Oskar für alle

Ob rechts, ob links, Oskar Lafontaine hat für jeden etwas im Angebot. Er fordert weniger Zuwanderung, weniger Finanzkapital und mehr Staat. von stefan wirner

Die Linke spricht die Sprache der Rechten«, schreibt Oskar Lafontaine in seinem jüngsten Buch »Politik für alle«, und der beste Beweis dafür ist er selbst. »Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen«, sagte er auf einer Demonstration in Chemnitz am Montag der vorigen Woche. Mit dem Begriff »Fremdarbeiter« bezeichneten die Nationalsozialisten ausländische Zwangsarbeiter, die aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten nach Deutschland deportiert wurden.

Lafontaines Äußerung kam den rot-grünen Politikern gerade recht. Die Innenpolitikerin der SPD, Cornelie Sonntag-Wolgast, monierte, die Wortwahl sei »nahe am Nazi-Jargon«. Der parlamentarische Geschäftsführer der grünen Fraktion, Volker Beck, meinte, »jeder anständige Demokrat, Linke oder Antifaschist« müsse Lafontaine nun die Unterstützung verweigern. Er sagte aber nicht, ob man stattdessen Gerhard Schröder unterstützen solle, der sich 1997 mit den Worten empfahl: »Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell.«

Auch aus den Reihen des Wahlbündnisses der PDS und der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (Wasg) wurde Lafontaine zurechtgewiesen. Der Wahlkampfleiter der PDS, Bodo Ramelow, sagte: »Eine solche Wortwahl ist mit uns nicht zu machen.« Seine Partei hat mit der Sprache der Rechten so ihre Erfahrungen gemacht, saß doch mit Christine Ostrowski bis ins Jahr 2002 eine Politikerin der PDS im Bundestag, der bereits Anfang der neunziger Jahre aufgefallen war, dass in sozialen Fragen die Übereinstimmung zwischen den Rechtsextremen und der PDS »bis hin zum Wortlaut« reiche.

Auch die NPD beschwerte sich über Lafontaine. Der »gescheiterte Sozialdemokrat« versuche, »mit NPD-Forderungen für das neue Linksbündnis zu werben«, stellte die Partei beleidigt fest. Lafontaine hingegen rechtfertigte seine Äußerung. Er habe den Begriff »Fremdarbeiter« ohne jede diskriminierende Absicht verwandt, er benutze das Wort »fremd« niemals, um jemanden auszugrenzen. Dass einige seiner besten Freunde »Fremdarbeiter« seien, hat er nicht behauptet.

Der Bundestagswahlkampf ist in Deutschland traditionell eine Zeit, in der gerne nationale Töne angeschlagen werden. Nicht selten sind es linke Parteien, die sich darin hervortun. So waren es Politiker der PDS, die 1998 in der Zeitung Neues Deutschland die Frage diskutierten: »Wie national muss die Linke sein?« Im Jahr 2002 traf Bundeskanzler Gerhard Schröder die Stimmung, als er vom »deutschen Weg« in der Außenpolitik sprach. In diesem Jahr ergreift Lafontaine die Initiative.

Schon seit langem nimmt er den deutschen Lohnabhängigen vor der vermeintlichen ausländischen Konkurrenz in Schutz. Die Kampagne der Unionsparteien gegen das Asylrecht Ende der achtziger Jahre pointierte er, indem er forderte, den Zuzug von Aussiedlern zu begrenzen. Im März 2002 schrieb er in der Bild-Zeitung: »Drei Viertel von ihnen sind ohne deutsche Wurzeln und Sprachkenntnisse. Sie beziehen Leistungen aus den Sozialkassen. Junge Aussiedler bilden Banden und werden straffällig.«

Zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden der SPD, Björn Engholm, brachte er Anfang der neunziger Jahre die SPD dazu, der Änderung des Asylrechts zuzustimmen. In »Politik für alle« erläutert er: »Die forcierte Zuwanderung wird in Deutschland einzig von den oberen Zehntausend gefordert, die von deren Folgen gar nicht oder nur am Rande betroffen sind. Sie konkurrieren nicht um Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich. Sie haben kein Problem, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Sie schicken ihre Kinder auch nicht auf Grundschulen, in denen die Zahl der Ausländerkinder überwiegt.« Über den Beitritt der Türkei zur EU will Lafontaine »das Volk« abstimmen lassen. Böte sich da nicht auch eine Unterschriftensammlung an?

Lafontaine unterstützt immer wieder rechtspopulistische Forderungen. So begrüßte er Otto Schilys Idee, in Nordafrika »Auffanglager« für Flüchtlinge zu errichten. Im Jahr 2002 stand er dem damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten Frankfurts bei, Wolfgang Daschner, der dem mutmaßlichen Entführer des Bankierssohns Jakob Metzler mit Folter gedroht hatte.

Auch seine Ideen vom Sozialstaat dürften wenig damit zu tun haben, was sich so manches Mitglied der PDS oder der Wasg erträumt. Ende der achtziger Jahre trat er für Wochenendarbeit und für eine »Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich« ein, eine Forderung, die er in der vorigen Woche im Interview mit der Süddeutschen Zeitung wiederholte. Aber wehe, wenn jemand die Arbeit »ohne Lohnausgleich«, also die schlechter bezahlte, nicht annimmt! »Eine angebotene Arbeit muss angenommen werden. Sonst wird die Sozialhilfe gekürzt«, drohte er im Juli 1998 in Bild.

Warum blieb er eigentlich nicht in der SPD und stritt für die Agenda 2010? Offenkundig ist, dass er die Partei nicht verlassen hat, um sich für die Revolution oder auch nur für eine widerspenstige Gegenbewegung einzusetzen. Vielmehr scheint er auf seine Art die Sozialdemokratie retten zu wollen, die sich in der Regierungszeit von Gerhard Schröder bis zur Kenntlichkeit offenbart hat. Anders als die Sozialdemokraten Schröder und Tony Blair jedoch, die das Supremat des Marktes vertreten, glaubt Lafontaine an eine staatliche Lenkung der Wirtschaft, die ohne Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse für einen prosperierenden Wohlfahrtstaat sorgen könne. Die »soziale Gerechtigkeit« müsse wieder zu einem »Ordnungsprinzip der modernen Gesellschaft« werden, sie trage »zur Befriedung bei«, schreibt er in »Politik für alle«.

Er lässt auch keinen Zweifel daran, wer seines Erachtens die »Befriedung« verhindert und die Ordnung untergräbt: »die unsichtbare Hand der ›schlechten Philosophie‹ des Geldes«, die »Ideologie des angelsächsischen Neoliberalismus«, der »internationale Finanzkapitalismus«, das »weltweite Spielcasino«, die »Wall Street«, das »Geld«, »unsere Bundestagsabgeordneten«, die »Reichen«, Tony Blair, George W. Bush, die Hedge Fonds und die »Heuschrecken«.

Lösen will er die Probleme in der Manier jener Heizdeckenverkäufer, die das Ende von Rheuma und Ischias versprechen, wenn man nur rechtzeitig in den Kauf einwillige. In seinem Buch schlägt er u.a. vor, eine »europäische Wirtschaftsregierung« zu bilden, den internationalen Kapitalverkehr zu regulieren und die Tobin-Steuer einzuführen. Seine Ideen gipfeln in aberwitzigen Anregungen wie der, die Staatsbürgerschaft an »die Zahlung von Steuern und Abgaben« zu binden.

Von der kapitalistischen Produktionsweise redet er nicht. Lieber setzt er sich putschartig an die Spitze der Bewegung der Unzufriedenen, unterstützt Attac, führt die Wahlalternative an und schreibt der PDS vor, was sie zu tun habe: Nicht einmal ihren Namen soll sie im Wahlbündnis behalten. In der Süddeutschen Zeitung rechtfertigt er die Zusammenarbeit mit ihr. Ihr neues Programm nehme »wesentliche Elemente aus sozialdemokratischer Programmatik auf: unter anderem das Bekenntnis zu Demokratie und Marktwirtschaft, zu freiem Unternehmertum und zu Gewinn«. Auch wenn sie es nicht weiß: Für die Sozialdemokratie ist Lafontaine nach wie vor ein Gewinn. Für diejenigen, die die Kritik am Bestehenden verschärfen wollen, ist er ein Desaster.