Weg von Serbien

Neue UN-Politik im Kosovo von boris kanzleiter, belgrad

Wenn am kommenden Freitag der UN-Sicherheitsrat zusammentritt, wird man in Pristina und in Belgrad sehr genau hinhören. Denn auf der Tagesordnung steht der Beginn der internationalen Verhandlungen, in denen bis zum Ende des kommenden Jahres die Zukunft der Provinz Kosovo geklärt werden soll.

Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, wird der UN-Verwalter des Kosovo, der Däne Soren Jessen-Petersen, dem Sicherheitsrat berichten, dass die »demokratischen Standards«, die die westlichen Staaten als Vorbedingung für Verhandlungen über den völkerrechtlichen Status der Provinz erachten, »eindeutige Fortschritte« erzielt hätten und inzwischen »zufriedenstellend« seien. Damit wird es in den kommenden Monaten um die Frage gehen, die seit dem Bombardement der Nato im Frühjahr 1999 unbeantwortet ist: Soll das Kosovo die Souveränität erlangen, wie es albanische Nationalisten fordern? Oder soll die Provinz wie bisher ein Teil des jugoslawischen Nachfolgestaates Serbien und Montenegro bleiben, worauf Belgrad insistiert?

Möglich ist auch ein Kompromiss, den unter anderem Politiker aus der Europäischen Union ins Gespräch bringen. Demnach könnte aus dem Kosovo zunächst ein EU-Protektorat werden, das erst dann die vollständige Souveränität erreicht, wenn es zusammen mit Serbien und Montenegro in die EU aufgenommen wird. Also irgendwann im nächsten Jahrzehnt.

Was wie ein absurdes Theater anmutet – schließlich handelt es sich beim Kosovo um ein Territorium von der Größe Hessens, das so gut wie keine registrierbare Wirtschaftsleistung erbringt –, ist in Wirklichkeit eine brisante Angelegenheit. Denn auf dem Spiel steht einerseits der Erfolg des Versuchs der »internationalen Gemeinschaft«, aus einem durch Warlords zertrümmerten failed state, einem »gescheiterten Staat«, ein stabiles Staatswesen aufzubauen. Andererseits wird die Entscheidung über den völkerrechtlichen Status die internationale Politik beeinflussen. Denn gelänge es den albanischen Nationalisten, die Souveränität durchzusetzen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen, auf den sich tschetschenische, tibetanische, taiwanesische oder sonstige Separatisten in aller Welt berufen könnten.

Zuvörderst werden sich die Verhandlungen auf den westlichen Balkan auswirken. Die Akteure werden sehr vorsichtig vorgehen müssen, um keine Katastrophe auszulösen. Denn in Wirklichkeit ist Petersens Behauptung, im Kosovo hätten sich die Verhältnisse nachhaltig stabilisiert, grober Unfug, an den nicht einmal die UN-Behörden selbst glauben. Tatsächlich wird die Protektoratsverwaltung, falls in absehbarer Zukunft keine erkennbaren Schritte in Richtung Souveränität erfolgen sollten, große Probleme mit arbeitslosen albanischen Nationalisten bekommen, die heute besser bewaffnet sind als jemals zuvor. Falls sich die Verhandlungen umgekehrt in Richtung einer Abtrennung von Serbien und Montenegro bewegen, besteht die Gefahr, dass in Belgrad die Nationalisten von der Serbischen Radikalen Partei die Macht übernehmen. Offenbar schätzt die internationale Diplomatie das zweite Risiko geringer ein als das erste.

Die abenteuerliche Bewertung der Lage zeigt bereits Auswirkungen: Am vorigen Donnerstag startete in Düsseldorf ein Flugzeug mit 30 abgewiesenen Flüchtlingen in Richtung Pristina; in den nächsten Monaten sollen viele weitere folgen. Auch die rund 24 000 in Deutschland lebenden Roma aus dem Kosovo, für die nach den pogromartigen Übergriffen im März 2004 ein Abschiebestopp verfügt worden war, sollen künftig ausgewiesen werden können.