Der V-Mann kauft das Beil

In Hamburg geht der Prozess gegen Thomas Wüppesahl, den ehemaligen Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen, zu Ende. Er soll einen Mord geplant haben. von kai von appen

Der Prozess um einen der dubiosesten Fälle der Justizgeschichte Hamburgs geht aller Voraussicht nach in dieser Woche zuende. Auf der Anklagebank des Hamburger Schwurgerichts sitzt der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen (BAG), Thomas Wüppesahl. Die Anklage fordert fünf Jahre Haft für ihn. Aus der Sicht des Staatsanwalts Peter Stechmann habe Wüppesahl geplant, zusammen mit seinem langjährigen Freund aus der Bundesarbeitsgemeinschaft, Andreas Sch., Ende des Jahres 2004 in Berlin einen Geldtransporter zu überfallen, den Geldboten mit einem Genickschuss zu töten und ihm mit einem Fleischerbeil den Arm abzuhacken, um an den Geldkoffer zu gelangen.

»Verabredung zu einer Straftat und geplanten Mord«, wirft die Anklage Wüppesahl vor. Er habe den Plan wegen seiner Geldnöte ausgeheckt, sagt Stechmann. Wüppesahl habe rund 110 000 Euro Schulden gehabt, Spielcasinos besucht und auf sein Luxusleben nicht verzichten wollen.

Dessen Version der Geschichte lautet jedoch völlig anders und klingt skurril. Er habe als ein von Mobbing betroffener Polizist diesen »unrealistischen, bizarren und irren Plan«, wie er ihn selbst nennt, inszeniert, um Andreas Sch. als einen »auf mich von der Polizei angesetzten V-Mann« auffliegen zu lassen, die »pervertierten Ermittlungsmethoden« der Hamburger Polizei zu entlarven und auf das Thema Mobbing aufmerksam zu machen.

Sch. vertraute sich, nachdem er von Wüppesahl in dessen fingierten oder echten Plan eingeweiht worden war, am 1. Oktober 2004 einem gemeinsamen Freund aus der Bundesarbeitsgemeinschaft an. Dieser informierte prompt das Hamburger Landeskriminalamt (LKA), das daraufhin die Möglichkeit nutzte, dem wegen seiner Tätigkeit in der BAG als »Nestbeschmutzer« verschrieenen Wüppesahl eine Falle zu stellen. Der arbeitslose Sch. wurde zum bezahlten V-Mann aufgebaut. »Es ist sauberes Geld », sagte Sch. über seinen lukrativen Verdienst vor Gericht.

Das am 29. September 2004 in Geesthacht geführte Gespräch zwischen Wüppesahl und Sch., in dem es zum ersten Mal um die angeblich geplante Tat ging, war für die zuständige Staatsanwaltschaft in Lübeck keine Straftat. Und dennoch wurde Sch., versehen mit dem Titel »Operativer Zeuge«, von der Polizei Hamburg systematisch als »Lockspitzel« aufgebaut. Es fanden Treffen und Gespräche sowie ein Coaching-Training mit einer Polizeipsychologin statt. Am 12. Oktober kam es zu einem Treffen von Beamten der Kriminalpolizei Ratzeburg (Schleswig-Holstein), dem Landeskriminalamt Hamburg und Sch. in Geesthacht.

Obwohl auch diese Runde nach Angaben der Staatsanwaltschaft Lübeck zu dem Schluss kam, dass »keine Straftat« vorliege, wurden von der Hamburger Staatsanwaltschaft zwei Maßnahmen ergriffen: Die Abteilung Organisierte Kriminalität (OK) des Landeskriminalamts Hamburg wurde von dem Fall abgezogen. Das dem Innenstaatsrat Stefan Schulz unterstellte Dezernat für Interne Ermittlungen (DIE) übernahm die Führung, unter Leitung Stechmanns.

Noch am selben Abend sollte Sch. »initiativ« tätig werden. Im Beisein von zwei Beamten des Dezernats rief er Wüppesahl an, um ein Treffen mit ihm zu vereinbaren. Sch. erhielt die Vorgabe, dieses Treffen im Hamburger Stadtgebiet zu arrangieren. Wüppesahl ging auf den Vorschlag ein.

Obwohl zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine Straftat vorlag, wurde Sch., mit moderner Abhörelektronik ausgerüstet, nach Hamburg-Bergedorf geschickt. Das Dezernat konnte auf diese Art ein großes Problem lösen: Der Fall lag nun in der Zuständigkeit der Hamburger, obwohl Wüppesahl in Geesthacht wohnt.

Wüppesahl wiederholte bei dem Treffen seinen Plan. Diesmal wurde er dabei von Polizeimikrofonen aufgenommen, nach Auffassung vieler Juristen illegal. In der Folge drängten die Betreuer vom Dezernat darauf, dass Sch. auf einer Besichtigung des vorgesehenen Tatorts bestehen sollte. Diese lehnte Wüppesahl jedoch immer wieder ab. »Weil es keinen Tatort und keinen ernsthaften Plan gegeben hat«, sagt er im Gerichtssaal.

Und noch immer lag keine Straftat vor. Sch. wurde auf Drängen des Dezernats erneut »initiativ« und verlangte das Geld, um die Schusswaffe und das Fleischerbeil besorgen zu können, wozu ihn Wüppesahl im ersten Gespräch aufgefordert hatte. Sie trafen sich erneut am 21. Oktober in Hamburg-Billstedt, und wieder wurde das Gespräch abgehört. Dabei übergab Wüppesahl Sch. tatsächlich 600 Euro für eine Schusswaffe. »Ich habe die Frage der Waffe forciert, weil ich auf der Tagung der BAG am 23. Oktober die Bombe platzen lassen wollte«, erläutert Wüppesahl vor Gericht.

Obwohl auch dieses Gespräch wieder auf rechtlich zweifelhafte Weise abgehört wurde, hatte die Staatsanwaltschaft danach zumindest ein Indiz, dass ein Raubüberfall geplant sein könnte. Die Ermittlungsrichter stimmten daraufhin einem Haftbefehl zu. Das Dezernat besorgte aus der Asservatenkammer eine Waffe, während Sch. zusammen mit einer Beamtin das Beil kaufte. Am Abend des 25. Oktober wurde Wüppesahl während der Waffenübergabe in Sch.s Wohnung verhaftet.

Damit habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gerrechnet, gesteht der zu Selbstüberschätzung neigende, für seine Egozentrik bekannte Wüppesahl vor Gericht ein. Mit den Waffen, auf denen sich Sch.s Fingerabdrücke befanden, wollte er seinen Verdacht, dass Sch. ein V-Mann sei, in der Öffentlichkeit belegen. Er hatte zuvor zwar einen Reporter darüber informiert, dass er eine »heiße Polizeigeschichte« habe und auch den Mobbing-Experten Alfred Fleissner vom Verein »Klima« oberflächlich in die Geschichte eingeweiht. Der Ankläger Stechmann aber wertet diese Aussagen als eine »reine Schutzbehauptung, Unsinn«.

»Es wäre ein Leichtes gewesen, den Regieplan bei einen Notar zu hinterlegen«, sagt Stechmann. Weder der Reporter noch Fleissner mussten vor Gericht aussagen, weil die Justiz Wüppesahl durchaus abnahm, den beiden von der »heißen Polizeigeschichte« erzählt zu haben. Nur über Details der Geschichte informierte er sie eben nicht. »Warum haben Sie die Vertrauten nicht detailliert eingeweiht?« fragte Stechmann Wüppesahl in seinem Plädoyer.

Dies muss die Verteidigung am Donnerstag im Gericht beantworten. Wüppesahl spricht von einem »Gaga-Prozess« und einer »zirkusreifen Veranstaltung«. Seine tatsächlichen Beweggründe sind schwer zu erkunden. Was in dem Fall aber offenbar wurde, ist die dubiose Art und Weise, wie die Ermittlungsbehörden vorgingen, wie sie den Ort der Ermittlungen nach ihren Wünschen veränderten und in einem Fall, in dem eigentlich noch keine Straftat vorlag, mit aller Kraft darauf hinarbeiteten, dass es zu einer Straftat komme.