertigung als äußerst verwundbar erweist, geht es ab den späten Sechzigern weiter nach Brasilien und Südafrika, dann nach Südkorea, um schließlich, wiederum nach heftigen Auseinandersetzungen, im Norden Mexikos und in China anzukommen. Produktionsverlagerungen sind keine leere Drohung, lösen das Problem mangelnder Profitabilität aber immer nur zeitweilig, weil der Schwächung der alten Belegschaften neue Arbeiterbewegungen in den frisch industrialisierten Regionen gegenüberstehen. Mit dieser These widerspricht Silver der verbreiteten Annahme, der globale Kapitalismus treibe die Lohnabhängigen zwangsläufig in einen »Wettlauf nach unten«.

Wie im geistesverwandten italienischen Operaismus, auf den sich Silver überraschenderweise nicht bezieht, erscheint der Klassenkonflikt stellenweise als alleinige Triebfeder historischer Entwicklung, während der Eroberung von Märkten bei der Ansiedlung von Industrien keine Bedeutung zuzukommen scheint. Dumpfe Siegesgewissheit, die sich an der verborgenen Macht der Arbeiter berauscht, verbreitet das Buch aber nicht. Der Einfluss der Arbeiterkämpfe auf den Verlauf des 20. Jahrhunderts macht sich als Modernisierung von Herrschaft geltend. Im Kapitel über den Zusammenhang von Arbeiterbewegungen und Weltpolitik wird etwa gezeigt, wie die reformistische »Sozialisierung des Staates« in den Metropolen unauflöslich mit Krieg und der Nationalisierung der Massen verbunden war, während die heftigen Unruhen im Gefolge des Vietnamkrieges den Übergang zur High-Tech-Kriegsführung befördert haben.

Auch die gegenwärtige Schwäche der Arbeiterbewegungen bestreitet das Buch nicht. Nur meldet es Zweifel an der Vorstellung an, eine vermeintlich neue Mobilität des Kapitals, Just-in-time-Produktion oder die Ausweitung der Finanzsphäre bedeuteten ihr definitives Ende. Als mögliche Orte neuer Klassenbildung werden die Wachstumsbranchen Halbleiterindustrie, unternehmens- sowie personenbezogene Dienstleistungen und der Bildungsbereich untersucht. Frei von Nostalgie für schwielige Arbeiterfäuste, aber auch ohne der grassierenden Euphorie über die »immaterielle Arbeit« à la Toni Negri zu erliegen, wendet sich Silver dagegen, »Arbeiterunruhen in der Unterhaltungsindustrie als Gerangel zwischen privilegierten Schichten« abzutun, und berichtet von zunehmenden Kämpfen der Lehrer in den letzten Jahrzehnten, während die rapide Industrialisierung Asiens auf die anhaltende Bedeutung der Fabrikarbeiterklasse verweist. Es macht die Stärke des Buches aus, der Scheinklarheit von Modebegriffen wie »Fordismus« und »Postfordismus« die genaue Untersuchung der weltweiten Arbeitsteilung vorzuziehen, ohne in Erbsenzählerei zu verfallen. Auch bei Prognosen bleibt Silver vorsichtig; ob sich die Arbeiter in den bisherigen Zentren mit protektionistischen Forderungen an den Staat ketten oder der Internationalismus eine neue Blüte erlebt, bleibt offen.

Das Schlussplädoyer für »eine internationale Ordnung, die den Profit tatsächlich der Existenzsicherung aller unterordnet«, kommt einerseits überraschend. Denn die Möglichkeit einer auch nur halbwegs harmonischen Ordnung erscheint nach ihrer Skizze des 20. Jahrhunderts als reinste Utopie. Der Kapitalismus stolpert von einer Krise in die nächste, Legitimität und krisenfreie Akkumulation sind nicht zu vereinbaren, Auswege aus dem Dilemma stets räumlich und zeitlich begrenzt. Andererseits gab und gibt es an den beschriebenen Forces offenbar nichts, was über die bestehenden Verhältnisse hinausweisen würde. Sozialistische und kommunistische Parteien spielen so wenig eine Rolle wie die Rätebewegungen oder der Anarchosyndikalismus, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts massenhafter Ausdruck proletarischer Unzufriedenheit von Spanien über die USA bis nach Lateinamerika war. Bereinigt von allen weitergehenden Zielen, werden die geschilderten Arbeiterunruhen auf ihre gewerkschaftlichen Züge zusammengekürzt und, gestützt auf eine umfangreiche Datenbank der World Labor Research Group, in Kurven und Tabellen gepresst. Was aber besagt ein Mittelwert, der sich aus Gewerkschaftsritualen, wilden Streiks und regelrechten Aufständen zusammensetzt?

Indem das Buch erklärtermaßen vom Bewusstsein der Akteure abstrahiert, liefert es die Antithese zu einer Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung, die nur von Parteien und Ideologien handelt, und bleibt ebenso unbefriedigend. Während dort die maßgeblichen Handlungen der Arbeiterführer oder mangelndes Klassenbewusstsein die Geschichte erklären, nimmt der Klassenkampf in Silvers Darstellung mechanistische Züge an und droht sich stellenweise in Arithmetik aufzulösen. Die Arbeiter verfügen über verschiedene Formen von Macht, denen die Gegenseite mit verschiedenen Strategien auszuweichen versucht, und so scheint es bis in alle Ewigkeit weitergehen zu können.

Notwendigkeit und Möglichkeit der Umwälzung der Weltgesellschaft liegen vollständig außerhalb des Horizonts der Untersuchung. Silver beschreibt das Scheitern eines globalen »New Deal« der nachholenden Entwicklung in weiten Teilen der Peripherie, fragt aber nicht, welche Perspektive sich den Millionen aus der Produktion ausgeschlossenen Proletarisierten dann noch bietet; die anvisierte soziale Zügelung der Profite ersetzt die Frage nach einer Vergesellschaftung jenseits des Werts. Entsprechend wird Marx als Theoretiker der Produktionsmacht der Arbeiter vorgestellt, darunter aber nur der Widerstand innerhalb der Produktion verstanden, nicht ihre Übernahme in eigene Regie.

Was das Dahinschwinden von entsprechenden Anläufen im Laufe des 20. Jahrhunderts mit Veränderungen im Arbeitsprozess und dem Aufstieg der Gewerkschaften zu tun haben könnte, zählt nicht zu Silvers Fragen. Erst recht nicht, ob solche Versuche durch die stärkere internationale Arbeitsteilung erschwert oder durch neue Technologien erstmals auf weltweiter Ebene realistisch werden.

Beverly Silver: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. Assoziation A, Berlin 2005, 284 Seiten, 18 Euro