Einfach zu emsig

Der ehemalige Sportchef des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, steht unter dem Verdacht, uninteressante Sportereignisse gegen kleine finanzielle Zuwendungen ins Fernsehen gebracht zu haben. von martin schwarz

Vielleicht war Jan Ullrich, der verbale Tränensack der Tour de France, die er Jahr für Jahr gegen Lance Armstrong zu verlieren plant, in Gedanken an das Schicksal seines langjährigen journalistischen Begleiters, Jürgen Emig, versunken, als er einen Tag vor Beginn des Radrennens beim Training gegen einen vorausfahrenden Teamwagen prallte. Denn während Ullrich in den kommenden drei Wochen durch Frankreich radeln und jeden Tag vor den Fernsehkameras erläutern wird, dass leider wieder einmal der Magen nicht mitgespielt oder der Schnupfen von vor drei Jahren weiche Knie verursacht habe, kurzum seinem fragilen Gesundheitszustand die Verantwortung für die abermalige Tour-Pleite zuschieben wird, muss der Sportreporter Jürgen Emig in der Justizvollzugsanstalt Darmstadt jahrelangem Bewegungsmangel entgegendarben.

Emig, der die Tour für die ARD seit Jahren moderiert hat, sitzt in einer zwölf Quadratmeter großen Gefängniszelle und muss, wie die Bild-Zeitung in einem Anfall von Recherchefieber herausfand, offensichtlich täglich um 11.30 Uhr »Cevapcici mit Bratkartoffeln und Tsatsiki« essen, dazu soll es »kalten Tee im Becher« geben. Ein Menü also, wie es jeder Reisende der Deutschen Bahn auch sehr gut kennt. Der soziale Abstieg des Starreporters begann, als er die Entdeckung machte, dass auch Sportorganisatoren gerne 15 Minuten Berühmtheit für sich reklamieren und dafür auch bezahlen würden. Jahrelang soll er gegen gewisse finanzielle Zuwendungen Sportereignisse in das Programmschema des Hessischen Rundfunks gepresst haben, die für die Zuseher so interessant nicht gewesen sein sollen.

So soll er beispielsweise vor Jahren das Pokal-Handballspiel Melsungen gegen Lemgo ins Programm des Hessischen Rundfunks gestemmt haben, obwohl ihm klar gewesen sein muss, dass solche Turniere einen sicheren Quotenflop bedeuten. Für 20 000 Mark sei das langweilige Spiel über die Bildschirme geflimmert, lautet der Vorwurf. In der Welt erinnert sich ein Melsungener Funktionär an die merkwürdigen Spielvorbereitungen: »Wir mussten extra im Verein sammeln.« Darüber sollte sich der Funktionär aber eigentlich nicht beklagen, denn das ist nun einmal der Preis dafür, zumindest für ein paar Sekunden die Aufmerksamkeit des Fernsehzuschauers auf sich zu ziehen. Dass ein drittes Programm gegen Bezahlung Ereignisse überträgt, die niemanden interessieren, kann also der Skandal nicht sein. Höchstens, dass Emig so vermessen war, das Geld nicht mit seinem Arbeitgeber zu teilen.

Journalismus funktioniert kaum noch über den Ereigniswert, sondern über Sympathiewerte, die durch materielle Zuwendungen unterstrichen werden. Autojournalisten wissen seit Jahren, dass ein neuer Kleinwagen, der um den Baum gewickelt wahrscheinlich auch nicht von seinem Vorgängermodell unterscheidbar ist, an medialer Relevanz gewinnt, wenn er in der Wüste von Nevada in unmittelbarer Nähe zu einem Luxusressort vorgestellt wird.

Vorgeworfen wird Emig auch, dass er von den Sponsoren der Sportveranstaltungen, die er ins Fernsehen brachte, auch für die Moderation von Pressekonferenzen bezahlt wurde – etwa beim Radrennen um den Henninger Turm, das im Hessischen Rundfunk ein ähnlich wichtiges Ereignis wurde wie der Irak-Krieg für CNN oder die Hochzeitsvorbereitungen der Popsängerin Sarah Connor für Pro Sieben. Noch dazu durfte die Werbeagentur von Emigs Ehefrau Atlanta Killinger lukrative Sponsorenverträge vermitteln. Nun sind aber derartige Konstellationen auch nichts Besonderes, denn das Schöne an Journalismus ist eben die Möglichkeit, durch Moderationen mal ein paar Euro extra zu verdienen.

Atlanta Killinger, die im Gegensatz zu ihrem Mann weiterhin auf freiem Fuß ist, durfte etwa anlässlich der Tour de France im Auftrag der Telekom einen Trailer produzieren. Schließlich unterstützte die ARD auch das Team Telekom bei der Trikotwerbung. Die lustigste aller Kooperationen zwischen den Eheleuten Emig und Killinger aber entwickelte sich am Rande des Hessischen Eishockey-Derbys zwischen den Kassel Huskies und den Frankfurt Lions. In der Pause lief während des Lucky-Shots, bei dem die Zuschauer auf das Tor schossen, Werbung für Hessen-Lotto. Die Vermarktung dieses Lucky-Shots hatte Atlanta Killinger übernommen – und tat dies Dank enger Beziehungen zum HR-Sportchef Jürgen Emig ziemlich professionell. In der anschließenden Berichterstattung des Hessischen Rundfunks nahm der Lucky-Shot immerhin ein Zehntel der Sendezeit ein.

Medienvisionär Emig hatte also seine ganz eigene Methode, den Wert einer Nachricht zu beurteilen. Insofern wäre er der richtige Mann gewesen, die deutsche Sportberichterstattung von der ihr eigenen patriotischen Ernsthaftigkeit zu säubern und auf diese Weise ganz neue Sendeformate zu entwerfen. Schade, dass man ihn nicht gelassen hat.