PLötzlicher Tod
Visa-Ausschuss. Gerhard Schröders Vorschlag, so schnell wie möglich Neuwahlen des Bundestages durchzuführen, zeitigt unerwartete positive Nebenwirkungen für die rot-grüne Koalition. Wegen der geplanten Neuwahl setzten die SPD und die Grünen am Donnerstag voriger Woche den Abbruch der Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses zur so genannten Visa-Affäre durch und strichen die Vernehmung von insgesamt 16 Zeugen, darunter Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Der Grund hierfür sei die »Zeitnot«, die wegen des Wahltermins im Herbst entstanden sei. Mit dem vom Gesetz geforderten so genannten Sachstandsbericht für das Parlament müsse so rechtzeitig begonnen werden, dass er noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Bundestag debattiert werden könne, hoben die Obmänner des Ausschusses, Olaf Scholz (SPD) und Jerzy Montag (Grüne), hervor.
Die Union und die FDP sehen in dem Vorgehen eine Verletzung ihrer Minderheitenrechte und kündigten eine Verfassungsklage an. Die rot-grüne Koalition habe das »billige Interesse«, die Anhörung Schilys zu verhindern, der sich mit seinen Beschwerden gegen die Visa-Erteilungspraxis nicht gegen Außenminister Joschka Fischer habe durchsetzen können, kritisierte der Ausschussobmann der Union, Eckart von Klaeden. »Any news are good news«, sagt zwar ein Sprichwort, für Neuigkeiten aus dem Visa-Untersuchungsausschuss gilt das aus rot-grüner Sicht verständlicherweise aber nicht. (sw)
Bleiberecht für Bomben
Atomwaffen. Auch auf die Frage der Anwesenheit US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland wirken sich die bevorstehenden Bundestagswahlen aus. Vor kurzem hatte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) noch angekündigt, die Frage nach dem Verbleib der Waffen auf die Tagesordnung des Treffens der Nuklearen Planungsgruppe der Nato am 9. Juni in Brüssel zu setzen. Auch mit anderen europäischen Ländern, die solche Waffen lagern, wie etwa Belgien oder Italien, wollte er sprechen. Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass dies nicht mehr vorgesehen sei, denn Bundeskanzler Schröder wünsche keinen neuen Streit mit den USA. Zum einen wolle er zusammen mit Joschka Fischer und Struck demnächst Washington besuchen; zum anderen seien von den 150 in Deutschland gelagerten Atomwaffen 130 bereits abtransportiert worden, und zwar wegen des Ausbaus des Flugplatzes in Ramstein. Aber keine Sorge: Dem Spiegel zufolge üben nach wie vor deutsche Tornado-Besatzungen den Atomkrieg. Damit im Ernstfall nichts schief geht. (sw)
Die gute alte Zeit
CDU. Wer sich nicht mehr gut an die Regierung Helmut Kohls erinnern kann, dem könnte ein Prozess das Gedächtnis auffrischen. In der vorigen Woche wurde bekannt, dass die ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Agnes Hürland-Büning (CDU), vor Gericht muss. Sie arbeitete in den Jahren 1987 bis 1991 gemeinsam mit dem jüngst nach Deutschland ausgelieferten Ludwig-Holger Pfahls im Verteidigungsministerium, später war sie als Beraterin für den Thyssen-Konzern tätig. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Betrug, Falschaussage und Steuerhinterziehung vor. Hürland-Büning gilt als wichtige Figur in dem Korruptionsgeflecht, das die CDU in ihren Regierungsjahren zwischen 1982 und 1998 errichtete. Die Stichworte lauten: Verkauf der Leuna-Raffinerie, Panzergeschäfte mit Saudi-Arabien, Schwarzgeldkassen. Neben Hürland-Büning soll auch dem Thyssen-Manager Herbert Gatzen und dem Lobbyisten Dieter Holzer der Prozess gemacht werden. Nur Helmut Kohl bleibt unbehelligt. Darauf ein Ehrenwort! (sw)
Am Arsch vorbei
Finnland. In manchen Branchen können die Arbeiter die Produktion lahm legen, ohne dass es die Konsumenten wirklich merken. Ein Streik in der Papierindustrie aber geht, wie die Finnen nun spüren, niemandem am Arsch vorbei. Seit die rund 5 000 Beschäftigten Mitte Mai ihre Arbeit niedergelegt haben, ist unter anderem Klopapier zu einer Mangelware geworden. »Sobald wir eine Lieferung bekommen, verschwinden die Packungen aus den Regalen«, zitieren finnische Zeitungen den Leiter eines Geschäfts in Zentrum von Helsinki. Die Gewerkschaft will die von den Unternehmen geforderte Verlängerung der Arbeitszeiten sowie die Herauslösung von Arbeitsbereichen wie Service und Reinigung aus dem Tarifvertrag abwenden. Zwei Tage nach dem Beginn des Streiks am 16. Mai verhängten die Unternehmer eine vierwöchige Aussperrung.
15 Prozent des auf der ganzen Welt hergestellten Papiers und Kartons stammen von finnischen Bäumen, nur Kanada produziert mehr. Am Wochenende rief Ministerpräsident Matti Vanhanen die Konfliktparteien zu einer raschen Einigung auf. Der jetzige Arbeitskampf sowie die vorangegangenen wilden Streiks seien eine »Bedrohung für das nationale Wirtschaftswachstum«. Ein kleiner Tipp an alle Finnen, die sich um ihre Sauberkeit sorgen: Waschen statt putzen! Ist auch hygienischer. (dy)
Erziehung nach Srebrenica
Serbien. Die serbische Bevölkerung ist entsetzt. Grausige Aufnahmen über das Massaker im bosnischen Srebrenica, dessen Existenz von vielen immer noch bezweifelt wurde, werden seit Mitte der vergangenen Woche im serbischen Fernsehen ausgestrahlt. Zu sehen ist, wie Angehörige der serbischen Polizeisondereinheit »Skorpione« im Juli 1995 sechs gefesselte Zivilisten in der Stadt töten. Der serbisch-montenegrinische Außenminister Vuk Draskovic sagte der österreichischen Nachrichtenagentur APA, es sei für die Serben »sehr nützlich«, dass das Video über »dieses unglaubliche und schändliche« Ereignis ausgestrahlt werde. Sogar die nationalistische Serbische Radikale Partei, die einigen der in Den Haag sitzenden mutmaßlichen Kriegsverbrechern nahe steht, erklärte: »Die Verbrechen sind unverzeihlich. Kriegsverbrechern muss unverzüglich der Prozess gemacht werden.« Das Video wurde zuerst am Mittwoch während des Prozesses vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gezeigt. Nach Angaben der serbischen Regierung wurden bereits einige Männer festgenommen , die auf dem Video zu sehen sind. (ke)
Brot für Mallorca
Spanien/Portugal. Die schlimmste Dürre seit fast sechzig Jahren erlebt, nein erträgt, derzeit die iberische Halbinsel. Im vorigen Winter fiel nur etwa ein Drittel der gewohnten Menge an Niederschlag, so dass seit Wochen etwa 200 Dörfer in Spanien mit Tankwagen versorgt werden müssen. In manchen Gegenden Portugals wird sogar über die Rationierung von Trinkwasser diskutiert. Die Bevölkerung wird angehalten, Wasser zu sparen. Auch Touristen werden nicht verschont. In den Ferienorten an der Küste sollen die Strandduschen abgestellt werden. Drei Viertel des Wassers verbraucht aber die spanische Landwirtschaft. Wegen der Ernteausfälle hat Spanien bei der EU nunmehr sechs bis acht Millionen Tonnen Getreide bestellt. Nach den Rekordernten im vorigen Jahr hat sich bei der EU ein Getreideüberschuss von 14 Millionen Tonnen gebildet. Die Order aus Spanien kommt da gerade recht. Dem Meteorologischen Institut Portugal zufolge sind in den letzten 25 Jahren immer öfter Dürreperioden aufgetreten. Die Veränderung des Klimas bewirke, dass der Winter kälter und der Sommer heißer und trockener werde. (jh)
Wieder Sibirien
Russland. »Solange Putins Mannschaft an der Macht ist, wird Chodorkowski im Gefängnis sitzen. Sie hat Angst vor ihm«, zitiert die Süddeutsche Zeitung den ehemaligen russischen Wirtschaftsminister Jewgenij Jassin. Am Mittwoch der vergangenen Woche wurde Michail Chodorkowski, der frühere Eigentümer des Ölkonzerns Yukos, zu neun Jahren Strafkolonie wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt. Damit hilft die Justiz dem Präsidenten Vladimir Putin, einen seiner potenziell wichtigsten Konkurrenten auszuschalten. Das Urteil sei »eine Abrechnung mit den neunziger Jahren«, sagte der fraktionslose Abgeordnete Wladimir Ryschkow. Chodorkowski solle stellvertretend für die damaligen wilden Privatisierungen verurteilt werden. Sein Fehler war es, dass er sich nicht mit seinem Reichtum begnügte, sondern auch politische Ambitionen zu entwickeln begann. Er ist Vertreter einer liberalen Politik und steht Putins »gelenkter Demokratie« im Weg. Regierungskritische Journalistinnen wie Anna Politkowskaja beklagen schon seit Jahren die Willkür der Justiz, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Krieg eine neue Qualität bekommen habe. (bb)
War nicht so gemeint
Kanada/USA. »Es tut mir sehr leid, dass er nicht eher freigelassen wurde«, sagte der kanadische Verteidigungsminister Bill Graham in der vorigen Woche und entschuldigte sich förmlich bei Maher Arar. Der aus Syrien stammender Kanadier wurde im September 2002 in New York verhaftet und nach Syrien zum Verhör verschleppt. Über ein Jahr lang blieb er dort im Gefängnis, wo er nach seinen Angaben gefoltert wurde. Er wurde verdächtigt, Kontakt zu Mitgliedern von al-Qaida unterhalten zu haben. Auch wenn die Untersuchung der kanadischen Regierung noch nicht abgeschlossen ist, deutet Grahams Entschuldigung darauf, dass Kanada von seiner Politik in der ersten Zeit nach dem 11. September 2001 Abstand zu nehmen gedenkt. Es wird erwartet, dass Arar rehabilitiert wird, der nach allen Erkenntnissen unschuldig ist. Er will sich mit einem einfachen »Sorry« nicht begnügen und plant, gegen die kanadische und die US-amerikanische Regierung zivilrechtlich vorzugehen. Dann müsste sich die US-amerikanische Justiz endlich mit dem Export von Verdächtigen beschäftigen. Die US-Regierung könnte gezwungen werden, über ihre Zusammenarbeit mit Folterregimes Auskunft zu geben, und Arar bekäme möglicherweise eine Entschädigung. (wh)
Super-Gaudi mit dem Super-Saudi
Saudi-Arabien. Indonesien hat ihn, Österreich auch, und sogar Kasachstan: den »Superstar«. In den arabischen Ländern läuft die Nachahmung der britischen Sendung »Pop Idol« bereits zum zweiten Mal und sorgt im sittenstrengen Saudi-Arabien für Chaos. Der 24jährige Hischam Abdel Rahman aus Jiddah zog vor wenigen Wochen in das Finale der in Beirut aufgezeichneten Sendung ein. Während die Tunesier, die mit Amani Souissi die zweite Finalistin stellten, zum günstigen Ortstarif anrufen und abstimmen konnten, schaltete Saudi-Arabien keine Verbindung frei. Dennoch gaben über zwei Millionen Untertanen, darunter viele Frauen, viel Geld für Ferngespräche aus und verhalfen Hischam zum Sieg. Eine Frau wurde allein deshalb von ihrem Ehemann verstoßen, berichtet die saudische Wochenzeitung Okaz.
Seitdem haben die Tugendterroristen der Religionspolizei alle Hände voll zu tun. Im Gepäck des »Superstars« fanden sie acht Flaschen hochprozentigen Alkohols. Und als er die Hauptstadt Riad besuchte, stürzten sich mehrere hundert junge Leute beiderlei Geschlechts auf ihn, weil sie ihn »auch mal anfassen« wollten. Hischam wurde verhaftet, musste aber auf Geheiß des Prinzen wieder freigelassen werden. (bs)