Endlich Raucher!

Tabak schmeckt nicht, macht aber trotzdem abhängig. Wer aufhören will zu rauchen, muss aber erst einmal anfangen. von elke wittich

Ein richtiger Genuss war das auf keinen Fall. Und überhaupt, kann etwas, das Husten, Herzklopfen, Schwindel und Brechreiz hervorruft, wirklich ein Genuss sein? Dennoch war es notwendig, diese hässlichen Nebenwirkungen tapfer zu ertragen, bis man endlich war, was man so dringend sein wollte: eine richtige Raucherin.

Denn die jüngste und kleinste Schülerin des Kleinstadtgymnasiums zu sein, war kein Spaß, und wie sollte man sonst zeigen, dass man im Grunde schon richtig erwachsen war, wenn nicht mit einer Zigarette in der Hand? Bevor man sich jedoch nonchalant rauchend auf dem Schulhof präsentieren konnte, musste geübt werden, denn ein Hustenanfall hätte die ganze schöne Performance zunichte gemacht, so viel war klar.

Ärgerlicherweise schmeckte diese Zigarette ganz furchtbar. Vielleicht war es doch ein Fehler, ausgerechnet mit einer Roth-Händle ohne Filter das Rauchen anzufangen. Mit Filterzigaretten klappte es schon deutlich besser, so dass nur wenige Tage später die erste öffentliche Raucherei stattfinden konnte.

Zuerst musste die Marke festgelegt werden, von der man zukünftig abhängig sein wollte. Mädchenzigaretten waren verpönt. Die Dinger mit den auf den weißen Filter gedruckten Blümchen etwa galten als hochgradig peinlich. Einige Sorten (HB, Ernte 23, Lord Extra) waren wegen der ganz und gar hässlichen Packung verboten.

Im Grunde waren nur Camel und Marlboro coole Marken. Am coolsten war es, wenn man seine Zigaretten selber drehte. Was für jemanden, der motorisch notorisch ungeschickt ist, jedoch nicht in Frage kam. Schließlich ist es völlig unmöglich, hip zu wirken, wenn man über und über mit Tabakkrümeln bedeckt ist, während man eine Zigarette im Mund hat, die gerade dabei ist, sich in Rauch aufzulösen. Und wenn man überdies gleichzeitig an der Lippe blutet, weil das verdammte Papier die Tendenz hat, mit der zarten Haut eine unauflösliche Verbindung einzugehen. Also Camel Filter.

Vielleicht hätte es damals noch eine Chance gegeben, Nichtraucherin zu bleiben. In einer Raucherfamilie mittels Zigaretten zu revoltieren, ist ziemlich schwierig, denn hey, niemand, der dauernd nach Tabakrauch stinkt, wird bemerken, wenn die Tochter plötzlich nach Aschenbechern riecht.

In einer liberalen Raucherfamilie mit Zigaretten zu revoltieren, ist noch schwieriger. Demonstrativ paffend über die Hauptstraße zu schlendern, brachte jedenfalls nicht das gewünschte Resultat.

Herr Dingsda, erzählte Papa beim Mittagessen beiläufig, habe bei ihm vorgesprochen und irgendwann recht unvermittelt gefragt, ob man denn wisse, dass die Tochter rauche. Da war er nun, der große Moment, in dem man den blöden Verwandten klarmachen könnte, was man wirklich von ihren Lebensentwürfen hielt, inwiefern man sich davon unterschied und dass sie einem zwar alles Mögliche verbieten konnten, man sich aber einfach nicht daran halten werde, und basta.

Pfff, nicht in dieser Familie. Auf die bange Frage: »Und, was hast du gesagt?« antwortete Papa: »Na, was soll ich gesagt haben? Ich konnte ihm ja schlecht diesen Triumph lassen. Deswegen hab’ ich ihm erklärt, dass ich dir das Rauchen erlaubt habe!«

Aus Opposition sofort die Pafferei sein zu lassen, ging natürlich nicht. Denn da war ja noch die Schule. Wie fortschrittlich eine Schule war, wurde damals daran gemessen, ob der Direktor dem Drängen der Oberstufe nachgegeben und eine Raucherecke eingerichtet hatte. Die Pause dort zu verbringen, war äußerst wichtig, denn, soweit man das in dem vernebelten Raum sehen konnte, war es der Ort, an dem die coolsten Typen der Schule anzutreffen waren. Und nun würde man sogar ein gemeinsames Gesprächsthema haben. »Haste mal Feuer?« würde man etwa sagen. Oder: »Gib mir mal den Aschenbecher.« Oder auch: »Deine Lippe blutet.«

Was machte es da schon, dass man in beinahe jedem Fach über die Gefahren des Rauchens aufgeklärt wurde. Sterblich, so viel war klar, waren nur die anderen. Und Lehrern, die keine Ahnung von Lifestyle hatten und nicht mal in der Lage waren, die Hits in den Charts voneinander zu unterscheiden, konnte man sowieso nicht trauen. Womöglich hatten sie die Bilder von geteerten Lungen und blutigen Geschwüren sowieso selber gefälscht.

Und überhaupt: Geraucht wurde schon immer, und wenn die Qualmerei wirklich so gefährlich wäre, dann wäre die Menschheit sicher schon ausgestorben.

Bereits seit dem 17. Jahrhundert ist das Rauchen in. Der Seefahrer Sir Walter Raleigh hat es zur Mode gemacht. Wie wichtig ihm der Tabak war, wurde deutlich, als er auf Befehl des Königs Jakob I. hingerichtet werden sollte, in letzter Sekunde jedoch begnadigt wurde. »Über diesem Unsinn« sei ihm »doch glatt die Pfeife ausgegangen«, brummelte der Volksheld.

Die Kirche sah den Tabak als Teufelszeug. Der Klerus verdammte die Sitte des »Tabaksaufens«. Der Abt des schweizerischen Basel etwa verbot 1650 unter Androhung einer drastischen Geldstrafe den Nikotingenuss: »Wenn ich Mäuler seh’, die Tabak rauchen, so ist es mir, als säh’ ich lauter Kamine der Hölle.«

Dass Nikotin abhängig macht, spielte in der Argumentation der Kirche keine Rolle. Dabei wurden die Süchtigen rasch als Einnahmequelle für den Staat entdeckt. Der britische König Karl I. erließ 1625 die erste Tabaksteuer der Welt.

Im Gegensatz zu heutigen Rauchern hatten diejenigen, die damals ihre Drogenabhängigkeit loswerden wollten, allerdings keine Hilfsmittel zur Verfügung. Das Gemeine am Nikotin ist seine Wirkung auf Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark. Beim Inhalieren wird Dopamin freigesetzt, das ein Glücksgefühl bewirkt und die Konzentrationsfähigkeit steigert. Fehlt es plötzlich, hat man ein Problem.

Darauf hatte einen niemand vorbereitet damals, in dem verqualmten Raucherraum. Wie lächerlich man sich als Raucher benimmt, wurde erst später klar. Die Angst, die sich einstellt, wenn man mitten in der Nacht plötzlich entdeckt, dass nur noch drei Zigaretten in der Packung sind und man leider kein Kleingeld mehr besitzt, führt zum Beispiel dazu, dass man auf einmal bereit ist, Dinge zu tun, die man normalerweise nicht im Repertoire hat. Sich auf die Straße zu stellen und Autofahrer anzuhalten, um sie zu bitten, einen Geldschein zu wechseln. Die Spardose der Kinder zu knacken oder heimlich im Portemonnaie des Partners zu wühlen. Aus alten Stummeln den Tabak zu holen, um damit neue Zigaretten zu drehen. Zigarillos auf Lunge zu rauchen. Oder ein Schlafmittel zu nehmen, um die nur schwer erträgliche Zeit bis zur Öffnung des Kiosks gegenüber wenigstens nicht bei vollem Bewusstsein erleben zu müssen.

Aber das ist noch lange nicht alles. Richtige Raucher erleben nicht nur Zigaretten-, sondern auch Feuerkrisen. Ein leeres Feuerzeug kann heftige Wutanfälle zur Folge haben, bevor man sich daranmacht, Herdplatten zum Erglühen zu bringen, beim eigentlich sehr unangenehmen Nachbarn zu klingeln oder, Verbrennungen einkalkulierend, sich mit dem Toaster zu beschäftigen.

Cool ist das ebenso wenig wie während der Vorstellung aus dem Kino zu rennen, um rasch ein paar Züge zu nehmen, beim heimlichen Rauchen in irgendeiner nikotinfreien Zone erwischt zu werden oder nur deswegen nicht in die USA zu fliegen, weil man schon den Gedanken an die lange zigarettenlose Zeit nicht ertragen kann. Und gibt es einen deprimierenderen Anblick als graugesichtige Herzinfarktpatienten, die vor der Klinik herumstehen und hastig rauchen? Eigentlich nicht.

Selbst jetzt, da man ziemlich sicher weiß, dass nicht nur die anderen sterblich sind, und man jeden Morgen erst einmal einen ausgiebigen Raucherhustenanfall hat, klappt die Sache mit dem Aufhören einfach nicht. Dass es viele Dinge gibt, die man noch nie ohne Zigarette in der Hand getan hat, ist deprimierend, und natürlich hat Allen Carr (»Endlich Nichtraucher!«) mit seinen Ausführungen über die Dusseligkeit des Rauchens absolut Recht.

Aber wer es schafft, trotz aufgeklebtem Nikotinpflaster zu rauchen und unschöne Nebeneffekte wie Schwindel und Übelkeit ebenso tapfer ignoriert wie damals bei der ersten Roth-Händle, ist wahrscheinlich ein hoffnungsloser Fall. Bei ihm werden auch die empfohlenen Motivationstricks nichts nutzen. Jeden Tag das ersparte Geld zurückzulegen, um sich dann schließlich etwas ganz Wunderbares davon zu kaufen, geht nicht, wenn das Großartigste, das man sich vorstellen kann, ein Päckchen Zigaretten ist. Soll man von den vielen Scheinen dann etwa ganze Stangen erwerben?

Und der Plan, den neuen Reichtum für schicke Kleidung auszugeben, scheitert regelmäßig an der Vorstellung, dass man sich, aufgrund des dauernden Essens während des Entzugs schwer übergewichtig geworden, in eines dieser scheußlichen Spezialgeschäfte für Übergrößen schleppt, nur um dort zu hören: »Äh, Ihre Größe führen wir leider nicht, versuchen Sie es doch bitte in einem Zubehörgeschäft für Elefanten!«

Verreisen? Wo man sich nach Zigaretten sehnt, ist wurschtegal, also kann man genauso gut zu Hause bleiben, statt schlecht gelaunt anderen am Traumstrand beim Rauchen und Dünnsein zuzuschauen. Selbstbetrug scheidet also aus. Und die angebotenen Hilfsmittel haben den Nachteil, dass sie nicht funktionieren – und keine Zigaretten sind. Nikotinkaugummis schmecken widerlich und Nikotinpflaster sehen hässlich aus. Kautabak macht braune Zähne, und Schnupftabak ist eine blödsinnige Erfindung, jedenfalls für jemanden, der Wert darauf legt, nicht andauernd Niesanfälle zu haben und andere Menschen anzurotzen.

Einzig die in Skandinavien erhältlichen, unfassbar teuren Nico-Stopp-Geräte könnten einen Erfolg bringen. Dabei handelt es sich um ein zigarettenförmiges Röhrchen, das mit Nikotin gefüllt wird. Nuckelt man an dem Ding, sammelt sich genügend von dem Alkaloid im Blut an, so dass das Verlangen nach einer Kippe deutlich vermindert wird. Was sich streng genommen nach einem ganz besonders beknackten Konzept anhört: Für umgerechnet rund fünf Euro pro Zug bekommt man Nikotin und das Gefühl, eine Zigarette zu rauchen.

Wie viel könnte man da sparen, wenn man gleich weiter raucht? Immens viel, und wenn man sich den gesparten Betrag brav zurücklegt, kann man schon bald eine Menge schöner Sachen damit machen. Schicke Klamotten in einer gängigen Größe kaufen etwa, in einem Sternerestaurant essen gehen oder eine mindestens zweiwöchige Reise an ein hübsches Meer antreten oder jede Menge Filme außerhalb des Kinotages anschauen. Oder so.

Und dann wird irgendwann mit dem Rauchen aufgehört, später, sehr viel später. Denn wozu sich jetzt mit dem Nikotinentzug abquälen, wenn vielleicht schon im nächsten Jahr von den zweifelsfrei fieberhaft daran forschenden internationalen Rauchentwöhnungsexperten ein wirklich wirksames Mittel erfunden wird?