Ein Philosoph zum Abschalten

Bernard-Henri Lévy erklärt den Franzosen Gott und die Welt. Jetzt erklärt eine Biografie, wie der Medienintellektuelle wurde, was er ist. von bernhard schmid

Im zarten Kindesalter wurde Justine Lévy, die inzwischen Anfang 30 und Verfasserin zweier Romane ist, von ihrer Grundschullehrerin gefragt, was denn ein Philosoph sei. Zu jener Zeit wirbelte der Papa des Mädchens gerade als so genannter nouveau philosophe einigen Staub auf. »Ein Philosoph, das ist ein Monsieur, der im Fernsehen auftritt«, antwortete das Töchterlein brav.

Die Anekdote hat Philippe Cohen ausgegraben, der eine gut 400seitige Monumentalbiografie des Mannes auf den Büchermarkt geworfen hat, dessen Initialien BHL mittlerweile längst zu einem Markennamen im Mediengeschäft geworden sind. So sehr, dass Cohen zufolge der Ausspruch vom Fernseh-Philosophen den Nagel auf den Kopf trifft: Die zentrale These seines mittlerweile 30 000 Mal verkauften Buches mit dem Titel »BHL, une biographie« lautet nämlich, dass der Mann, dessen Leben er nachzeichnet, wie kaum ein anderer den Übergang von der Macht der Ideen zu jener des Fernsehens und der Medienkonzerne verkörpere, von der Geisteswissenschaft zum marktförmigen und eingängigen Prêt-à-penser.

Die erste »Roman-Reportage« von BHL geht auf das Jahr 1971 zurück. Damals wütete der Sezessionskrieg zwischen dem seinerzeitigen Ostpakistan – heute Bangladesh – und dem pakistanischen Staat, der durch das Eingreifen Indiens entschieden wurde. Bernard-Henri Lévy war damals 23 Jahre alt und Student einer Elitehochschule, der äußerst selektiven Ecole Normale Supérieure. Wie es dem damaligen Zeitgeist entsprach, sympathisierte er mit maoistischen Idealen und mit seinem marxistischen Lehrer Louis Althusser. Und entsprechend stimmte er bei seiner Rückkehr aus Bengalen das Hohelied auf den »revolutionären« Dritte-Welt-Nationalismus an: Sein Buch heißt »Bangladesh, nationalisme dans la révolution«.

Später behauptet er, er sei spontan an einem Morgen im Oktober nach Südasien aufgebrochen, nachdem er André Malraux – den ehemaligen Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg und späteren Kulturminister unter Charles de Gaulle – »im Radio einen Aufruf zur Bildung internationaler Brigaden für Bangladesh« habe lancieren hören.

Wie Philippe Cohen nachweist, hatte der junge Lévy jedoch bereits im Juni 1971 bei einem seiner Professoren, dem mit dem Maoismus sympathisierenden Charles Bettelheim, einen Forschungsaufenthalt in Bengalen angemeldet, den er vier Monate später antrat. Und seine Recherchen, die er später als gefährliches Eintauchen in einen Guerillakrieg darstellt, tätigte er schon damals von einem der ersten Hotels am Platze aus. An dieser Arbeitsweise hat sich seither im Prinzip nichts geändert, denn Bernard-Henri Lévy ist es gewohnt, die Konfrontation mit dem »Elend der Welt« von einer komfortablen Position aus zu suchen. Das heutige Vermögen des Mannes wird auf 150 bis 180 Millionen Euro geschätzt. Es handelt sich um das väterliche Erbe: André Lévy, der den Grundstein für sein Vermögen in der französischen Kolonialgesellschaft in Algerien legte – dort wurde BHL 1948 geboren – und sich erst nach dessen Unabhängigkeit im Pariser Großbürgervorort Neuilly-sur-Seine niederließ, handelte mit Holz. Zum Multimillionär wurde er ab den sechziger Jahren durch den Verkauf von Tropenhölzern aus der Côte d’Ivoire.

Anfänglich sympathisierte BHL noch mit einer linksradikalen Ideologie, solange diese in den Jahren nach 1968 in Frankreich eine halbe Generation prägte. Als die Faszination zu verfallen und der Wind sich zu drehen begann, gehörte er unterdessen zu den lautesten Wortführern der Trendwende: Er war es, der ab 1976 das Markenzeichen der »Neuen Philosophen« einführte und in der Literatur durchsetzte. Darunter wurden jene jungen Leitwölfe verstanden, die angesichts der Publikation von Literatur der sowjetischen »Dissidenten« um Alexander Solschenizyn erstmals die Realität des Gulag – der in Frankreich seit den späten vierziger Jahren durch Buchveröffentlichungen bekannt war – wahrzunehmen schienen und dies zum Anlass nahmen, mit Marx und seiner Gesellschaftstheorie als dem angeblichen Schuldigen abzurechnen.

BHL wurde zum Wortführer dieser Generation von Intellektuellen, die ihre »Enttäuschung und bittere Ernüchterung gegenüber der sozialen Utopie« wortreich zu zelebrieren verstand. 1977 publizierte er »La barbarie à visage humain« (Die Barbarei mit menschlichem Antlitz), eines seiner bekannteren Bücher, in dem er die These von der Systemkonvergenz aufstellt: Der moderne Kapitalismus wie der real existierende Sozialismus tendierten dazu, ineinander über- und in einem einheitlichen System aufzugehen. Die Mechanismen des modernen Sozialstaats machten den Kapitalismus immer »sozialistischer«, während der Sozialismus durch die Einführung moderner Managementtheorien immer (staats-)kapitalistischer werde. Das totale System, das angeblich aus diesem vermeintlichen Zusammenwachsen der beiden Großsysteme resultiere, das lässt BHL immer wieder durchblicken, sei als Faschismus zu bezeichnen. Der einzige Ausweg liege, schreibt er, in einem totalen Verzicht auf jeglichen Anspruch auf Gesellschaftsveränderung durch eine historische Umwälzung. Die Macht sei nicht äußerlich und könne daher niemals erobert oder auch abgeschafft werden, vielmehr sei sie in jedem Individuum selbst angelegt. »Die Realität existiert nicht«, »es gibt keine Natur, sondern nur einen Diskurs über die Natur«, behauptet BHL offenbar unter postmodernem Einfluss.

Nun hat sich diese Prognose von der Systemkonvergenz seither mächtig blamiert, und der Kapitalismus wurde keineswegs immer stärker sozialstaatlich verfasst, sondern ab Anfang der achtziger Jahre durch den Neoliberalismus umgebaut. Doch lässt sich aus der historischen Perspektive nachvollziehen, warum solche Thesen damals bei linksliberalen oder sich vom Marxismus entfernenden Intellektuellen leicht Anklang fanden: Die französische KP, deren Niedergang in den siebziger Jahren einsetzte, versuchte damals, die Erosion ihres Einflusses durch nationalistische und teilweise ausländerfeindliche Töne aufzuhalten – sinnfällig symbolisiert durch den Bulldozer von Vitry-sur-Seine, mit dem Weihnachten 1980 ein stalinistischer Bürgermeister der Pariser Banlieue ein bezugsfertiges Immigrantenwohnheim plattwalzte. Damals kündigte sich der Aufschwung der extremen Rechten an, die ab 1983 offen durchbrach, und die KP versuchte, deren späteres Publikum zu umwerben. Die These von einer großen Konvergenz, in der Neofaschismus, bürgerliche Herrschaft und realsozialistische KP-Strukturen in einem Einheitsbrei aufgingen, wurde damals auch etwa von Guy Konopnicki – später ein persönlicher Freund Bernard-Henri Lévys und neoliberaler Grünen-Abgeordneter – in seinem Politkrimi »Les bouches se ferment« (Paris 1981) vertreten.

BHL legte in zwei eigenen Büchern nach. In seinem »Le Testament de Dieu« (Das Testament Gottes) von 1979 begründet er eine neue philosophische Unterscheidung: Der Polytheismus, namentlich jener der griechischen Antike, führe zum modernen Totalitarismus und, über diesen vermittelt, zum Terror. Dagegen bilde der Monotheismus in seinen drei Varianten – Christentum, Judaismus und Islam – eine »Barriere gegen die Barbarei«. In der historischen Perspektive lautet die Lehre daraus: »Man muss zwischen Athen und Jerusalem wählen.« BHL schrieb dies keineswegs als Gläubiger – er wuchs in einer Familie von Agnostikern auf –, sondern es war sein Ergebnis einer angeblich umfassenden historischen Analyse.

Dabei tat er freilich den Fakten – vor allem in der Analyse des antiken Griechenland, aber auch vieler theologischer Texte des Christen- oder Judentums – derart viel Gewalt an, dass sein Testament einen Totalverriss durch namhafte Historiker erfuhr. Pierre Vidal-Naquet, einer der bekanntesten jüdischen Intellektuellen in Frankreich und Hellenestik-Spezialisten, veranlassten Lévys Analysemethoden zu dem Ausspruch, dass damit jeder Prüfling durchs Abitur fiele. Der Philosoph Kostas Papaiouannu sprach sarkastisch von den »Protokollen der Weisen von Athen«. Cornélius Castoriadis, einer der führenden Intellektuellen der antistalinistischen Linken, erklärte BHL hernach für intellektuell erledigt.

Mit »L’idéologie française« (1981) stellt BHL die These auf, Frankreich bilde das wirkliche »Mutterland des Nationalsozialismus«, den er sich als eine Supersynthese aller sozialistischen und nationalistischen Strömungen vorstellt. Seine Wurzeln findet er unter anderem im französischen Anarchosyndikalismus, in der Kommunistischen Partei, im Linkskatholizismus. Ganz Frankreich sei ideologisch vom »Pétainismus« geprägt, den er fälschlich mit dem Nationalsozialismus gleichsetzte, obwohl das Vichy-Regime eher eine Diktatur klerikaler und militärischer Eliten mit faschistischen Einsprengseln war, im Unterschied zum Nationalsozialismus, der sich auf eine echte Massenbewegung stützte.

Auch dieses Mal fielen die Reaktionen bei Kennern der Materie vernichtend aus. Der Historiker des Antisemitismus, Léon Poliakov, bei dem BHL sich als angeblichem Ideengeber bedankt hatte, bezeichnete das Buch als »historisch falsch«. Der liberale Philosoph Raymond Aron erklärte: »BHL ist für die Wahrheit verloren.« Aber das Buch mit seiner provokatorischen Grundthese führte 1981 monatelang die Bestsellerlisten an. Die Liberalen jubilierten, da sie endlich den Beweis für die Wesensgleichheit von linkem und rechtem Radikalismus zu haben glaubten. Fernseh- und Zeitschriftenjournalisten goutierten die gelungene Provokation.

Die Konsequenzen aus der »BHL-Affäre« infolge des Erscheinens von »L’idéologie française« sind in den Augen seiner heutigen Biografen symptomatisch dafür, wie sich damals die Figur des »intellectuel médiatique« herauskristallisierte. Bei den Geisteswissenschaftlern aller Disziplinen – Philosophen, deren Materie BHL selbst einst studiert hatte, Historikern oder Literaturwissenschaftlern – schien der Mann ein für allemal erledigt. Aber was sind ein paar Dutzend Akademiker, fragt etwa Philippe Cohen, neben »einer Million Zeitschriftenlesern und zehn Millionen Fernsehzuschauern?«

Als sich die von ihm selbst kreierte Bezeichnung als »Neuer Philosoph« abzunutzen begann, übte er sich einfach einige Jahre lang in anderen Disziplinen. Voilà BHL romancier: In den achtziger Jahren verfasst er zwei oder drei Romane. Regelmäßig setzt er dabei die Figuren »des Guten« und »des Bösen« ein, die er mit seinen einige Jahre zuvor gewonnen Denkmustern des Antitotalitarismus, in denen das rote und das braune Übel einander ergänzen, versieht.

Beispielsweise in seinem Erstlingsroman »Le Diable en tête« (Der Teufel im Kopf). Darin tritt der reichlich überzeichnet wirkende Protagonist Benjamin C. auf den Plan. In dessen Familiengeschichte sollen sich alle Übel des Jahrhunderts kristallisieren: Sein Vater ist ein Nazi, der bei der Befreiung Frankreichs erschossen und dessen Platz in der Familie vom Stiefvater, einem Résistancekämpfer und Stalinisten, eingenommen wird. Der gründlich traumatisierte Sohn hechelt im Laufe des Romans durch alle möglichen politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts – von der Unterstützung für den algerischen Befreiungskrieg über den Pariser Mai 1968 und die Mitgliedschaft bei den Roten Brigaden bis in palästinensische Ausbildungslager –, bevor er am Ende als Mörder hingerichtet wird. BHL wird in einem Interview erklären, er habe »die Frage des Bösen aus der Innenperspektive (seines Protagonisten) behandeln wollen«.

In den neunziger Jahren versucht er sich auch als Filmemacher und Theaterregisseur. Beide Erfahrungen enden jedoch mit dem größten anzunehmenden Flop. In seinem Theaterstück »Le jugement dernier« (Das jüngste Gericht) versucht er etwa, die These Francis Fukuyamas vom »Ende der Geschichte« zu inszenieren. Dabei überfrachtet er die Aufführung derart mit Personen, die jeweils für ein Konzept stehen – Lenins Krankenschwester; ein Reichsbahnangesteller, der an Judendeportationen teilnimmt; Pol Pot; eine Ex-Geliebte des Militanten Andreas Baader – , dass kein Zuschauer mehr der Handlung folgen kann.

In jüngster Zeit hat BHL eine neue Rolle für sich gefunden, die des internationalen Missionars oder, wie die Zeit schrieb, des »politischen Fremdenlegionärs«. Mit stetiger Unterstützung des Fernsehens und der Regenbogenpresse, in der er einen festen Platz einnimmt, seitdem er 1993 die Schauspielerin Arielle Dombasle in zweiter Hochzeit ehelichte und damit in die Schickeria einheiratete.

Ihren Höhepunkt fand die neue Rolle des Bernard-Henri Lévy, als Präsident Chirac ihn 2001/02 zum französischen »Sondergesandten« für Afghanistan machte. Er meint das Land zu kennen, da er bereits 1981 zur Unterstützung der afghanischen Mujahedin im Kampf gegen die sowjetische Armee aufrief und deswegen zu einer Reportage ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet fuhr. Seit dem 11. September hat BHL dabei eine neue Front im Kampf gegen die Kräfte der Finsternis aufgemacht: Ihm zufolge läuft die neue Trennlinie zwischen Gut und Böse dabei zwischen den von ihm ausgemachten Tendenzen des »Islam der Aufklärung« und dem »totalitären Islam«. Für die erstgenannte Variante, die es zu unterstützen gelte, standen – folgt man BHL – der bosnische Präsident Alija Izetbegovijc und die afghanische Nordallianz, die als gute Fundamentalisten gegen die bösen Taliban kämpften.

Eine besondere Sympathie hegt BHL dabei für den früheren Nordallianz-Kommandanten Massud, der am 9. September 2001 ermordet wurde. Heute behauptet Bernard-Henri Lévy, er sei der Freund des Kommandanten gewesen, mit dem er bereits bei seinem Besuch von 1981 zusammengetroffen sei – bei dem Lévy sich freilich nur im Grenzgebiet aufhielt, während Massud sich tief im Landesinneren in einem Tal des Pamirhochlands befand.

Pech für BHL, dass sein Biograf Philippe Cohen von dem Dokumentarfilmer Christophe de Ponfilly erfuhr, dieser sei im Jahr 1998 von BHL gefragt worden, ob er ihn nicht bei Massud einführen könne. In jenem Jahr hat BHL den von ihm später verherrlichten »Löwen des Pamir« zum ersten und einzigen Mal getroffen. Für ein einstündiges Gespräch, in dessen Verlauf Massud nach Aussage von BHL »fast nichts gesagt« hat.

Einmal mehr hatte BHL mächtig aufgeschnitten, so wie Mitte der neunziger Jahre mit seinem berühmten Foto aus Bosnien: Darauf ist der Jet-Set-Intellektuelle in einem Schützengraben zu sehen, in dem er sich duckt, scheinbar mächtig um sein Leben fürchtend. Leider wurde später die gesamte Aufnahme publik, aus der das bekannte Pressebild nur ausgeschnitten war. Im Gesamtpanorama sieht man, am Rande und oberhalb des Schützengrabens, einige Blauhelmsoldaten stehen, die ihre Helme abgenommen haben und gemütlich rauchen. Die Gefahrensituation war nur inszeniert – wie so vieles im Leben des BHL.