Jung, hart, dumm

Aggro Berlin ist stolz auf Fler, der ist stolz auf Deutschland, und das Ganze nennt sich »deutscher Hip Hop«. von tim stüttgen

Hip Hop war schon immer eine Männersache, das kann man noch so sehr beklagen, es ist einfach so. In Zeiten wie diesen, also den besonders schlechten, rückt man dann gerne mal ein Stückchen näher zusammen und gründet eine Burschenschaft. Eine militaristische Crew vielleicht, wie damals die Hip-Hop-Familie Wu Tang Clan, damit man sich nicht so alleine fühlt. Doch leider haben die Jungs von Aggro Berlin nicht halb so viel wirren Martial-Arts-Zauber und irren Style wie die rappenden Shaolins aus Staten Island. Und trotzdem sind sie der erfolgreichste Verein im zeitgenössischen Hip-Hop-Zirkus dieses Landes.

Warum das so ist, warum das nervt, warum Aggro politisch unkorrekt ist oder vielleicht trotzdem irgendwie geil, darüber ist schon viel geschrieben worden. Die funky Neunziger, als im Hip Hop die Zeichen auf Jungshumor aus Hamburg standen, sind jedenfalls vorbei. Regte man sich damals noch, ein bißchen pikiert, über so spackige Namen wie Mongo-Clicke auf, hat man jetzt ganz andere Feindbilder, wenn man als Rap-Fan noch einigermaßen politisch korrekt ticken will.

Aggro Berlin setzt auf den harten Scheiß, Sido auf seinen Block, B-Tight auf seine schwarze Haut als selbsternannter Neger, der die Nutten quer durchs Viertel fickt, während in den Videos der Genannten alte Standard-Sujets des amerikanischen Gangsta-Rap, wie Knarren und Titten, wieder die Bilderwelt bestimmen. Darauf stehen natürlich die harten Kerle, und es wird genau die Klientel angesprochen, die vom mittelständischen Spaßrap ignoriert wurde.

Noch mehr stehen aber garantiert die echt Pubertierenden drauf, die Kids, die die Lektüre der Bravo gerade hinter sich haben, die auf Aggro und Konsorten als Provokation und Abgrenzung von Mama und Papa genauso abfahren wie ich seinerzeit auf die indizierten Songs der Ärzte.

Was gibt es auch noch zu lachen, wie in Spaßrap-Zeiten, wenn nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch die Plattenverträge immer weniger werden? Aggro Berlin Lustigrappern wie Tobi & Das Bo gegenüberzustellen, ist genauso sinnvoll, wie die Chilloutlounge in einem Atemzug mit dem Punkrevival zu nennen.

Und wenn wir schon über Musik reden: Was die Aggros wirklich drauf haben, sind die richtigen Beats. Produzenten wie Beathoven haben es geschafft, in Zeiten des kreativen Stillstands von Deutschrap, den Style roher und futuristischer und morbider zu gestalten. Die Dreckigkeit dieser Beats ist zurzeit relativ konkurrenzlos und die zahlreichen Muschi- und Fotzen-Variationen sprechen eh eine deutlichere Sprache als tausend klar ausformulierte Reimwendungen im Doppeltakt.

Damit scheint es fast logisch, dass das selbstverwaltete Indielabel aus Berlin in Zeiten der Majorfirmen-Krisen die besten Umsätze hat. Mitkommen tut da höchstens noch ein Solo-Künstler wie King Kool Savas.

Nachkommen tun hingegen tausende Plagegeister, deren 16 Lenze, gepaart mit einem unerschütterlichen Ego und Spielzeugpistole, eine so klägliche wie schaurige Mischung ergeben. Jeder wirft hier inzwischen dem anderen vor, er sei »schwul«, »ein Opfer« und sowieso morgen schon tot.

Genaue Details zu Prügeleien und Beleidigungstiraden kann man den zahlreichen Fan-Foren entnehmen, wo es tagtäglich fertig gebracht wird, das Niveau nochmals zu unterschreiten. Extrem frustrierend ist das alles besonders für die wenigen harten Jungs der alten Schule, die man authentisch nennen kann. Ein Charnell von der Rap-Crew Da Fource beispielsweise ist am Anfang des Aggro-Hypes durch Berlin gelaufen und habe, so meinte er einmal, die jungen Selbstdarsteller zu gerne nur noch verprügelt. Verständlich, dass die Frage, wer realer ist als der andere, momentan tagtäglich in stundenlangen Battles verhandelt wird. Eine kettenbriefartige Fehde zwischen dem Deutschtürken Eko und seinem ehemaligen Protegé Savas zeugt davon. Es gibt kaum einen MC in Deutschland, der zu dieser Fehde nicht seinen Senf im Internet abgegeben hatte.

Wer nun denkt, damit habe man das gesamte Instrumentarium der Provokation durch, dem hätte ich bis vor kurzem noch Recht gegeben. Schon lange hoffen idealistische B-Boy-Nostalgiker und Warmduscher wie ich darauf, dass das Bild der Szene wieder etwas vielfältiger wird. Doch wir haben uns geirrt. Es kann immer noch schlimmer kommen. Aggros neuer Star, der derzeit äußerst präsent über die Bildschirme flimmert, heißt Fler. Nachdem sein Kollege B-Tight schon als »der Neger« vermarktet worden ist, übernimmt er die Rolle des »Deutschen«. Und das ist nicht einmal besonders humorvoll, sondern auf verquere Weise ernst gemeint.

Der Typ, der sein Albumcover mit dem deutschen Adler verschönert und seine Single »Neue Deutsche Welle« nennt, ist einer derjenigen auf den dreckigen Schulhöfen Berlins gewesen, auf denen die Türken- und Marokkaner-Crews die Majorität haben. Dort werde, so sieht das Fler, Deutschsein zur Identität des Widerstands. Er verlange einfach den gleichen Respekt wie andere auch, nur eben als Kind deutscher Eltern, meint die taz. Dass da Missverständnisse nicht ausblieben, besonders in einem Land, das sich bis heute nicht als Einwanderungsland versteht, sei keine Überraschung.

Doch leider richtet der Zeichenwirrwarr von Fler, auch losgelöst von seinem Autor, Schaden an, und Fler passt so nur zu gut in den schon lange losgetretenen Nationalismustrend der deutschen Popkultur zwischen dem »Wunder von Bern« und Mia.

»Schwarz, rot, gold / stolz und hart«, »die neue deutsche Welle kommt / man sieht die Fahne am Himmel«, sind zwei der griffigsten Reime, die Fler uns zum Sample von Falcos »Rock Me Amadeus« zu bieten hat. Für ihn sei Hip Hop einfach der Sound seiner Generation, wie damals die »Neue Deutsche Welle«, meint er dazu im Interview. Mehr nicht. Ob es einfach Dummheit ist oder smartes Kalkül, dass er mit seiner »Stolz und Deutsch«-Nummer im Fahrwasser einer neuen Rechten landet, die deutschen Rap schon lange für ihre Belange nutzen will, kann man aus Flers runden Äuglein leider nicht herauslesen. Dass er alles andere als der beste MC unter der neuen deutschen Sonne ist, fügt dem Schlamassel wenigstens ein kleines bisschen absurde Komik hinzu. Von einigen seiner Erzfeinde als bloße Kopie Ekos bezeichnet zu werden, von Eko selbst hingegen als »dicke Kar falls keiner nach.