Sex & Drugs & Sirtaki

Turbonegro tut weh. Und das tut gut. Ein Konzertbericht von markus ströhlein

Haben Sie den Geist des Rock’n’Roll in Ihrer Fotze?« Was für eine Frage. Oft diskutiert man nach einem Konzert, was denn nun der Höhepunkt gewesen sei. War es dieser oder jener Song? Die Licht-, Dia-, Pyroshow oder gerade die Abwesenheit jeglicher Sperenzchen? Oder, auch Enttäuschungen kommen vor, der Heimweg? Beim Konzert von Turbonegro sind es schlichte drei oder vier Sekunden. Länger braucht Hank von Helvete nicht, um in gebrochenem Deutsch und höflichem Ton die Frage des Abends zu stellen. »Haben Sie den Geist des Rock’n’Roll in Ihrer Fotze?«

Ein kleines Sätzchen, mag mancher denken. Das ist weit gefehlt. Das Sätzchen stammt nicht einfach aus dem Mund des Sängers von Turbonegro. Das Sätzchen ist Turbonegro. Der Charme des Dandys verschmilzt mit der Obszönität des Gossenpunks. Und ganz nebenbei jagt die Frage den Schwanzrockern, die auch an diesem Abend in großer Zahl vertreten sind, den Schauer der Kastrationsangst über den Rücken.

Selbstverständlich sind Turbonegro eine glamouröse Band. Das Image ist ausgefeilt. Die Songs sind exzellent. Doch Schminke kaufen kann jeder. Und gute Songs schreiben können auch andere. Details wie Hanks Ansage machen die Band einzigartig. Aus ihr spricht das Talent, das Charakteristische des Rock pointieren zu können wie niemand sonst, das Gute wie das Schlechte. Die Fähigkeit zur Distinktion ist bitter nötig. Denn der Ort des Konzerts, »Huxley’s Neue Welt« in Berlin, verbreitet den tristen Hauch des Mainstream-Business. Die indirekte Beleuchtung überspielt den Mehrzweckhallencharakter nur dürftig. Teures Bier wird aus billigen Plastikbechern gereicht. Mit Punk hat das wenig zu tun.

Doch vielleicht müssen Turbonegro gerade hier spielen. Das »Huxley’s« liegt im Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Neukölln, inmitten einer unansehnlichen Gewerbewüste. Mit einem Baumarkt, einem Fitnesstempel, mehreren Supermärkten und der obligatorischen Spielhölle finden sich hier die Bausteine einer Vorstadtlandschaft, die schon immer der Nährboden des Punk war, ob in den Siebzigern für gelangweilte US-Kids oder für Turbonegro im Oslo der frühen Neunziger.

Punk wird aus der Negativität geboren. Turbonegro sind der beste Beweis dafür. Gitarrist Euroboy trägt auch an diesem Abend sein neues, für das aktuelle Album »Party Animals« entworfenes Outfit. Es besteht aus einem langen schwarzen Mantel und einer SS-Mütze. Der Adler mit dem Hakenkreuz fehlt zwar, aber der SS-Totenkopf ist noch dran. Das ist nicht schön. Das tut weh. Zur Identifikation taugt das nicht. Wo die Hippies noch mit Pathos (»Wir sind die Guten«) unbefleckte Helden umtanzten, hat der Punk die Figur des Rock-Messias zerstört. Euroboy steht in guter Tradition. Schon immer hat Punk seinem Publikum die Fratze des eigenen faschistischen Potenzials vorgehalten. Doch eine Brechung des Images ist für Euroboy nicht genug. Schließlich sind da noch dieses glitzernd überschminkte Gesicht, dieser in Korrespondenz zu den Gitarrensoli schmollende Mund und die androgyne Erscheinung, die ganz und gar nicht ins standardisierte Bild des hart rockenden Mannes passt.

Die Paradetunte des Abends gibt Keyboarder und Gitarrist Pol Pot Pamparius. Da wird der kleine Finger abgespreizt, auf Zehenspitzen getänzelt wie eine Primaballerina und ordentlich mit dem Hintern gewackelt. Diese Choreografie der Affektiertheit spielt noch am deutlichsten mit dem früheren Homoimage der Band. Ansonsten geht die Bühnengarderobe weg vom uniformen Denimlook, den Turbonegro nur noch für die Zugabe auspacken, hin zur persönlichen Note. Bassist Happy Tom mimt immer noch den Seefahrer, scheint aber mittlerweile vom Drogen schmuggelnden Leichtmatrosen zum ganz in Weiß gekleideten zweiten Offizier aufgestiegen zu sein. Gitarrist Rune Rebellion ist der bärtige Dandy im Samtanzug, ein Zylinder auf dem Kopf. Er wirkt, als hätte man ihn per Zeitmaschine aus dem London des 19. Jahrhunderts auf die Bühne befördert. Chris Summers, selbst ernannter »Prince of Drummers«, hat sich während der Aufnahmezeit für die aktuelle Platte in Los Angeles ein Stirnband besorgt, wie es die dort ansässigen Latinogangs oder die Suicidal Tendencies tragen. Das ergibt mit dem kleinen Hütchen und dem Alptraum von einer Sonnenbrille die fehlgeschlagene Kreuzung aus Straßenschläger und Pornodarsteller. Das Schauspiel, angesiedelt zwischen den Village People, Ziggy Stardust, den New York Dolls und B-Movies, die man gar nicht erst sehen möchte, krönt Sänger Hank von Helvete. Er ist der beste Gegenentwurf zur Figur des »Frontmanns«. Sein Oberkörper ist immer noch stark behaart. Aber fetter ist er geworden. Bei jeder Bewegung schwappt die Leibesfülle unter den seltsamen mittelalterlichen Lederriemen, die sich über seiner Brust kreuzen. Wäre Charles Manson Wikinger, wäre das sein Look. In Hank kulminiert die Botschaft Turbonegros. Wir sind hässlich. Wir sind Außenseiter. Aber wir sind allemal cooler als all die brathähnchenbraunen Solariumopfer mit ihren gestählten Körpern.

Der Reigen an Verweisen setzt sich musikalisch fort. Die Band hat nie behauptet, den Rock’n’Roll neu zu erfinden. »High On the Crime« heißt ein Song, den sie spielen. Er ist eine Ode an den Diebstahl. »Das letzte, was ich geklaut habe, war ein Gitarrenriff«, konstatierte Euroboy passend. Turbonegro machen Musik über Musik. Die Songs der Norweger sind eine große Reminiszenz an Punk und klassischen Rock, also sowohl an die Stooges, die Ramones, die Dictators und Black Flag als auch an AC/DC, Ted Nugent und Bachman Turner Overdrive. Und sogar an Queen.

»City of Satan« ist die trashige Version von »We Will Rock You« und funktioniert live wie eine Mitklatschnummer für das Stadion. Turbonegro tragen sie so todernst vor, dass man kaum vermeiden kann zu lachen. Auch der Rest des Programms wird vom Publikum gefeiert. Eine Setlist zu erstellen, dürfte für die Band so sein, wie einen Multiple-Choice-Test zu absolvieren, bei dem man nur richtige Antworten ankreuzen kann. Sie verfügt mit »Apocalypse Dudes« über ein ganz großes Album und mit »Ass Cobra«, »Scandinavian Leather« und »Party Animals« über drei Platten weit über dem Durchschnitt. So gut Turbonegro optisch funktionieren – tun sie es auch musikalisch? Routine? Rock’n’Roll ist wie Pizza. Das Grundrezept ist recht starr. Doch mit Variationen ist beides immer wieder gut. Die Norweger wissen um die Wichtigkeit der Abwandlung in den Details. Hank zündet sich an diesem Abend keine Arschrakete an. Dafür regnet es Luftballons mit Band-Aufdruck, Turbonegro-Spielgeldscheine und goldenes Konfetti. Da kann nichts schief gehen, selbst wenn gegen Ende des Konzerts mal der Strom ausfällt. Mit »I Got Erection« schaukeln Turbonegro selbst das kurzzeitig angeschlagene Schiffchen sicher in den Hafen. Die Band und das Publikum tanzen zum Sirtaki, der aus den Boxen kommt. Und Sänger Hank verabschiedet sich auf seine Weise: »Auf Wiedersehen, Berlin, du geile Drecksau.«