Angst vor der Freiheit

Terror und Kontrollgesellschaft von ivo bozic
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Es ist ziemlich genau 20 Jahre her, dass der Bundestag das Vermummungsverbot für Demonstranten beschloss. Gegen die Stimmen von SPD und Grünen! Vor 18 Jahren begehrte die bundesrepublikanische Gesellschaft gegen die Volkszählung auf. Vorneweg: die Grünen. Times they are a-changin’. Heute akzeptieren die Bürgerinnen und Bürger praktisch jeden Zugriff auf ihre Daten, den Fingerabdruck im Pass, Videokameras überall in der Stadt, Lauschangriff und Gentest. Ganz freiwillig lässt man sich mit seinem Handy orten, seine DNA registrieren und surft völlig gläsern durchs Internet. Auch SPD und Grüne haben beim Ausbau der Kontrollgesellschaft ganze Arbeit geleistet.

Aber die Akzeptanz der Bevölkerung für ihre immer weitergehende Durchleuchtung, die Hinnahme des Eingriffs in die Privatsphäre, ist nicht Resultat rot-grüner Regierungspolitik. Es ist die Sehnsucht nach dem Großen Bruder, nach einer starken Schulter zum Anlehnen. Verloren in der weiten globalisierten Welt, sehnt man sich, der Freiheit nicht gewachsen, zurück nach der sozialen Kontrolle und der volksgemeinschaftlichen Wärme und Enge des Dorfes. Dabei ist es gar nicht nur der Staat, der die Kontrollgesellschaft forciert, sondern mehr noch sind es private und wirtschaftliche Interessen und der Wunsch nach Sicherheit in einer sozial wie politisch immer verunsicherteren Zeit – verunsicherter und auch tatsächlich unsicherer.

Der 11. September 2001, die Anschläge gegen die westliche Zivilisation, haben wie kaum ein anderes Ereignis die Welt erschüttert. Sie waren nicht nur ein Vorwand für Antidemokraten, Freiheitsrechte einzuschränken und Maßnahmen zur angeblichen Erhöhung der so genannten Inneren Sicherheit zu ergreifen. Sie haben die Sicherheitslage auf dem Globus tatsächlich verändert. Der Schreck, der durch die westliche Gesellschaft ging, war nicht paranoid. Der antiwestliche Terrorismus ist zu einer realen Gefahr geworden, und nicht mehr nur für einzelne Repräsentanten etwa des Staates oder der Wirtschaft, sondern für jede und jeden. Er kann alle treffen, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

Und welche Konsequenzen zieht man in Deutschland daraus? Während sich islamistische Terroristen in aller Ruhe auf ihre Mordtaten vorbereiten konnten, jagt der Bundesgrenzschutz heute mit Hubschraubern Graffiti-Sprayer. Die Maßnahmen zur angeblichen Verbesserung der Sicherheit seit dem Jahr 2001 sind einerseits eine Show und andererseits Ausdruck einer autoritärer werdenden Gesellschaft, die immer weniger Freizügigkeit und Privatsphäre duldet. Was hat der Hubschraubereinsatz gegen gelangweilte Jugendliche, was haben die Kiezstreifen, die Hundehalter und Zigarettenstummelwegwerfer bedrängen, mit den Gefahren zu tun, die von al-Qaida ausgehen? Der Lauschangriff wird vor allem bei Betäubungsmitteldelikten eingesetzt, und mit DNA-Analysen überführt man »gewöhnliche« Kriminelle, keine terroristischen Täter, was auch daran liegt, dass es in Deutschland praktisch keine terroristischen Taten und somit Tatorte gibt.

Während der 11. September für drastische Verschärfungen der Inneren Sicherheit funktionalisiert wurde und wird, ist von den politischen Initiativen gegen den Islamismus, gegen die Wurzeln des Terrorismus also, kaum etwas zu vernehmen. Anstatt sich mit dem politischen Islam auseinanderzusetzen, schürt man die Angst vor Kleinkriminellen. Deutsche »Sicherheitspolitik« bedeutet, mit iranischen Mullahs zu kuscheln, aber ausländische Handtaschenräuber abzuschieben. Ist das noch Dummheit oder schon Komplizenschaft?