Braune Eintracht

In Frankfurt am Main und Umgebung treten Neonazis offensiver in Erscheinung. Vermutlich haben sich zwei Kameradschaften vereinigt. von jessica konrad

Der Begriff »Dritte Halbzeit« würde besser passen für das, was der Pressesprecher der Polizei in Frankfurt am Main, Peter Liebeck, »schlicht und einfach ein Revanchefoul« nannte. In der Nacht vom 23. auf den 24. April wurden im Frankfurter Kneipenviertel Sachsenhausen vier Jugendliche von etwa 15 Neonazis angegriffen und verprügelt unter Rufen wie: »Wir bringen euch alle um« und »Scheiß-Juden«, weil einer von ihnen einen Antifa-Button trug. Einem der Jugendlichen wurde mit einer Holzlatte, in der ein Nagel steckte, auf den Kopf geschlagen. Erst als ein großes Polizeiaufgebot eintraf, flüchteten die Neonazis. Einige von ihnen konnten dennoch festgenommen werden. So schildern die Angegriffenen den Vorfall, bei dem alle vier Gehirnerschütterungen, manche auch Platzwunden oder einen Kieferbruch erlitten. Einigen von ihnen wurden auch Zähne ausgeschlagen.

Folgt man der Sichtweise Liebecks, dann haben die Neonazis an diesem Abend lediglich in den Angegriffenen »eine andere Fraktion« auf der Straße ausgemacht, worauf das »Rückspiel einer anderen Demonstration« folgte. Im Gespräch mit der Jungle World sagte er außerdem, dass es in Frankfurt keine Aktivitäten von Neonazis gebe.

Die Frankfurter »Antifa f« teilt diese Sicht der Dinge nicht. Es sei schon seit langem bekannt, dass sich gerade in Sachsenhausen Neonazis regelmäßig in verschiedenen Kneipen träfen. »Angesichts dessen, dass es die Frankfurter Polizei anscheinend nicht für nötig hält, die Öffentlichkeit über diesen Überfall zu informieren, stellt sich die Frage, wie hoch die Dunkelziffer bei rassistischen und antisemitischen Angriffen in Sachsenhausen ist«, sagte der Sprecher der Gruppe, Lars Mertens.

Schmierereien von Neonazis sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Regelmäßig findet man die Schriftzüge »Sieg Heil«und »Heil Hitler«, Hakenkreuze oder andere rechtsextreme Parolen an Stromkästen und Häuserwänden. Sie finden sogar Erwähnung im gerade erschienenen hessischen Verfassungsschutzbericht. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt zeigen sich die Neonazis offensiver. Zum 60. Jahrestag der Befreiung hissten Rechtsextreme am Fahnenmast einer Burgruine in Falkenstein die Reichskriegsflagge, verschlossen das Eingangstor und sicherten es mit einer Handgranate, die sich erst nach einer Untersuchung von Sprengstoffexperten als eine Übungshandgranate herausstellte. Damit bewiesen die Rechtsextremen eine Kenntnis ihrer Lokalgeschichte, denn bereits im Jahr 1931 brachte dort ein strebsamer Nationalsozialist eine Hakenkreuzfahne an. Wenige Tage vor dem 8. Mai dieses Jahres verteilten Neonazis an mehreren Schulen in Frankfurter Vororten Flugblätter und Zeitschriften und klebten Plakate. Auch für die verbotene CD »Projekt Schulhof« wurde in der letzten Zeit an mehreren Schulen, auch in der Frankfurter Innenstadt, mit Plakaten und Schmierereien geworben.

In Friedrichsdorf, in der unmittelbaren Umgebung Frankfurts gelegen, zeigen sich die Rechtsextremen schon seit langem besonders aktiv. Als deshalb der DGB und der Arbeitskreis Asyl dort im Dezember einen Informationsabend veranstalteten, störten etwa zehn Neonazis die Veranstaltung, wobei ein Wortführer die Shoah gleichzeitig leugnete und begrüßte: »Ich würde es akzeptieren, wenn sechs Millionen Juden umgebracht worden wären«, sagte er nach Angaben der Frankfurter Rundschau. Im Januar wurden mehrere Jugendliche in Friedrichsdorf von Neonazis angegriffen und teilweise verletzt.

»Es hat keinen Sinn mehr, zwischen den Strukturen der Neonazis in den Vororten von Frankfurt und denen in Frankfurt zu unterscheiden«, meint eine Antifaschistin. Dafür spreche, dass sich die »Freien Nationalisten Rhein-Main« aus Mitgliedern zusammensetzten, die sowohl in der Stadt als auch im Umland wohnten. Zwar erwähne der aktuelle hessische Verfassungsschutz sowohl die »Nationale Kameradschaft Frankfurt« (NKF) als auch die »Freien Nationalisten Rhein-Main«, es sei jedoch davon auszugehen, dass erstgenannte schon seit längerem in den »Freien Nationalisten Rhein-Main« aufgegangen sei. »Bei den Freien Nationalisten tummeln sich inzwischen Neonazis, die früher der NKF zuzurechnen waren. Auch existiert die Homepage der NKF nicht mehr.«

Den Kern der »Freien Nationalisten Rhein-Main« schätzt sie auf etwa 20 Personen. Diese Anzahl konnten die Rechtsextremen jedenfalls beim so genannten Rudolf-Hess-Gedenkmarsch in Wunsiedel im vergangenen Jahr hinter ihrem Transparent versammeln. Es sei davon auszugehen, dass diese Personen darüber hinaus über gute Kontakte zur »Kameradschaft Saarlautern« und zu Neonazis in Südhessen verfüge. Deshalb richten die Antifas ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Überschneidungen zwischen der Frankfurter Neonazi-Szene und den Entwicklungen im gesamten Rhein-Main-Gebiet. »Anlass für übermäßigen Alarmismus gibt es jedoch nicht«, sagt die Antifa.

Die Initiative Zivilcourage wies unlängst in einem Flugblatt, welches an der Frankfurter Universität verteilt wurde, darauf hin, dass dort die »militante Neonazi-Anführerin« Janine Bedau studiere. Nach Informationen der Initiative war sie beim Neonaziaufmarsch in Dresden am 13. Februar »in vorderster Front dabei und trug mit anderen ein Transparent mit der Aufschrift ›Am Ende steht der Sieg‹«. Außerdem wohne sie mit den »führenden Köpfen der ›Freien Nationalisten‹, Marcel Wöll und Christian Müller«, zusammen. Einer der beiden soll nach Angaben der Koordination hessischer Antifagruppen an einem Überfall auf einen vermeintlichen Aussteiger in Frankfurt beteiligt gewesen sein, der dabei schwer verletzt wurde.

In Nidderau-Heldenbergen, wo die Wohngemeinschaft bis vor kurzem wohnte, fanden der Initiative Zivilcourage zufolge mehrere bundesweite Treffen von Neonazis sowie im April 2004 ein Rechtsrockkonzert mit etwa 100 Besuchern anlässlich des Geburtstages von Adolf Hitler statt.

Inzwischen ist die Wohngemeinschaft nach Butzbach im Taunus gezogen, wo sie nach Berichten des Hessischen Rundfunks ein Haus gekauft hat. Dort fänden nun regelmäßige Treffen von Rechtsextremen statt. Auch ein »Kameradschaftszentrum« sei geplant, heißt es unter Berufung auf Behördenkreise weiter.