Zu betreut!

I hate Kreuzberg III

Der frühere Kreuzberger Teilbezirk SO 36 im Allgemeinen, der Wrangelkiez und das Kottbusser Tor im Besonderen gelten als Problemzonen in der Problemzone. Deswegen hat hier fast jeder Häuserblock ein eigenes »Quartiersmanagement«, das als ideeller Gesamtsozialarbeiter der wichtigste staatliche Geldgeber für soziale Aktivitäten ist.

Soll ein neuer Mülleimer aufgestellt werden, veranstaltet diese charmantere Variante des Kiezblockwarts drei Anwohnerbefragungen, zwei Architektenwettbewerbe und fünf öffentliche Begehungen und lässt ein Minderheitengutachten einholen. Auf diese Weise werden diverse arbeitslose Akademiker alimentiert. Die Anwohner dürfen zur Farbe des Mülleimers ihr Votum abgeben, erhalten aber keine Garantie für die tatsächliche Verwirklichung ihres Begehrens und erst recht kein Entgelt.

Als gefährlicher Ort gilt SO 36 vor allem, weil die Gegend überwiegend von Migranten und Einzelhändlern bewohnt wird. Was hier staatlich erwünscht und gefördert wird, sind Assimilationsprojekte. So wurde etwa das Ergebnis der Umfrage »Was wünsch’ ich mir für meinen Kiez?« im Kiezblatt veröffentlicht. Abgedruckt waren Fotos von möglichst ausländisch aussehenden Kindern, die man offensichtlich dazu gezwungen hatte, Schilder in der Hand zu halten, auf denen die angeblich häufige Antwort zu lesen war: »Deutsche Freunde«.

Neben den ausgebildeten Pädagogen des professionellen Sozialarbeitermanagements gibt es in jedem Kreuzberger Block aber auch noch jene, die von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II leben und ihre Sozialarbeit nicht »Projekt«, sondern »Aktion« nennen und sie ehrenamtlich betreiben. Diese hohe Sozialarbeiterdichte führt häufig zu Konkurrenzsituationen, da in Kreuzberg kaum noch Anwohner existieren, die einfach nur Anwohner sind und nicht Mitglied in irgendeiner Initiative.

Während die ehrenamtliche Sozialarbeit mit »phantasievollen Aktionen« gegen Autos, Imperialisten, Spekulanten und Supermärkte vorgeht, klärt der finanzierte Profi die migrantischen Bewohner über den Sinn der Mülltrennung auf und berät sie in der Frage der Schaufenstergestaltung. Das letztgenannte Projekt feierte erst kürzlich den größten Erfolg, den Sozialarbeiter erringen können: Es wurde für ein weiteres Jahr verlängert.

doris akrap