Juden sind eher Israelis

Vielen deutschstämmigen Juden in Israel droht wegen des Staatsangehörigkeitsgesetzes der Verlust ihrer doppelten Staatsbürgerschaft. von anke schwarzer

Ist von Deutschland die Rede, zählen bis heute der Nationalsozialismus und die Shoa zu den ersten Gedanken, die Israelis in den Kopf kommen, egal ob sie orientalischer oder europäischer Abstammung sind. Nach einer Meinungsumfrage der Weltwoche denken 40 Prozent der jüdischen Israelis schlecht über Deutschland und die Deutschen. Bei vielen älteren Menschen, die den nationalsozialistischen Vernichtungswahn überlebt haben, gilt die Devise: »Niemals wieder deutschen Boden betreten!«, was sie zuweilen auch von ihren Kindern verlangen.

Dennoch lernen junge Israelis in wachsender Zahl Deutsch. Einige wollen in Deutschland studieren oder pflegen dort geschäftliche Kontakte. Zahlreiche deutschstämmige Israelis nehmen die deutsche Staatsangehörigkeit an.

Umgekehrt packen aber auch Juden, die in Deutschland aufgewachsen sind, ihre Koffer und lassen sich in Israel nieder, weil sie dort ihre Zukunft sehen. Schätzungsweise 60 000 bis 100 000 Menschen besitzen sowohl die israelische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Behörden verzeichnen seit dem Jahr 2002 einen starken Anstieg der Anträge: 2001 waren es rund 1 700, im Jahr darauf 2 400, und im Jahr 2003 stieg die Zahl über 3 300.

Doch das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht verbietet die in vielen Ländern übliche Doppelstaatlichkeit, und es scheint, als würden die deutschen Behörden beginnen, rigoros auf die Einhaltung des Gesetzes zu achten. »Das ist allerhand«, schimpft Dan Assan. »Die Eingewanderten haben sich auf das verlassen, was ihnen immer von der Botschaft mitgeteilt wurde, nämlich dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft behalten können«, sagt der Tel Aviver Rechtsanwalt, der sich darauf spezialisiert hat, deutschstämmige Juden beim Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft und des Europapasses zu unterstützen. »Heute ist das anders. Es wurde kein Gesetz geändert, aber es gibt eine neue Rechtsauffassung.« Deutsche Pässe seien mit dem Hinweis auf das Verbot der Mehrstaatlichkeit nicht mehr verlängert worden. Die Anfragen und Beschwerden häuften sich, bestätigt auch Jalon Gräber, der Leiter von Noar Olej Merkas Europa in Tel Aviv, einer Organisation, die deutschsprachige Einwanderer unterstützt.

Viele deutschstämmige Juden in Israel sind verunsichert und befürchten den Verlust ihrer doppelten Staatsbürgerschaft. Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz im Paragraph 25 verliert eine Person die deutsche Nationalität, wenn sie eine neue Staatsbürgerschaft beantragt. Die Alija jedoch, die Einwanderung nach Israel, für die das israelische Rückkehrrecht gilt, wurde als Ausnahme betrachtet. Denn Juden erhalten automatisch die israelische Staatsbürgerschaft, wenn sie nach Israel einwandern. Dies sei nicht einem Antrag auf Staatsangehörigkeit gleichzusetzen, erklärt der Rechtsanwalt Assan.

In München sieht man das anders. Dort entschied das Bayerische Verwaltungsgericht im September 2001, dass eine Einbürgerung, die nach dem israelischen Rückkehrrecht, also automatisch per Gesetz erfolgt, wie ein expliziter Antrag auf den Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft einzustufen sei.

Welche kuriosen und für die Betroffenen ärgerlichen Blüten das deutsche Gesetz treibt, zeigt der Fall des Klägers: Er war im Jahr 1964 mit seinen Eltern tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit in die Bundesrepublik übergesiedelt und dort als »Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit« anerkannt worden. Nachdem er 1986 nach Israel eingewandert war, kehrte er elf Jahre später zurück in die Bundesrepublik und beantragte erfolglos einen Pass. Er verlor den Status als anerkannter »Volksdeutscher«, den andere noch nach Jahrzehnten für sich reklamieren können, obwohl sie Staatsbürger eines anderen Landes sind.

Das Problem haben übrigens die Nachkommen deutscher Juden in Israel, die von den Nationalsozialisten ausgebürgert wurden, nicht. Nach der »11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz« aus dem Jahr 1941 verloren alle ausgewanderten Juden die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie sind von der aktuellen Problemlage nicht betroffen, ihre Pässe werden verlängert, auch wenn sie einen israelischen besitzen. Sie haben per Grundgesetz – so sie es wünschten – ihre Staatsbürgerschaft zurückerhalten.

Für den Kläger im oben geschilderten Fall sieht die Lage anders aus. In seiner Entscheidung argumentierte das Verwaltungsgericht München 2001: »Er hatte nämlich – wie er wusste – auch die Möglichkeit gehabt, nur die Einwanderungsbescheinigung zu beantragen und den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit durch eine entsprechende Erklärung zu verhindern.«

Seit dieser Entscheidung, mindestens aber seit ein bis zwei Jahren, hat sich die Handhabung in den deutschen Behörden und in der Deutschen Botschaft in Israel verändert. In der Mai-Ausgabe des Newsletters Migration und Bevölkerung der Bundeszentrale für politische Bildung wird berichtet, dass der Münchner Gerichtsbeschluss nach Angaben des Bundesinnenministeriums »eine Überprüfung bei der Verlängerung von Pässen nötig gemacht habe, die sich heute bemerkbar mache«. Deshalb müsse die deutsche Botschaft in Tel Aviv »Bürger darüber unterrichten, dass die Einwanderung nach Israel und der damit verbundene Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit unter Umständen zum Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft führen kann«.

Weder vom Innen- noch vom Außenministerium war auf Nachfrage eine klare Aussage darüber zu erhalten, ob den Einwanderern nun rückwirkend die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden könne. Es hieß lediglich, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft dem geltenden Recht widerspreche und schon immer widersprochen habe. Neueinwanderer könnten dennoch einen Antrag auf die Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft stellen, worauf zurzeit verstärkt hingewiesen würde. Diese Möglichkeit haben allerdings nur diejenigen, die jetzt nach Israel auswandern, rückwirkend kann der Antrag nicht gestellt werden.

Einem Bericht der israelischen Zeitung Jediot Acharonot zufolge planen die deutschen Behörden, ein Stichdatum um das Jahr 2000 festzulegen, ab welchem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht mehr möglich sein soll. Dann wären nach Angaben des Blattes einige Hundert Personen betroffen. Unklar ist, inwieweit Auswanderer, die aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt sind, hier als Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung leben müssen.

Der Tel Aviver Rechtsanwalt Assan ärgert sich über die neue Handhabung, nicht nur wegen der deutsch-jüdischen Geschichte, sondern weil den Einwanderern kein Vertrauensschutz gewährt werde. Die rückwirkende Anwendung der neuen Vorschrift käme seiner Meinung nach einer Ausbürgerung gleich. »Man sucht die Leute nicht, aber sobald sie den Pass verlängern wollen, haben sie ein Problem«, sagt Assan. Gleichzeitig stellt er fest, dass die Deutsche Botschaft sehr bemüht sei, die Sache doch noch gütlich zu regeln.