Michel and the City

Die Studie »Stadt und Gouvernementalität« fragt danach, wie über die Gemeinschaft regiert wird. von jens kastner

Seit einigen Jahren ist man in der akademischen Diskussion auch im deutschsprachigen Raum ganz fasziniert von dem, was Michel Foucault zwischen seiner Auseinandersetzung mit der Macht und seinen Untersuchungen zum Subjekt gedacht hat. In den späten siebziger Jahren beschäftigte sich der französische Philosoph mit neuen Regierungsformen und schuf damit die Verbindung zwischen beiden Feldern, dem der Macht und dem des Subjekts.

Denn nicht Strategien und Taktiken von Staatsangestellten lagen in seinem Interesse, sondern ganz allgemein Formen der »Führung«. Wie Menschen geführt werden und wie sie sich führen. »Gouvernementalität« wird das deshalb genannt, weil der Begriff aus »regieren« (gouverner) und »Denkweisen« (mentalité) zusammengesetzt ist.

Foucault machte dabei einen Paradigmenwechsel aus. Insbesondere mit dem Aufkommen des Neoliberalismus und mit der im Zuge seiner Durchsetzung betriebenen Ökonomisierung des Sozialen hätten sich auch die vorherrschenden Machttechniken verändert. Hatte Foucault die Genese und den theoretischen Rahmen der von ihm so genannten Biopolitik noch beschrieben, musste dagegen – wegen seines Todes im Jahr 1984 – unausgeführt bleiben, wie und wo genau die neuen Techniken zum Einsatz kommen könnten.

Einen Versuch, diese Art der Zeitdiagnose zu betreiben, legt nach einigen Publikationen aus den Reihen der »gouvernementality studies« nun auch Boris Michel vor. Gegenstand der Studie ist die postmoderne Stadt und die Diskurse, die sich um ihre Gestaltung formieren.

Wie schon die Entwicklung moderner Großstädte wird auch jene der postmodernen Städte von kulturkonservativen Wehklagen über Verfall und Niedergang begleitet. Soziale Spaltungen und räumliche Fragmentierungen sind aber, so Michel, keine zeitgenössischen, sondern universale urbane Phänomene. Aktuell sei vielmehr die Uneindeutigkeit jener, die gegen alle möglichen Zersplitterungen wettern und dagegen vorgehen wollen. Denn hier finden sich keineswegs nur rechte Anhänger von Zero-Tolerance-Konzepten, sondern auch grün-alternative VertreterInnen kommunitaristischer Gemeinschaftskonzepte.

Michel zeichnet mit den Debatten um New Urbanism, Gated Communities und Malls die drei wichtigsten Tendenzen postfordistischer Stadtentwicklung nach. Er charakterisiert die Bewegung aus ArchitektInnen, StadtplanerInnen und TheoretikerInnen, die sich »New Urbanism« nennt, als »neotraditionalistisch«, weil sie dem chaotischen großstädtischen Moloch das wohlgeformte Kleinstadtidyll entgegensetzt, in dem ein – um mit der Hamburger Rockband Die Sterne zu sprechen – »Themenleben« stattfinden soll. Mit den abgeschlossenen Wohnparks der Reichen, »Gated Communities« genannt, haben diese Konzeptionen vor allem die Angebote der Sinn- und Identitätsstiftung gemeinsam. Neben den Anliegen der Sicherheit und des Prestiges ist Wohnen hier als eine Sache des Lifestyle konzipiert. »Gutes Leben«, so Michel, »wird auf den guten Kontakt zu Menschen in ähnlichen Lagen reduziert.« Offensichtlich mangelt es an Ansätzen, die die ökonomischen Ursachen von Marginalisierungen thematisieren und kulturelle Ausschlüsse als strukturelle Phänomene begreifen.

Auch wenn es in den USA wesentlich mehr Gated Communities gibt als in Europa, wehrt sich Michel entschieden gegen den argumentativen Kurzschluss, es handle sich bei allen negativen Stadtentwicklungen um US-amerikanische Phänomene.

Zwar aus verschiedenen politischen Lagern kommend, treffen sich die jeweiligen Ansätze offenbar alle in einem, je unterschiedlich ausformulierten Punkt: Sie alle teilen die Vorstellung, planerisch-architektonisch zur Herstellung identitätsstiftender Gemeinschaften beitragen zu können. Diese sollen dann wahlweise und je nach politischem Hintergrund als Mittel gegen steigende Kriminalitätsraten oder gegen Anonymität und Vereinzelung aufgeboten werden.

Dabei stellt Michel heraus, dass all diese Gegenmodelle als »Tendenzen der Vereinheitlichung, (Neu-)Ordnung und Sicherung« gerade nicht dazu angetan sind, die beklagten Mängel zu beheben. Stattdessen, und das ist die wichtigste und überzeugend herausgearbeitete These des Buches, gehören sie zu den Momenten, die Marginalisierung und neue Armut verschärfen.

Neu an der Armut ist u.a., dass sie städtisch und nicht mehr in erster Linie ländlich ist; schwarz bzw. migrantisch und weiblich ist sie nach wie vor. Wird Ausgrenzung von rechts eher repressiv betrieben, werden von links tendenziell kulturelle Ausschlüsse produziert. Beide Bemühungen aber, Homogenität herzustellen und Spaltungen zu vermeiden, machen den »Kern städtischer Regierungsweisen« aus.

Michel bietet mit seiner Zusammenschau nicht nur einen Überblick über die verschiedenen Ansätze der neueren Stadtforschung. Durch seine Zuspitzung ist es ihm gelungen, die bislang getrennt existierenden Stränge zu einer kritischen Gouvernementalitätsstudie zu verknüpfen. Er folgt hinsichtlich der Gouvernementalität vor allem der Foucault-Interpretation von Nicolas Rose. Wie der Londoner Soziologe hält er die Community für eine der gegenwärtig entscheidenden politischen Regulationsinstanzen. Auch die postfordistische Stadt fokussiert er damit theoretisch wie zeitdiagnostisch auf die Formel »Regieren durch Gemeinschaft«.

Die neuen Gemeinschaften werden dabei dem alten Wohlfahrtsstaat gegenübergestellt. Auch wenn der Sozialstaat ein Auslaufmodell ist, folgt daraus jedoch weder diagnostisch noch normativ notwendigerweise die Abkehr vom Nationalstaat. Sicherheit, von Foucault als die zentrale gouvernementale Machttechnik bestimmt und als Ergänzung von Disziplin und Kontrolle gedacht, ließe sich ohne weiteres auch als Moment erweiterter Staatlichkeit diskutieren.

Denn ob Regierung künftig hauptsächlich über Gemeinschaften ausgeübt wird und nicht vom – sicherlich in die Individuen hinein verlängerten – Staat, muss auch unter neoliberalen Bedingungen bezweifelt werden.

Schwieriger erscheint es allerdings, gegen die nach wie vor staatlich regulierten migrations-, bildungs- oder sicherheitspolitischen Maßnahmen anzugehen. Soziale Bewegungen, derer es dazu bedarf, sind fast immer auf Identitätspolitiken angewiesen. Dass solche Politik in Wir-Form aber symbolische Mauern baut und dass daraus auch schon mal eingezäunte Wohnviertel werden können, zeigt gerade Michels Buch sehr schön.

Boris Michel: Stadt und Gouvernementalität, Münster 2005, Verlag Westfälisches Dampfboot, 156 S., 14,90 Euro