Die Welt ist ein übler Ort

Zweiter Teil eines Gesprächs mit dem Regisseur amos kollek und seiner Lieblingsdarstellerin anna thomson über einsame Frauen in eleganter Kleidung und das Komische, das Hoffnung macht

Könnte man sagen, dass es sich bei Ihren Filmen um Anti-Hollywood-Filme handelt?

Amos Kollek: Es war nicht beabsichtigt, dass es Anti-Hollywood-Filme oder dergleichen werden. Es war beabsichtigt, Filme über etwas zu machen, das wahr ist. Der ganze Film, »Sue«, basierte stark auf etwas, wovon zumindest Anna und ich der Meinung waren, es sei eine sehr reale Sache. Insbesondere was diesen einen Film angeht, hatte ich die starke Überzeugung, dass wir uns an der gesellschaftlichen Wirklichkeit orientieren müssen.

Manchmal hat man natürlich auch das Gefühl, dass sich eine Sache nach etwas Richtigem anhört, aber dann verkauft man den Film dennoch nicht.

Aber mit »Sue« hatten wir viel Glück, da ist uns alles gelungen. Die Reaktionen darauf übertrafen alle meine Erwartungen, das heißt, der Film wurde mit sehr viel Anerkennung aufgenommen, sowohl hier in Deutschland als auch in anderen Ländern. Es war wirklich ein Film, der versuchte, sehr realistisch zu sein. Und er basierte auf drei verschiedenen, sehr realen Sachen: auf der Geschichte einiger Frauen, die ich traf, bevor ich Anna kennen lernte, die eine sehr ähnliche Persönlichkeit hatten; und auf vielen meiner eigenen Gefühle über Einsamkeit. Und nachdem ich Anna getroffen hatte, die sich bei mir für ein ganz anderes Filmprojekt vorgestellt hatte, gab es auch an ihr, an ihrer Person etwas Besonderes. Ich kannte jedoch zu jener Zeit ihre Lebensgeschichte nicht. Sie war dann auch die Schauspielerin, die die Rolle spielte, und sie brachte viel ihrer eigenen Wirklichkeit mit in die Rolle.

Der Film ist eine Fiktion, aber wir haben versucht, eine Realität zu erschaffen, weder gegen noch für Hollywood.

Der Film würde mit einem Happy End nicht funktionieren.

Kollek: Richtig. Als wir den Film damals gemacht haben …

Thomson: … dachten die Leute, wir seien verrückt.

Kollek: Ja. Die Erinnerung spielt einem Streiche. Denn ich erinnere mich an »Sue« als eine sehr glückliche Erfahrung, was der Film auf eine bestimmte Art ja nicht war. Der Film war fertig, wenn er auch mit geringen Mitteln gedreht wurde. Aber alle waren sehr engagiert dabei, und es funktionierte. Die Leute nahmen den Film sehr gut auf, und sie verstanden, was wir zu erzählen versuchten.

Und sie schätzten den Film weit mehr, als wir erwartet hatten. Auf eine bestimmte Art, wenn ich nun zurückblicke, erinnere ich mich nicht mal an die Schwierigkeiten. Natürlich gab es die, aber in meiner Erinnerung ist es so: Ich traf Anna, ich zeigte ihr die ungefähr 45 Seiten. Sie sagte: »Let’s do it.« Ich erinnere mich an diese drei Worte. Ich trieb etwas Geld auf, sie trieb etwas Geld auf. Schließlich hatten wir dann irgendwann ein bisschen mehr Geld zusammen. Und dann drehten wir. Es war natürlich nicht genau so, aber es war irgendwie so.

Wie kommt es zu dieser sehr eigenen Handschrift, die Ihre Filme tragen?

Thomson: Wir waren sehr überzeugt von dem, was wir machen wollten. Und wir stimmten in sehr vielem überein, obwohl wir beide einander gar nicht so gut kannten.

Amos war sehr sicher, als er Regie führte. Das ist schwer zu machen. Es hätte ja auch zu sentimental werden können, und wenn eine Szene auch nur ein wenig zu sehr in diese Richtung ging, wusste er immer genau, wie er sie zu arrangieren hatte. Obwohl es auch Probleme bei der Arbeit gab, war er sich ganz und gar sicher, wie es im einzelnen zu sein hatte. Zieht man in Betracht, dass wir uns kaum kannten, war es dann ziemlich erstaunlich, dass er dem Film genau die richtige Stimmung gab.

Herr Kollek, halten Sie sich für einen politischen Künstler?

Kollek: Nein. Zwar habe ich einmal einen Film gemacht, der mit den politischen Konflikten in Israel zu tun hatte. Und ich bin sehr an Politik interessiert, aber was mich als Künstler interessiert, sind Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Es gibt nicht so etwas wie eine politische Botschaft. Die Filme haben immer mit Gefühlen zu tun.

Ich finde es vergleichsweise schwer, etwas über Politik zu sagen.

Ich finde es sehr leicht, etwas zu kritisieren, wie es andere Leute tun. Es ist sehr schwer in Israel, Frieden in der Region herzustellen, es ist sehr schwer, einen Umgang zu finden mit den religiösen Problemen. Ich tue das nicht gerne, die Dinge nur zu kritisieren.

Ich glaube, am meisten interessiert es mich, wie ein Mensch sich in dieser Welt fühlt, verschiedene Menschen, ihre Ängste, ihre Liebesbeziehungen, wie die Menschen sich entwickeln, wie sie sich in ihrem Leben gegenüber anderen Menschen verhalten oder auch nicht verhalten.

Sind Sie von bestimmten Filmemachern beeinflusst worden?

Kollek: Man nimmt immer viele Einflüsse auf im Leben. Es ist schwer zu sagen.

Ich habe im Grunde keine speziellen Empfindungen, was Rainer Werner Fassbinder angeht. Es gibt jedoch eine Sache, die in den Siebziger Jahren passiert ist, als ich in New York war, in einem Kino bei mir in der Nähe, das ein paar Wochen lang ausschließlich Fassbinders Filme zeigte, zwei Filme am Tag.

Ich wusste damals nichts über Fassbinder. Aber es gibt eine Sache, von der ich meine, dass sie mich in der Tat beeinflusste. Er machte so viele Filme, und er machte sie offensichtlich so ökonomisch, mit so bescheidenen Mitteln. Ich nahm das zumindest an. Ich habe nicht viel über ihn gelesen, aber man sah es den Filmen ja an. Er arbeitete offenbar mit wenig Geld und Zeit. Es entstanden drei Filme im Jahr, gedreht in nur zwei Räumen, in dieser oder in jener Straße. So betrachtet, denke ich, wurde ein Film wie »Sue« davon beeinflusst.

Als ich einmal mit Hanna Schygulla an einem Film arbeitete, machte ich etwa sieben Takes bei einer Szene, und sie sagte zu mir: »Ich arbeitete mit Fassbinder, und wenn er die Szene nach dem ersten Take hatte, machte er einfach weiter.« Sie sagte das freundlich, und nicht, um mich zu kritisieren. Ihre Bemerkung bewirkte etwas bei mir, denn ich dachte, sie hat Recht.

Sie sagte zu mir: »Du solltest mehr Vertrauen in dich selbst haben.« Und ich merkte, dass ich das nicht habe. Und ich und Anna, wir probten auch beide nicht gerne.

Ich habe in »Sue« mein eigenes Geld hineingesteckt, was nicht viel war. Und ich sagte dann: »Okay, wenn wir die Szene nach dem ersten Take haben, dann machen wir nicht noch einen Versuch und noch einen, nur um auf Nummer Sicher zu gehen.«

So betrachtet, wurde ich von Hanna Schygulla und ihrer Fassbinder-Geschichte beeinflusst. Auf eine sonderbare Weise bin ich wohl auch, was den Humor betrifft, von Woody Allen beeinflusst worden. Ich weiß nicht wie, aber es gab eine Zeit, in der ich mir viele Filme von ihm ansah.

Auch in Ihrem Film »Bridget« gibt es diesen an Woody Allen erinnernden Humor. Anna Thomson spielt darin eine Kassiererin in einem Supermarkt, und in einer Szene will sie eine ältere Kundin fragen, ob diese noch eine Tüte benötigt. Und sie verspricht sich und fragt: »Do you want another fuck?« anstatt »Do you want another bag?«

Kollek: »Bridget« war ein Film, in dem es sowohl viel Dunkelheit gab als auch eine Art von verrücktem Humor. Wissen Sie, was Dead Pan bedeutet?

Dead Pan, das bedeutet, dass man seinen komischen Text mit einem völlig unbewegten Gesichtsausdruck spricht. Dergleichen gibt es viel in »Bridget«. Ich weiß nicht, ob das immer funktioniert, aber es gab darin vielerlei, von dem ich wollte, dass es gewissermaßen als Treffer von unten oder von der Seite kommt.

Es scheint eine Entwicklung in Ihren Filmen zu geben, die von traurigen, deprimierenden, »realistischen«, halbdokumentarischen Filmen wie »Sue« oder »Fiona« hinführt zu verrückten, verstörenden Mischformen aus Kriminalfilm und Komödie wie »Bridget« und sogar einer leichten Komödie wie »Fast Food, Fast Women«.

Kollek: »Bridget« ist gleichermaßen dunkel wie verrückt. »Fast Food, Fast Women« zeigt eher die sonnige Seite des Lebens, ist eher romantisch. Beide Filme haben etwas von einem Märchen an sich.

Anna und ich sind wie ein Team, wir wollten uns nicht wiederholen. Wir mochten beide »Sue«, aber man kann nicht drei oder vier verschiedene Filme machen, die so sind wie »Sue« und in denen es immer um sehr einsame Frauen geht.

Wir versuchten, uns anderen Themen zuzuwenden, von denen wir annahmen, dass sie zu unserem Talent und unseren Empfindungen passten. Und wir wollten andere Seiten des Lebens erkunden, weg von der dunklen Seite zum Komischen hin.

Außerdem kam nach »Sue« und »Fiona« eine bessere Zeit in meinem Leben: Die Filme waren erfolgreich, ich führte ein harmonisches Familienleben. Daher hat »Fast Food, Fast Women« eine hoffnungsvollere Stimmung, etwa im Sinne von: »Alles wird gut.«

Frau Thomson, Sie spielen meist eine Frau, die auf eine gewisse Art sehr stark ist, aber auch sehr unsicher, die sowohl ökonomisch in unsicheren Verhältnissen lebt, aber auch unsicher in ihren Gefühlen ist. In »Sue« ist Ihre Kleidung, Ihr Stil sehr elegant. Sie wirken in dem Film wie das traurige Gegenstück zu Holly Golightly, Audrey Hepburns Charakter in »Frühstück bei Tiffany«.

Thomson: Ich habe »Frühstück bei Tiffany« nie gesehen. Ich habe das Buch gelesen. Ich mag schöne Kleidung, ich versuche, hübsch auszusehen, vielleicht, weil das meine Stimmung aufhellt. Aber natürlich ist die Welt ein übler Ort … für alle.

Die Figuren, die Amos in seinen Drehbüchern erfindet, finde ich überzeugend. Sie sind nicht eindimensional, es sind keine platten Stereotype. Am Anfang unserer Zusammenarbeit aber war Amos nicht zufrieden mit meinem Kleidungsstil, aus welchem Grund auch immer.

Kollek: Anna suchte ihre Kleidung für fast alle Filme selbst aus. Von Anfang an hatte sie klare Vorstellungen davon, welche Kleidungsstücke sie nicht tragen wollte. Sie stellte ihre eigene Garderobe zusammen, und das klappte ja auch sehr gut. Am Anfang dachte ich, einige Dinge müssten anders sein, was ihre Garderobe angeht.

Thomson: Wir kannten uns nicht, und in den meisten Punkten waren wir sofort einer Meinung, aber einer der wenigen Punkte, vielleicht sogar der einzige, in dem wir nicht sofort der gleichen Meinung waren, war meine Kleidung.

Er sah mich an und sagte: »Was soll das? Warum trägst du keine normale Kleidung?« Und ich antwortete ihm: »Das ist normale Kleidung.«

Als wir dann länger zusammenarbeiteten, fand er heraus, dass Menschen widersprüchliche Facetten an sich haben. Ich verstecke meine Unsicherheit unter schönen Kleidern, warum auch immer. Schließlich hat mir Amos am Ende die elegante Kleidung in dem Film »Sue« erlaubt.

Das macht den Film noch trauriger, dass Sue in dem Film so elegant gekleidet ist.

Thomson: Das ist es, wovon ich ihn zu überzeugen suchte. Ich sagte: Was macht die Tragödie einer schrecklich aussehenden Frau aus, die mehr und mehr sozial absteigt, sie befindet sich ja bereits ganz unten in der Gesellschaft.

Kollek: Ich sagte nicht, dass deine Kleidung schrecklich aussieht, das ist nicht genau…

Thomson: »Schrecklich gekleidet«, sagtest du (lacht). Ich werde dir nicht sagen, was du genau zu mir sagtest (lacht). Deine genauen Worte lauteten: »Warum kannst du dich nicht anziehen wie ich?«

Wie kommt es dazu, Herr Kollek, dass Sie diesen zentralen Teil Ihrer filmischen Arbeit, die Trilogie der Frauenporträts, bei einer Berliner Firma veröffentlichen?

Kollek: Der Kontakt kam zustande über eine Bekannte, die hier in Berlin lebte und die für die Filmproduzentin Regina Ziegler gearbeitet hat.

Und was Berlin angeht: Wir sind mit meinen Filmen zum Filmfestival in Toronto eingeladen worden, wir sind zur Berlinale nach Berlin eingeladen worden. Das waren die beiden Festivals. Wir waren hier im Wettbewerb 2002 mit »Bridget«. »Sue« und »Fiona« wurden auch hier in Berlin gezeigt. Berlin war eines der Hauptzentren, von denen wir das Gefühl hatten, dass unsere Arbeiten hier geschätzt werden und entdeckt werden. Sonst war das noch in Frankreich und auf dem Filmfestival in Toronto der Fall.

interview: thomas blum