Anders deutsch

In Hamburg wurden 6 000 Deutsche türkischer Herkunft aufgefordert, eine mögliche zweite Staatsbürgerschaft zu melden. von anke schwarzer

Es gibt keinen Grund zur Sorge, wir wollen Ihnen helfen«, heißt es in den Briefen der Hamburger Innenbehörde, die sie Anfang Juni an rund 6 000 Deutsche verschickte. Darin werden die Empfänger aufgefordert, bis zum 7. Juli Auskunft über ihre Staatsangehörigkeit zu geben. Man wolle sicherstellen, dass vor den Bundestagswahlen das Melderegister und das darauf basierende Wählerverzeichnis auf den aktuellen Stand gebracht werde.

Hintergrund ist die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Seit dem 1. Januar 2000 geht die deutsche Staatsangehörigkeit in der Regel verloren, wenn jemand eine andere annimmt, egal ob sich die betreffende Person im Inland oder im Ausland aufhält. Selbst wenn sie noch einen deutschen Pass in Händen hält, ist sie bereits rechtlich zum Ausländer geworden (Jungle World, 5/05).

Mit dem Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft gehen zugleich alle daran geknüpften Rechte verloren. Die Betroffenen benötigen dann zum Beispiel einen Aufenthaltstitel und eine Erlaubnis für ihre Erwerbsarbeit. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums haben etwa 50 000 Deutsche türkischer Herkunft seit dem 1. Januar 2000 zusätzlich einen türkischen Pass erhalten und damit ihre deutsche Staatsangehörigkeit verwirkt.

Der Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem, Mitglied der Initiative »Kein Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft«, übt scharfe Kritik an der Innenbehörde. Das Schreiben verunsichere Tausende Bürger türkischer Herkunft. Auch vermittele der Massenversand an die Eingebürgerten den Eindruck, sie gehörten nicht hierher und seien »Deutsche zweiter Klasse«. Er betrachtet es als eine »Stigmatisierung«, dass nicht alle, sondern nur die Deutschen türkischer Herkunft angeschrieben wurden. Auch andere Bürger könnten eine zweite Staatsangehörigkeit angenommen haben, etwa Aussiedler die russische.

Nur von der Türkei habe man eine entsprechende Mitteilung bekommen, begründet Reinhard Fallak, der Sprecher der Innenbehörde, das Vorgehen. »Von anderen Regierungen haben wir derartige Auskünfte nicht erhalten.« Wer nicht bis zum 7. Juli antworte, werde erneut angeschrieben. Wer sich dann immer noch nicht melde, werde »automatisch aus dem Wählerverzeichnis gelöscht und als Türke weitergeführt«.

Bereits im Januar dieses Jahres wurden über 70 000 Deutsche türkischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen angeschrieben. Fast alle antworteten, knapp 4 000 von ihnen gaben an, die türkische Staatsbürgerschaft nach dem Jahr 2000 wieder angenommen zu haben. Auch in anderen Bundesländern, etwa Bayern und Berlin, sind die Behörden aktiv geworden.

Die Kränkung der Betroffenen, die die Hamburger Innenbehörde nicht Bürger, sondern »Mitbürger« nennt, sitzt tief, die Empörung bei deutsch-türkischen Verbänden ist groß. Die Initiative »Kein Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft« protestiert gegen das Vorgehen der Behörde und setzt sich in einer Unterschriftenkampagne für eine »humane Lösung« ein: »Diese Menschen, die zumeist hier völlig integriert sind, werden mit einem Federstrich wieder zu Ausländern gemacht. Das kann nicht der richtige Weg für diese Gesellschaft sein!«

Im Bundesinnenministerium bleibt man hart. Eine doppelte Staatsbürgerschaft für die Betroffenen werde es nicht geben, allenfalls könne eine »zügige Wiedereinbürgerung« zugesichert werden. Damit ist längst nicht garantiert, dass alle Betroffenen tatsächlich wieder eingebügert werden. Probleme dürften diejenigen bekommen, die in der Zwischenzeit straffällig geworden sind. Und manch einer, der vor der rot-grünen Reform die deutsche Staatsbürgerschaft bekam, könnte nun an Hindernissen scheitern, die es vorher nicht gab, z. B. an den Sprachprüfungen.

Zukünftig soll es ein Abkommen mit der Türkei geben, wonach sich die beiden Staaten die Namen neuer Bürger mitteilen müssen.