Illegale zum Liebhaben

Der bulgarische Autor Dimitré Dinev erzählt Geschichten aus dem Migrantenleben. von jutta sommerbauer

Mafiosi, Illegale, kleine Ganoven, Drogendealer und Arbeitsmigranten aus Osteuropa tummeln sich in Dimitré Dinevs Geschichten. Liebenswürdige Figuren sind es, die mit einem deutlichen Sympathiebonus ausgestattet sind. Die Geschichten, die in Bulgarien und in Österreich spielen, handeln von den schwierigen Verhältnissen in der kurzen Phase des postkommunistischen Aufbruchs und von der endlos langen Zeit danach. In Dinevs Worten klingt das allerdings weit weniger dramatisch. Über das Deprimierende dürfen Witze gemacht werden.

Eine der Geschichten trägt den Titel »Wechselbäder«, was zugleich eine ganz passende Charakterisierung seiner Erzählweise ist, denn Dinev spielt gern mit Kontrasten. »Gestern noch wurde der Schlosser aus der Metallfabrik, der drei Hände zu haben schien und deswegen auch mit drei Orden der Arbeit belohnt worden war, mit Genosse Petrov angeredet, heute traf man den arbeitslosen Herrn Petrov auf der Straße, den Blick besorgt auf den metallfarbenen Gehsteig gerichtet, die Hände in den Hosentaschen. Nur noch zwei Hände hatte er jetzt, die dritte hatte er inzwischen verloren. Nun war er ein Herr geworden, wozu brauchte man da noch Hände, geschweige denn Arbeit.«

Auf dem Buchumschlag ist ein weißes Taxi von oben abgebildet. Es ist Nacht, das Schild mit den vier Buchstaben »Taxi« ist hell erleuchtet. Auf dieses gelbe Licht spielt der Buchtitel an. »Es ging wieder bergauf mit Plamen Svetlev. Auf seinem Gesicht leuchtete ein Lächeln, auf dem Dach seines Autos leuchtete ein Schild. ›TAXI‹ stand darauf. Es war eine Hoffnung für alle, die die Finsternis der Straßen abschreckte«, heißt es in der Titelgeschichte. »Man brauchte ihm nur zu winken, und er bot einem Sicherheit und Zukunft. Gut geht es jedem, der das in Zeiten der Not anbieten kann, gut ging es auch Plamen Svetlev.«

Allerdings liegen Aufbruch und Zusammenbruch im Postsozialismus nah beieinander. Kaum hat Plamen das Glück mal auf seiner Seite, kommt es ihm auch schon wieder abhanden: Dem frisch gebackenen Taxifahrer wird sein Auto geklaut. Plamen Svetlev verlässt seine bulgarische Heimat und taucht als griechischer Staatsbürger unter dem Namen Pyros Putakis in Wien wieder auf, um sich erneut als Taxifahrer zu versuchen. Zunächst mit Erfolg: »Raum und Zeit hatten einen genauen Preis. Plamen kannte ihn, und sein Wissen wurde belohnt.« Dann fällt er der Ausländerpolizei in die Hände, die alles daran setzt, seine wahre Identität herauszubekommen. Weil er sie partout nicht preisgeben will, wird er mit dem dicken Wiener Telefonbuch geschlagen. »Plamen wurde im Namen aller geschlagen. Er fand es lustig, dass man so viele Namen benötigte, um einen einzigen, um seinen eigenen herauszufinden.«

Der aus Bulgarien stammende Autor, der seit fünfzehn Jahren in Wien lebt, wurde 2003 mit seinem im Deuticke-Verlag erschienenen Roman »Engelszungen« bekannt. Im selben Verlag sind auch seine Erzählungen erschienen. Vier der zehn Texte sind allerdings bereits vor Jahren in dem Band »Die Inschrift« im Kleinverlag »edition exil« erschienen ist. Freilich verschweigt man dieses Büchlein in der aktuellen Verlagswerbung dezent.

Manche der Erzählungen haben den Charakter von Lehrstücken. Wenn im Kurztext »Lass uns Radio hören« die Rolle des Rundfunks im Sozialismus und der Nutzen des langweiligen Programms für die Zweisamkeit erläutert werden, ist die pädagogische Botschaft überdeutlich hörbar. Gerade in den kurzen Texten geraten manche Pointen zu offensichtlich.

In »Engelszungen« ließ der Autor das 20. Jahrhundert in Bulgarien gekonnt anhand zweier, miteinander sich verflechtender Familiengeschichten Revue passieren. Nach der Lektüre des 600seitigen Schmökers kennt man nicht nur erstaunliche Details der bulgarischen Geschichte – und weiß vor allem alles über die Biederkeit des Sozialismus –, der Roman ist auch ein Musterbeispiel für einen gelungenen Plot und für geistreichen Humor.

Dass Dinev »einfach so« gelesen werden kann, weil er herrlich flüssig erzählen kann, dürfte nicht unwesentlich zu seinem Erfolg beigetragen haben. Weder langweilige Betroffenheitsschilderungen noch formale Sperrigkeit beschweren die Lektüre.

Auch Dimitré Dinev gehört zu jenen Personen, die illegal über die Grenze nach Österreich gekommen sind. Er wanderte im Winter 1990 über die damalige Tschechoslowakei zu Fuß ein. Als er sich danach mit einem Freund in einem Dorfgasthaus aufwärmte, riefen die österreichischen Aktivbürger die Polizei. Dinev kam in ein Flüchtlingslager und schlug sich anschließend jahrelang mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten durch. Nebenbei begann er zu schreiben.

In Bulgarien sind seine Bücher bisher unbekannt. Einzig die Kulturzeitschrift LIK hat ihn interviewt, nachdem sein Erstlingswerk in österreichischen und deutschen Feuilletons überschwänglich gelobt worden war. Pünktlich zur Buchmesse in Sofia ist nun der Roman »Engelszungen« erschienen.

In bulgarischen Emigrantenkreisen ist man bereits auf Dinev aufmerksam geworden. In einem Internetforum findet sich folgender Dialog: »Habt ihr zufällig von Dimitre Dinev gehört? Er hat seinen ersten Roman mit 600 Seiten auf Deutsch veröffentlicht und wird sehr gerühmt. Schade, dass ich mir ihn hier in den Vereinigten Staaten nicht kaufen kann, und mit amazon.de wirds sehr teuer…« Die Antwort kommt postwendend: »Ja, hier in Österreich ist er sehr populär. Leider hab ich das Buch nicht gelesen, aber es wird sehr gelobt. Von anderen Bulgaren hab ich wiederum gehört, dass er die Bulgaren als sehr primitives Volk porträtiert.«

Es wäre allerdings wirklich komisch, wenn ausgerechnet die Emigranten Dinevs Humor nicht zu schätzen wüssten.

Dimitré Dinev: Ein Licht über dem Kopf. Erzählungen, Verlag Deuticke, Wien 2005, 186 S., Euro 17,90