Linke Spurenelemente

Im sozialen Bereich wird gekürzt, für die Berliner Bankgesellschaft wird gebürgt. Wie links regiert die PDS? Teil II: Berlin. von martin kröger

Vollmundig nahm sich das Programm aus, mit dem die PDS in den Wahlkampf in Berlin vor vier Jahren zog. »Soziale Stadt Berlin für alle« wurde da gefordert oder »Tarife senken« im Nahverkehr, eine »Stadt der Frauen« sollte Berlin werden, eine »Wende in der Flüchtlingspolitik« wurde in Aussicht gestellt, und den »Menschen mit Behinderung« sollte »echte Gleichberechtigung« zuteil werden. Als die Autoren das politische Manifest verfassten, glaubte wahrscheinlich keiner von ihnen, dass er sich Wochen später gemeinsam mit den Sozialdemokraten auf der Regierungsbank wiederfinden würde. Denn das Traumergebnis von 22,6 Prozent der abgegebenen Stimmen für die PDS hatte damals eigentlich niemand erwartet.

Um so härter kam es für alle diejenigen, die den Slogans Glauben geschenkt haben. Frauenhäuser, Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten und Krankenhäuser bekamen oft schon kurz nach der Wahl die Sparbeschlüsse serviert. »Im Juni 2003 hörten wir zum ersten Mal, dass das Pflegegeld für hochgradig Sehbehinderte um 20 bis 50 Prozent gekürzt werden soll«, erzählt Volker Lenk, der für den Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin (ABSV) die Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Trotz Protesten und Unterschriftensammlungen wurde das Vorhaben ein halbes Jahr später verwirklicht. Seitdem gehören Zuschüsse zu teuren Hörbüchern und Büchern in Blindenschrift der Vergangenheit an.

Dennoch ist der Verein mit Kritik an der Politik des rot-roten Senats zurückhaltend: »Zwar wurde uns nicht wirklich zugehört, aber immerhin wurden wir angehört«, sagt Lenk. »In Niedersachsen wurden die Zuschüsse vollständig gekürzt, da sind wir froh, dass sich die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner von der PDS Ende letzten Jahres für den Erhalt der Restförderung ausgesprochen hat.«

Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie die Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin funktioniert: Soziale Kürzungen werden rigide durchgesetzt, anschließend wird behauptet, man habe immerhin dafür gesorgt, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Je mehr Protest die Betroffenen auf die Beine gestellt haben, desto mehr Verständnis heuchelt die PDS für sie.

»Wir haben keine Wahl«, sagt Axel Hildebrand, der Pressesprecher der PDS in Berlin. »Wir sind einfach verpflichtet, Bundesgesetze wie Hartz IV umzusetzen.« Dazu kommt, dass der Berliner Senat vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf die Anerkennung des Haushaltsnotstands geklagt hat, um Bundeszuschüsse für die leeren Kassen der Stadt zu erzwingen. »Um in Karlsruhe glaubwürdig zu erscheinen, mussten wir überall kürzen«, verteidigt Hildebrand die Streichungen in der »sozialen Stadt für alle«.

Und schließlich gebe es sie doch, die eigene, genuin linke Politik. So sei gerade der Bestand der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für 20 Jahre gesichert worden, die Kinderbetreuung in Kindertagesstätten sei trotz Gebührenerhöhungen erhalten worden und Berlin sei die einzige Stadt in ganz Deutschland, in der Empfänger von Arbeitslosengeld II mit einer zu großen Wohnung und niedriger Miete nicht umziehen müssten.

»Außerdem ist von Kultursenator Thomas Flierl ein Sozialticket für Opern- und Theaterbesuche für drei Euro eingeführt worden«, sagt Hildebrand. Stellt sich nur die Frage, wie sich Erwerbslose aus der Peripherie der Stadt die Reise ins Zentrum leisten sollen, wenn Hin- und Rückfahrt teurer sind als der Opernbesuch selbst. Und ob ein Opernbesuch die Aufhebung der Lernmittelfreiheit und das teurere Sozialticket der BVG ausgleichen kann?

Bei genauer Betrachtung lassen sich dennoch weitere Spurenelemente linker Politik entdecken. Wer mit 15 Gramm Marihuana in der Tasche erwischt wird, muss nicht länger fürchten, verurteilt zu werden. Die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner schaffte für einen Großteil der Berliner Flüchtlinge die Infracard ab und erneuerte die von Chipkarten unabhängige Barauszahlung der Sozialbezüge.

Auch im Abschiebegefängnis in Grünau nahm der Senat vor zwei Jahren nach Hungerstreiks und mehreren Selbsttötungsversuchen einiger Insassen minimale Verbesserungen vor. Seitdem wird allerdings mit aller Härte gegen neue Proteste vorgegangen. Frauen aus Afrika, die gegen die Bedingungen im Abschiebegefängnis protestierten, wurden im vergangenen Jahr nachts von einer Polizeieinheit überfallen, einige der Frauen sollen später auf der Wache verprügelt worden sein (Jungle World, 48/04).

Dabei wurde ein weiteres Manko deutlich, das nach den Koalitionsvereinbarungen zwischen der SPD und der PDS eigentlich beseitigt werden sollte: Die Kennzeichnungspflicht für Polizeieinheiten ist immer noch keine Realität.

Nicht nur darin offenbart sich der Widerspruch, dass die Sozialisten als kleinerer Teil der rot-roten Landesregierung nicht in der Lage sind, Transparenz und Offenheit durchzusetzen, obwohl im Wahlprogramm von »direkter Demokratie« und der Förderung »bürgerlichen Engagements« geschwärmt wurde. »Unser Bemühen, den Bankenskandal mit einem Volksbegehren aufzuklären, wurde von diesem Senat und der PDS gestoppt«, erzählt Benedict Ugarte-Chacon. Er ist Mitglied der Initiative Berliner Bankenskandal, die auf die Wiederzulassung des Begehrens durch das Berliner Verfassungsgericht im September hofft. »Anstatt endlich Zahlen vorzulegen und die Schuldigen für die Pleite der Berliner Bankgesellschaft zu benennen, hat die PDS die Risikoabschirmung von 21 Milliarden Euro mitbeschlossen«, echauffiert er sich.

Welche Risiken dies für die Bürger der Stadt birgt, könne niemand wirklich sagen. Im Zweifelsfall bedeute es wahrscheinlich, dass die Berliner für die 21 Milliarden aufzukommen haben, fürchtet die Initiative Berliner Bankenskandal. Manche gehen davon aus, dass der nächste Bankencrash bereits vorprogrammiert ist, falls der lukrative Privatkundenbereich der Berliner Sparkasse in den nächsten Jahren an einen privaten Investor verkauft werden sollte.

Dass die PDS nicht in der Lage ist, die Sachverhalte um die Milliardenverluste der Bank vollständig aufzudecken, stört selbst Anhänger der Partei. »Letztlich machen wir zur Zeit eine Politik, mit der Sozialisten die kapitalistischen Fondseigner der Bankgesellschaft mit der milliardenschweren Risikoabschirmung schützen«, klagt ein junges Parteimitglied, das seinen Namen nicht in einer Zeitung veröffentlicht sehen möchte.