Hitlers schwedische Soldaten

Der schwedische Historiker Bosse Schön untersucht die Kollaboration seiner Landsleute mit den Nationalsozialisten. von bernd parusel, stockholm

Kein Journalist habe ihn je gefragt, ob er eigentlich einen bestimmten Plan verfolge, schreibt Bosse Schön im Vorwort seines soeben in Schweden erschienenen Buchs »Hitlers schwedische Soldaten«. Dennoch gibt er eine Antwort darauf: Ja, er habe einen Plan, und zwar keinen geringeren, als Schweden dazu zu bringen, »seine wirkliche Rolle im Zweiten Weltkrieg nicht länger zu verschweigen«. Mit Büchern, Zeitungsartikeln und Dokumentarfilmen arbeiten Schön und sein Mitarbeiter Tobias Hübinette schon seit mehreren Jahren auf dieses Ziel hin. Das jetzt erschienene Werk ist eine Zusammenführung und Aktualisierung zweier früherer Bücher des Historikers: »Schweden, die für Hitler kämpften« (1999) und »Wo die eisernen Kreuze wachsen« (2001).

Er habe in der Schule gelernt, dass sein Land am Zweiten Weltkrieg nicht beteiligt gewesen sei, schreibt Schön. Geradezu als die »unschuldigste Nation der Welt« sei Schweden präsentiert worden. Lange, und zum Teil noch heute, wurden in schwedischen Bildungseinrichtungen zwar die Geschichte des »Dritten Reiches« und der Kriegsverlauf gelehrt. Das eigene Land kam dabei jedoch kaum vor. Dem Mainstream der Geschichtsschreibung zufolge gab es wenig über Schweden zu berichten. Dank außenpolitischer Neutralität sei man im Zweiten Weltkrieg unversehrt geblieben und im Unterschied zu den Nachbarn in Norwegen oder Dänemark einer Besetzung durch Nazideutschland entgangen. Mit den Verbrechen des Hitlerregimes habe man nichts zu tun gehabt, und von der systematischen Judenvernichtung habe man, wie Politiker der damaligen Zeit erklärten, erst erfahren, als es zu spät gewesen sei.

Nach jahrelanger Recherche in den Archiven der schwedischen Geheimpolizei Säpo und in Gesprächen mit Zeitzeugen hat Schön eine Vielzahl von Fakten zu Tage gefördert, die ein anderes Bild ergeben. So war Schweden zwar offiziell neutral. Nicht von Deutschland besetzt zu werden, wurde jedoch auch mit Nachgiebigkeit gegen den Führerstaat erkauft. So durften deutsche Truppen auf dem Weg von und nach Norwegen schwedisches Territorium passieren, und das strategisch wichtige schwedische Eisenerz wurde während des Krieges weiter an Deutschland geliefert.

Schön hat außerdem Belege dafür, dass sich im Schatten der offiziellen Neutralität mindestens 280 Schweden freiwillig der deutschen Waffen-SS anschlossen, um, wie er sagt, ein »reinrassiges Großgermanien zu schaffen – befreit von Juden und anderen ›Untermenschen‹«. Zusammen mit Soldaten aus Norwegen, Dänemark, Estland und Frankreich kämpften 39 von ihnen in der SS-Division »Nordland«. Einige waren sogar noch an der Schlacht um Berlin unmittelbar vor der Kapitulation der Wehrmacht beteiligt.

Als die schwedischen Legionäre 1945 nach Hause zurückkehrten, änderten viele ihre Namen und entzogen sich erfolgreich der Öffentlichkeit. Andere dagegen verbreiteten weiter nationalsozialistische Ideen oder schufen Netzwerke, um Kriegsverbrechern dabei helfen zu können, sich in Schweden, Argentinien, Brasilien oder Spanien zu verstecken. Einige ehemalige SS-Soldaten, aber auch viele jener Schweden, die zu Hause in nationalsozialistischen Bewegungen aktiv waren, dienten späteren Generationen von Rechtsextremen als Geldgeber und Vorbilder und warben noch lange nach 1945 für ihre Ziele. Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSAP) Sven Olov Lindholms, 1938 in Svensk Socialistisk Samling (SSS) umbenannt, forderte noch 1948 die Einführung von »Rassenbiologie und -hygiene« als obligatorisches Schulfach in Schweden, warb für ein Verbot von Eheschließungen mit Juden und verlangte staatliche Gelder für kinderreiche, »reinrassige« Familien. Erst 1950 löste sich die SSS auf.

Zwischen 1924 und 1945 gab es in Schweden rund neunzig faschistische Organisationen, von Parteien, Jugendverbänden und Gewerkschaften bis zu Unternehmerorganisationen und elitären Diskussionsclubs. Naziparteien erreichten – hauptsächlich wegen der Zersplitterung der Bewegung – zwar nie Mandate im Reichstag, hatten jedoch zahlreiche Vertreter in Gemeindeparlamenten und zehntausende Mitglieder. 28 000 davon sind heute namentlich bekannt – eine Zahl, die, wie Schön urteilt, dem verbreiteten Mythos widerspreche, die schwedischen Nazis seien wenige gewesen und hätten keinen Einfluss gehabt. Viele gehörten der Oberschicht ihres Landes an, 200 waren Professoren oder Universitätsdozenten. Ihre Aktivitäten gingen so weit, im Schatten der Regierung des sozialdemokratischen Premierministers Per Albin Hansson einen schwedischen Beitrag zur Vernichtung der europäischen Juden vorzubereiten. 1941 forderte die SSS ihre Mitglieder auf, Verzeichnisse von Juden zu erstellen, die in ihrer Umgebung ansässig waren, und an die Parteizentrale zu senden. In der Gemeinde Sjöbo arbeiteten Nazis Pläne für den Bau von Konzentrationslagern aus und hielten Pfosten, Stacheldraht und Bauteile für Baracken bereit. Im Fall eines deutschen Einmarschs sollten die damals rund 8 000 schwedischen Juden eingesperrt und an Hitler übergeben werden.

Darüberhinaus hatten die Ideologien schwedischer Naziparteien auch Einfluss auf die Politik der Regierung. So wurde im Februar 1939 eine besondere Art der Volkszählung angeordnet. Alle in Schweden wohnhaften Ausländer wurden verpflichtet, sich auf einem dreiseitigen Formular registrieren zu lassen und dabei auch anzugeben, ob sie jüdischer Abstammung waren. Als nach der deutschen Reichspogromnacht im Jahr 1938 täglich 200 jüdische Flüchtlinge versuchten, nach Schweden zu gelangen, wurde nur ein kleiner Teil von ihnen ins Land gelassen. Erst 1942, als norwegische Juden von den deutschen Besatzern in Konzentrationslager deportiert wurden, erleichterte Schweden seine Einreisebestimmungen.

Bosse Schön wäre, wie er selbst kürzlich in einem Artikel in der linken Wochenzeitung Arbetaren schrieb, kaum an das Material gekommen, hätte er nicht auf die Arbeit eines heute nahezu vergessenen Journalisten und Nazijägers aufbauen können, des Syndikalisten Armas Sastamoinen. Zwischen 1947 und 1983 ermittelte Sastamoinen zielstrebig die Personen, die hinter der NSAP und der SSS standen und veröffentlichte die Namen bis dahin unbekannter ehemaliger Nazis, die inner- oder außerhalb Schwedens für Hitler Partei ergriffen hatten.

Als Schöns erstes Buch Ende 1999 erschien, wurde es heftig diskutiert. Die Stockholmer Universität hatte Mitte der neunziger Jahre in einer Umfrage unter Jugendlichen herausgefunden, dass die Kenntnisse über den Völkermord an den Juden gering waren. Über die Hälfte der Jugendlichen konnte sich unter dem Begriff »Holocaust« nichts vorstellen. Der sozialdemokratische Premierminister Göran Persson initiierte daraufhin das Projekt »Lebendige Geschichte«, das inzwischen zu einer Dauereinrichtung wurde, die mit Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen den Holocaust beleuchtet. Unter dem Titel »Darüber sollt ihr berichten« gab die Regierung außerdem ein Buch über die Verbrechen Nazideutschlands heraus, das in Millionenauflage gratis an Schulen und Privatleute verteilt wurde. Den letzten Teil der Aufklärungsoffensive bildete eine Serie internationaler Konferenzen für Politiker, Abgesandte internationaler Organisationen und Wissenschaftler zu den Themen Holocaust, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, Versöhnung sowie Völkermord in den Jahren 2000 bis 2004. Kurz vor der ersten dieser Konferenzen erschien Schöns Buch »Schweden, die für Hitler kämpften«, und plötzlich erntete Persson im In- und Ausland nicht mehr nur Anerkennung für seine Aufklärungsarbeit, sondern auch kritische Fragen über die bisher unzureichend erforschte schwedische Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Ob Schöns und Sastamoinens Arbeiten längerfristig dazu beitragen, die schwedische Gesellschaft gegen Rechtsextremismus, Faschismus und Nationalsozialismus zu wappnen, ist jedoch fraglich. Als eine Gruppe junger Neonazis Anfang dieses Jahres vor Gericht stand, weil sie Anschläge auf öffentliche Einrichtungen und »Feinde der Bewegung« geplant hatte, blieb das Medienecho gering (Jungle World, 4/05). Viele Schweden begrüßen es, dass die Zeitungen selten ausführlich über rechtsextreme Umtriebe berichten. Je mehr Aufmerksamkeit die Neonazis bekämen, desto größer werde die Gefahr, dass sich noch mehr Menschen für sie interessieren und vielleicht begeistern, meinen viele. Wegschauen und Totschweigen waren also nicht nur in der Zeit nach dem Weltkrieg und dem Völkermord an den europäischen Juden vorherrschende »Strategien« im Umgang mit schwedischen Nazis. Sie sind es, trotz Bosse Schöns Ermittlungen, auch heute noch.