Auf freiem Feld

Der britische Künstler Jeremy Deller stellt in einer Filmarbeit den Bergarbeiterstreik von 1984/85 in England nach. von jens kastner

Eines der wichtigsten neoliberalen Anliegen ist die Schwächung oder auch gleich die Zerschlagung der Gewerkschaften. Als das neoliberale Modell unter Margaret Thatcher erstmals in Europa konsequent ein- und umgesetzt wurde, stand dieses Ziel ganz oben auf der Liste. Und es gelang. Die Arbeitskämpfe von 1984/85 hatte die Regierung von langer Hand geplant. Der Streik der Bergarbeiter verlief ganz in ihrem Sinne.

Bereits 1979 hatte der Thatcher-Vertraute Nicholas Ridley die Bedingungen analysiert, unter denen ein solcher Streik aus Sicht der Regierung stattfinden müsste. Dazu gehörte u.a., offene Konfrontationen zwischen Polizei und aufgebrachten Arbeitern in der Nähe von Fabriken zu vermeiden. Konsequenz daraus war die »Schlacht von Orgreave«: Auf dem Höhepunkt des Minenarbeiterstreiks gelang es der Polizei, militante Auseinandersetzungen zwischen sich und den Streikenden auf freiem Feld in Yorkshire stattfinden zu lassen.

Der britische Künstler Jeremy Deller hat die entscheidenden Zusammenstöße zwischen Bergarbeitern und Polizei nachstellen lassen. In der Tradition klassischer Re-Enactments, folkloristischer Nachstellungen von antiken Schlachten oder mittelalterlichen Gefechten, trafen vor der Kamera professionelle Schlachtendarsteller mit einigen der Beteiligten von vor zwanzig Jahren zusammen und wiederholten die Ereignisse von damals. Ein Dokumentarfilm ist dabei entstanden, der über die Arbeit des gefeierten deutschen Doku-Spielfilm-Vermischers Heinrich Breloer hinausgeht. Der Ablauf der Schlacht ist nicht nur durch Interviews mit den ehemaligen Arbeitern und mit Gewerkschaftern garniert. Neben den damals und gegenwärtig Beteiligten kommen auch der Regisseur und der Künstler selbst zu Wort, und die Vorbereitungen am Tag zuvor werden gezeigt. Das »making of« ist also Teil des Filmes.

Ein neuer »populistischer Humanismus« sei unter britischen Künstlern ausgebrochen, schreibt die Kunstzeitschrift ArtReview und nennt Deller als Beispiel. Ein politischer Impuls ist dem Londoner, der 2004 mit dem renommierten Turner-Preis für zeitgenössische Kunst ausgezeichnet wurde, sicherlich zu unterstellen. Die Fernsehbilder, die er als Jugendlicher von berittenen Polizisten gesehen hatte, die in Demonstranten preschten, waren Motivation für den der Mittelklasse entstammenden Künstler, sich den harten Arbeitskämpfen der achtziger Jahre zu widmen. Der Film selbst sei keine Kunst, sagt Deller, sondern Teil eines Projektes, das die Ereignisse von damals archiviere.

Dass die »Schlacht von Orgreave« in dessen Mittelpunkt steht, ist nur konsequent. Deller bricht damit den Beginn der neoliberalen Hegemonie symbolisch auf ein so archaisches Ereignis wie die Schlacht auf freiem Feld herunter. Bestechend ist das nicht nur deshalb, weil die Polizeiformationen tatsächlich aus dem Hollywoodfilm »Gladiator« stammen könnten.

Mit der Schlachtennachstellung hat Deller also eine ästhetische Form gewählt – und durch ihren Gegenwartsbezug politisiert –, die den realen Geschehnissen von damals durchaus angemessen ist. Darüber hinaus aber setzt er der Ideologie vom Sachzwang die entscheidende Metapher entgegen: den Kampf.

Die Thatcher-Regierung hatte – neben dem Ridley-Plan gestützt auf ein Pamphlet mit dem Titel »Die Lösung des Gewerkschaftsproblems ist der Schlüssel zu Britanniens Wiederherstellung« – die Auseinandersetzungen vorbereitet und geführt wie einen Bürgerkrieg. Gesetzliche Regelungen wurden verabschiedet, um die gewerkschaftlichen Abstimmungen zu beeinflussen, die Polizei wurde zentralisiert und speziell für den Arbeitskampf ausgebildet, die Gemeindepolizei durch Londoner Polizisten ohne persönliche Bezüge zur Region verstärkt, Militär und Geheimdienste wurden eingesetzt, und schließlich wurde der Streik im Frühjahr provoziert, als der Bedarf an Kohle gering war.

Außerdem wurden finanzielle Anreize für diejenigen geschaffen, die trotz des Streiks arbeiteten. So kostete der Streik die Regierung rund drei Milliarden Pfund, mehr als der gegen Argentinien geführte »Falkland-Krieg« zwei Jahre zuvor.

Und er schuf bei den Streikenden einen Hass auf die »Streikbrecher«, der sich bis heute nicht gelegt hat. Mehr Zulagen hätten diese bekommen als der eigentliche Lohn betrug, erzählen die ehemaligen Grubenarbeiter im Film über die verhassten Kumpel. Sie sprechen auch über verlorene Häuser und zerstörte Familien, wünschen Margaret Thatcher sogar den Tod.

Rund 170 000 Bergarbeiter und ihre Frauen und Familien waren damals mit allen Mitteln an dem Streik beteiligt, der der größte in der britischen Geschichte seit dem Generalstreik von 1926 war. Im Zuge des fast einjährigen Arbeitskampfes wurden über 11 000 Bergarbeiter verhaftet, 200 saßen Gefängnisstrafen ab, 3 000 wurde verletzt und zwei getötet. Als den »Feind im Inneren« hatte die damalige Premierministerin die Grubenarbeiter bezeichnet. Indem sie dieses Feindbild dankbar aufgriffen, übernahmen auch die Medien ihre Rolle im Kampf, obwohl sie erstaunlicherweise bei Ridley noch gar nicht mitgedacht waren. Vor allem die Zeitungen aus dem Imperium von Rupert Murdoch, Sun, Times und Sunday Times, hetzten gegen die Kumpel und schufen so eine Stimmung, die selbst bei den Dreharbeiten zu Dellers Film noch nachwirken. Für viele der uniformgeilen Schlachtendarsteller sind die Minenarbeiter auch heute noch Unruhestifter und Gewalttäter. Ein Bild, das sich dank Dellers Arbeit nun vielleicht etwas geändert hat. Die Konfrontation jedoch lag durchaus in seinem Interesse. Psychologen seien nicht am Set gewesen, aber vielleicht, sagt Deller schmunzelnd, wären sie manchmal nicht schlecht gewesen.

Bis zum zwanzigjährigen Jubiläum im vergangenen Jahr war der Streik von 1984/85 in der britischen Öffentlichkeit kein Thema. Zwar hatte der Kampf damals breite Unterstützung erfahren, und auch Billy Bragg und Chumbawamba hatten für die Streikenden gespielt. Kritik hatte es wiederum an der Ausschließlichkeit gegeben, mit der die Minenarbeiter ihre Partikularinteressen verteidigten. Die vereinigten Bergarbeiter seien eben trotz des so lautenden Slogans nicht unschlagbar, kritisiert ein Gewerkschafter in Dellers Film, es hätte schon die ganze Arbeiterklasse mit einbezogen werden müssen.

Als die stärkste Gewerkschaft der Minenarbeiter, NUM, auf diese Weise sehr geschwächt war, ging die Regierung in den folgenden Jahren in ähnlicher Form gegen die DruckerInnen und die DockarbeiterInnen vor. Die Niederlage der Gewerkschaften und der linken Sozialdemokratie war gleichzeitig auch der Beginn des Aufstiegs von deren rechtem Flügel unter Anthony Blair. Der heute regierenden New Labour Party dürfte das gesellschaftliche Vergessen der Kämpfe aus den achtziger Jahren ganz recht gewesen sein. Denn schließlich hat sie selbst den neoliberalen Kurs Thatchers modernisiert und fortgesetzt.

Jeremy Deller. An injury to one is an injury to all. Bawag Foundation Wien. Ausstellung noch bis zum 25. Juni 2005