Mein Öl, dein Öl

Mit Forderungen nach Kontrolle über die Ressourcen vergrößern die Bundesstaaten des Nigerdeltas ihre Macht und fördern die Warlordisierung in der Region. von ruben eberlein

Der untersetzte, rundliche Mann mit dem schwarzen Hut redet mit hoher, agitierender Stimme und kommt schnell zur Sache. Oronto Douglas, prominenter Umweltaktivist und seit kurzer Zeit Regierungssprecher des ölreichen Bundesstaates Bayelsa, nutzt seinen Auftritt vor der National Political Reforms Conference (Confab), um die vollständige Kontrolle über die Ölförderung der Bundesstaaten im südlichen Nigeria zu fordern. An die Delegierten aus den nördlichen und westlichen Regionen sowie die Zentralregierung gewandt, führt er aus: »Wenn man uns nicht gibt, was uns gehört, werden wir es uns nehmen.«

Die umstrittene Konferenz wurde im Februar dieses Jahres auf Initiative der Regierung unter Olusegun Obasanjo einberufen. Sie dient vor allem als Podium für die Vertreter der regionalen Interessen, um sich vor ihrer Wählerschaft zu profilieren. Douglas’ Forderung nach »hundertprozentiger Kontrolle über die Ressourcen« stößt im Nigerdelta auf große Zustimmung über alle sozialen Grenzen hinweg. Sie vereint die schwerreichen politischen Unternehmer und ihre akademischen Stichwortgeber mit der großen Mehrheit der sozial Ausgeschlossenen.

Begründet wird die Forderung nach Ressourcenkontrolle mit der rituell beschworenen Marginalisierung der Ölförderregion im Süden Nigerias. Doch trotz der Umweltschäden und der sozialen Krisen, die mit der Ölförderung ausgelöst wurden, ist es fraglich, ob – und wenn ja, warum – das Nigerdelta tatsächlich die am wenigsten entwickelte Region Nigerias ist.

Allein der Bundesstaat Rivers, einer der drei Hauptförderstaaten, wird nach Schätzungen des dortigen Ministeriums für Wirtschaftliche Planung im laufenden Jahr 44 Milliarden Naira (335 Millionen US-Dollar) aus dem Erdöl-Derivationsfonds erhalten. Dazu kommen voraussichtlich 23 Milliarden Naira aus den normalen Allokationen sowie andere Zahlungen.

Doch vorzuzeigen gibt es für diese Zuteilungen aus der Ölrente wenig. Ein Großteil des Geldes landet in den privaten Taschen der herrschenden politischen Unternehmer und wird nach klientelistischen Modi äußerst ungleich verteilt.

Derartige Aufrechnungen wie auch die Forderungen der Confab-Delegierten aus dem Norden und Westen, die Staaten des Nigerdeltas sollten über die Verwendung der Allokationen Rechenschaft ablegen, sind alles andere als beliebt. Die prominenten Akteure in den Regierungen der Nigerdelta-Staaten schüren und bedienen sich des Ressentiments gegen die Zentralregierung, die von vielen Einwohnern als koloniale Verwaltung empfunden wird. Jede Art von Kritik an ihrem eigenen korrupten Regierungsstil brandmarken die Wortführer als Verrat am »Gospel der Ressourcenkontrolle«, unabhängige soziale Organisationen wurden von den Machthabern erfolgreich kooptiert oder zerstört.

Ethnische und Clanidentitäten sind im Diskurs über die Ressourcenkontrolle allgegenwärtig. In einem Beitrag in einer der zahlreichen Regionalzeitungen wird beispielsweise gefordert, dass das Streben nach totaler Ressourcenkontrolle für die Ijaw, der größten Bevölkerungsgruppe im Delta, von jedem unterstützt werden müsse. »Bestrafung erwartet denjenigen, der die Sache der Ijaw verrät.«

Sechs Jahre nach dem offiziellen Übergang zur Zivilregierung ist das Vertrauen der Einwohner des südlichen Nigerias in die parlamentarische Demokratie auf einem Tiefpunkt angelangt. Einer Meinungsumfrage des wissenschaftlichen Netzwerkes Afrobarometer zufolge erklärten sich lediglich 14 Prozent »relativ zufrieden mit der Demokratie«; drei Jahre zuvor waren es noch 83 Prozent. Parteipolitik wird in Nigeria vor allem für die internationale Diplomatie inszeniert, um der öffentlichen Auseinandersetzung den Anschein von Good Governance zu geben. »Die regierende PDP kann heute jederzeit in zwei oder mehr Fraktionen zerbrechen«, bestätigt ein Abgeordneter eine weit verbreitete Einschätzung.

Im Nigerdelta wie auch anderen Regionen des Landes haben die Machtkämpfe längst den Charakter von Warlord-Politik angenommen. Im Bundesstaat Rivers bewaffnete die regierende PDP vor den Wahlen 2003 nach Informationen lokaler Menschenrechtsaktivisten Jugendmilizen, um ihren Wahlbetrug abzusichern. Dafür wurde den Gangs die Kontrolle über lukrative Ölschmuggel-Routen überlassen – ein Geschäft, das nach Schätzungen einer von Shell berufenen Expertengruppe insgesamt zwischen 1,5 und 4 Milliarden US-Dollar im Jahr einbringen soll. Die abgelegenen, Erdöl fördernden Gebiete stehen unter der Herrschaft von aufstrebenden Kriegsherren, die in Allianz mit verschiedenen Fraktionen auf den zentral- und bundesstaatlichen Ebenen agieren und sich oft mit den Ölgesellschaften arrangieren, die sie für »Wachdienste« bezahlen.

Im Jahre 2004 erreichten die Kämpfe zwischen den Gangs die Stadt Port Harcourt, den Verwaltungssitz von Rivers. Asari Dokubo und seine Niger Delta People Volunteers Force (NDPVF) erklärten ihrem ehemaligen Verbündeten, dem Gouverneur von Rivers und dessen PDP, den Krieg. Dieser wiederum mobilisierte loyale Milizen. Nur eine Einladung ins Präsidialamt und großzügige Zahlungen konnten die Kontrahenten zu einem vorläufigen Waffenstillstand bewegen. Bei seiner Rückkehr vom Gespräch mit Präsident Obasanjo nach Port Harcourt wurde Asari Dokubo von Tausenden als Held gefeiert.

Doch die Bezahlung von Warlords verzögert allenfalls die fortschreitende Fragmentierung des herrschenden oligarchischen Netzwerks. Auch im alten Township Port Harcourts gehören Schießereien und gezielte Morde mittlerweile zum Alltag. Bei einem Überfall auf ein Gefängnis befreite in der vorletzten Woche eine der »Cults« genannten Milizen mehr als 170 inhaftierte Mitglieder. Die Gangs rekrutieren zurzeit verstärkt Söldner für den anstehenden »Befreiungskrieg«. Für viele junge Männer ist dies ein verlockendes Jobangebot, für ihre Anführer ist es ein lohnendes Geschäft.

In den Regierungen der Nigerdelta-Staaten dient die Forderung nach totaler Ressourcenkontrolle vor allem als Instrument, ihre Verhandlungsmacht gegenüber anderen Regionen zu stärken und sich für lukrative Posten in der Zentralregierung zu empfehlen. Die regelmäßig als Argument ins Feld geführte verelendete Bevölkerung ist für diese Oligarchie eine Verhandlungsmasse, aber auch ein Sicherheitsproblem, das sie mit Hilfe der Gangs und Milizen glaubt, managen zu können.

Die Gewalt, die dieses gefährliche Spiel mit sich zu bringen droht, könnte sich auch gegen diese Oligarchie richten. Die Wohlhabendsten werden jedoch das Privileg haben, die brutale Konfrontation zwischen den von ihnen selbst geschaffenen Warlords aus dem sicheren Abuja, aus den USA oder von London aus verfolgen zu können.