Florierender Handel

Die ukrainische Regierung versucht, den Visahandel und die damit verbundene Korruption einzudämmen. Den Menschen, die darauf angewiesen sind, in der EU zu arbeiten, nützt das wenig. von franziska bruder, l’viv

Für den stellvertretenden ukrainischen Außenminister, Anton Butejko, ist die so genannte Visa-Affäre vor allem ein innerdeutsches Problem. Dennoch wird aufmerksam verfolgt, dass immer wieder die gleichen rassistischen und sexistischen Stereotypen hervorgeholt werden, um Ukrainerinnen und Ukrainer als Kriminelle oder Prostituierte darzustellen.

Für Empörung sorgte der Ausfall des bayerischen Finanzministers, Kurt Faltlhauser, der Mitte Mai erklärte, die Deutschen würden dank Außenminister Joseph Fischer nun aus der Ukraine mit allem versorgt werden, was man so brauche: »Die beschaffen uns in Bayern mittlerweile alles: Ersatzteile, Zigaretten, Frauen – alles, was schnell und notwendig sein muss. Aufgrund der großen Nachfrage nach Ukrainern und insbesondere Ukrainerinnen haben wir Nachschub angefordert.« Die Union und die FDP werfen der Bundesregierung vor, durch neue Bestimmungen einen »massenhaften Missbrauch« deutscher Einreisevisa ermöglicht zu haben. Vor allem über die deutsche Botschaft in der Ukraine sind Menschen eingereist.

Der neuen ukrainischen Regierung von Präsident Viktor Juschtschenko zufolge sind die Visaregelungen und die Unterstützung aus der EU zentrale Punkte der Außenpolitik. Die Visapolitik ist auch Teil des »Aktionsplans EU-Ukraine«, der Ende Februar vom zuständigen Rat der Union gebilligt wurde. Von einem gleichberechtigten Nebeneinander kann natürlich nicht die Rede sein. Die Ukraine sah sich zu Vorleistungen in der Visapolitik veranlasst. Am 31. März unterzeichnete Präsident Juschtschenko ein Dekret, das Visafreiheit für EU-Bürger und Schweizer vom 1. Mai bis zum 1. September 2005 garantiert. Bis zum EU-Ukraine-Gipfel im Oktober soll nun geklärt werden, ob und wie Visaerleichterungen für die Bewohner der Ukraine realisiert werden können.

Geplant ist, für ausgewählte Personengruppen Regelungen zu schaffen, die ihnen die Einreise in die EU erleichtern. Volker Rühe, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, sagte Anfang April in einem Interview mit der Zeitung Sevodnya, man könne davon ausgehen, dass in einigen Monaten die EU die Visaregelung für Journalisten, Geschäftsleute, Studenten, Kulturschaffende und Wissenschaftler erleichtern werde. Verbesserte Einreisebedingungen für alle Ukrainer liegen jedoch in weiter Ferne. Nach offiziellen Angaben arbeiten von den 48 Millionen Ukrainern fünf bis sieben Millionen im Ausland, nach inoffiziellen Angaben sogar 18 Millionen. Es ist davon auszugehen, dass der überwältigende Teil von ihnen genötigt ist, ohne offizielle Genehmigung und entsprechend unabgesichert zu arbeiten.

In Russland müssen sich Ukrainer neuerdings erst nach neunzig Tagen polizeilich melden. Das verfügte der russische Staatspräsident Wladimir Putin, besorgt um die guten Beziehungen, während des ukrainischen Präsidentschaftswahlkampfs. Diejenigen, die in die EU einreisen wollen, müssen sich zunächst im polnischen Konsulat in L’viv einfinden. Seit Oktober 2003 benötigen Ukrainer ein Visum für die Reise nach Polen. Es wird theoretisch kostenlos ausgestellt, de facto aber kostet es die Menschen viel Zeit und Geld. Kurz nach Einführung der Visapflicht standen bis 12 000 Menschen tage- und nächtelang vor dem Konsulat und warteten auf ihr Visum. Nun sind es »nur« noch etwa tausend Menschen, die täglich anstehen. Dennoch müssen sie in der Regel mehrere Tage Geduld haben, bis sie ihr Visum in der Hand halten.

Das Konsulat in L’viv gibt täglich mehr als tausend Visa aus. Das ist ein Viertel aller polnischen Visa, die weltweit ausgestellt werden. Mitte Mai veröffentlichte die größte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza gemeinsam mit der ukrainischen Tageszeitung L’vivska Hazeta einen Bericht über die florierenden Geschäfte vor dem polnischen Konsulat. Viele Ukrainer, vor allem diejenigen aus ländlichen Regionen, haben Probleme damit, den Fragebogen zur Antragstellung in lateinischen Buchstaben auszufüllen. Sie müssen daher jemanden bezahlen, der das für sie erledigt.

Auch andere Probleme lassen sich mit Hilfe von Dollarscheinen lösen. So erhalten Ukrainer in der Regel ein Touristenvisum, das ein halbes Jahr gültig ist und mit dem sie beliebig oft nach Polen einreisen können. Man darf sich in diesem Zeitraum aber nur insgesamt neunzig Tage in Polen aufhalten. Danach muss offiziell drei Monate gewartet werden, bis erneut ein Visum beantragt werden kann. Oder man zahlt 150 Dollar an die »Visamafia« vor dem Konsulat und erhält sofort ein neues Visum.

Der polnische Generalkonsul, Krzysztof Sawicki, erklärte nach Presseberichten, mit Hilfe der am Konsulatsgebäude installierten Videokameras habe man zwar die Namen der Verantwortlichen herausfinden können, es gebe aber keine Handlungsmöglichkeiten, da die Straße ukrainisches Territorium sei und die Polizei des Landes gegen den Visahandel vorgehen müsse. Im Konsulat würden täglich die Mitarbeiter in den zuständigen Bereichen ausgewechselt, um Missbrauch vorzubeugen. Eine Woche später verhaftete die ukrainische Miliz, die durch die Presseberichte unter Druck geraten war, einen Ukrainer aus dem Landkreis L’viv, der gerade achtzig Dollar für ein Visum kassierte.

Die neue Regierung war unter anderem mit dem Versprechen angetreten, vehement gegen die mit dem Visahandel verbundene Korruption vorzugehen. Bisher hat sie auch versucht, dies zu tun. Seit März wurden 18 000 Beamte aus der Verwaltung und den Polizeibehörden entlassen. Auch die Zöllner an der Grenze werden genauer beobachtet. Sie wehren sich allerdings gegen die verstärkten staatlichen Kontrollen. Unerwartet fiel vor wenigen Wochen der zentrale Computer der Zollabfertigung aus. Die Grenzabfertigung war damit lahm gelegt.

Die Regierung muss die Korruption jedoch in den Griff bekommen, ansonsten werden die Verhandlungen mit der EU nicht vorankommen, da der Westen großes Interesse daran hat, dass der Austausch von Waren ungestört und zügig abläuft. Wäre nur die polnisch-ukrainische Grenzbevölkerung Opfer der korrupten Beamten, wäre die Regierung bei der Kampagne gegen Korruption wohl weniger engagiert.

In den kommenden Monaten sollen die Verhandlungen zwischen der polnischen und der ukrainischen Regierung über ein neues Abkommen beginnen, das die Beschäftigung von Ukrainern in Polen regelt. Die ukrainischen Arbeitskräfte sind vor allem auf dem Bau, in der Alten- und Kinderpflege und der Landwirtschaft tätig. Bislang mussten Arbeitgeber, die einen Ukrainer offiziell einstellen wollten, nachweisen, dass kein Pole für diesen Arbeitsplatz zur Verfügung steht, und etwa 200 Euro »Gebühr« bezahlen. Obwohl die Arbeitslosigkeit über 20 Prozent beträgt, geht die polnische Regierung von einem großen Bedarf an ukrainischen Arbeitskräften aus.

Der regulierte Transfer billiger Arbeitskräfte und Waren liegt somit im Interesse beider Staaten. Unter welchen Bedingungen dies abläuft, wird wie gemeinhin üblich zum Nachteil derjenigen ausgehandelt, die sich nicht gut wehren können. Das sind die Menschen in den Grenzregionen, die sich weiterhin vor dem Konsulat die Beine in den Bauch stehen müssen.