Unmoderne Untote

Die Grünen im Wahlkampf von jörg sundermeier

Die armen Grünen! Joschka Fischer, vor wenigen Monaten noch beliebtester Politiker der Republik, sieht sich nurmehr als der beleibteste dargestellt. Er sei »zu fett für den Wahlkampf«, höhnte die Bild-Zeitung, und selbst die taz konnte den Außenminister nicht bedauern, der sich vor sieben Jahren rühmte, mit seinem vorbildlichen »langen Lauf zu sich selbst« mehr für die Deutschen getan zu haben, als eine Gesundheitsreform es vermocht hätte. Dennoch bleibt der Partei nichts anderes übrig, als mit dem Spitzenkandidaten Fischer in den vorgezogenen Wahlkampf zu ziehen, denn sie hat niemand anderen.

Nicht nur er, auch alle anderen Grünen stehen zurzeit nicht gut da. Sei es Christian Ströbele, der einzige Direktmandatsträger in der Geschichte der Partei, der nicht weiß, ob er erneut in seinem Wahlkreis Friedrichshain/ Kreuzberg antreten will, sei es der zum »Wahlkampfmanager« ausgerufene Fritz Kuhn, der ja bereits hinlänglich als Untoter bekannt ist. Wenn er seiner Partei verspricht, er werde »mit einer möglichst schlagkräftigen Mannschaft den bevorstehenden intensiven Wahlkampf bestreiten«, glauben ihm nur Leute wie Claudia Roth und Reinhard Bütikofer.

Dass tatsächlich die wenigen richtigen politischen Beschlüsse der Bundesregierung, also der sehr langsame und bald zurückgenommene so genannte Atomausstieg, die Möglichkeit für Homosexuelle, eine spießbürgerliche Ehe zu schließen, das irgendwie gut gemeinte Dosenpfand oder die exakt auf die Bedürfnisse der Bewohner der Münchener Innenstadt und des Berliner Bezirkes Prenzlauer Berg zugeschnittene »Verbraucherschutzpolitik«, dass all dies auf Initiative der Grünen zustande kam, schert nicht mal mehr deren eigene Klientel. Denn selbst jene, die die Grünen bislang stets als die Hüter des Schönen, Guten und Wahren im Lehrerzimmer betrachteten, haben die Steuersenkungen für Besserverdienende, Hartz IV und andere Unschönheiten nicht vergessen, zudem empfinden sie die »erneuerbaren Energien« nur so lange als richtig, wie das Windrad nicht vor ihrer Haustür steht.

Die grüne Politik ist für diejenigen unmodern geworden, die noch vor wenigen Jahren glaubten, mit den altbewährten Straßenkämpferinnen und Männergruppenmännern erstehe ein »modernes Deutschland«. Heute sieht man ihnen, die sich permanent für Moderne ausgeben, an, wie alt sie sind. Und gegen Merkel, die Anziehpuppe Wulff, gegen Bosbach und, ja, sogar gegen Schröder sehen sie ganz schön altbacken aus, die Vollmers, Cohn-Bendits und Fischers, letzte Patriarchen aus dem kleinen und mittleren Bürgertum. Wenn Bütikofer betont: »Bei uns Grünen ist der Generationswechsel längst unterwegs«, erweist nicht nur die schlechte Sprache die Lüge.

Wenn aber der Petit Bourgeois von der Macht zermürbt ist, ist es an der Zeit, dass die Herrschaft wieder selbst herrscht. Darum zucken die Grünen nun jedes Mal zusammen, wenn Schröder, Beck oder Müntefering ein erneutes rot-grünes Bündnis im Herbst nicht unbedingt bejahen, zucken, wenn sich der konzeptlose, doch laute Lafontaine anbietet, um von links anzugreifen, zucken, wenn eine komplizierte Frage auftaucht. Was den Kleinbürger kennzeichnet, ist Angst, und mit dieser Angst wussten die Grünen immer zu gewinnen; nun ist es die Angst der Kleinbürger, die die Grünen in Bedrängnis bringt. Daran ist nichts Verrat (von Seiten der Grünen) oder Erkenntnis (auf Seiten der Wählerinnen und Wähler).