Nie mehr bescheiden sein!

Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss gegen die herrschende Lohnfixierung erkämpft werden. von katrin mohr und robert ulmer

Nicht nur im politischen Mainstream, auch im linken Spektrum stößt die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens oder Existenzgeldes auf erhebliche Skepsis. So etwa bei Felix Baum, der die Forderung in der Jungle World (17/05) als illusorisch und ihre Befürworter als weltfremde Schwärmer kritisierte. Unter den gegebenen Verhältnissen sei das Arbeitslosengeld II das einzige denkbare Existenzgeld. Eine Antwort auf die Frage, warum der Staat den Zwang zur Lohnarbeit durch ein bedingungslos gewährtes Grundeinkommen aufheben sollte, blieben die Verfechter schuldig. Die pure Verzweiflung versammle eine »eigenartige Runde aus Sozialwissenschaftlern, Katholiken und Erwerbslosenaktivisten« um ein Projekt, das »noch nie irgendwelche Betroffenen hinter dem Ofen hervorgelockt, geschweige denn eine Bewegung ausgelöst hätte«.

Wie Baum richtig feststellt, spricht die Idee eines Grundeinkommens nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem linken Spektrum an, sondern findet Anhänger in wissenschaftlichen, kirchlichen und sogar in liberalen Kreisen. So engagieren sich im Netzwerk Grundeinkommen Vertreterinnen und Vertreter von Erwerbsloseninitiativen ebenso wie von katholischen Verbänden, Mitglieder von Attac wie liberale Verfechter dieser Idee, Gewerkschafter wie Politiker aus den etablierten Parteien. Diese Pluralität ist nicht immer einfach auszuhalten und provoziert an vielen Stellen Diskussionen, denn es bestehen in der Tat beachtliche Unterschiede in den Auffassungen.

Wo die einen im Grundeinkommen die Chance für ein Leben jenseits des Verwertungszwanges und den Hebel zur Einschränkung des Lohnprinzips als Modus der Vergesellschaftung sehen, erhoffen sich die anderen die Entlastung der Unternehmen von Arbeitskosten und eine humane Grundlage für deregulierte Arbeitsmärkte. Wieder andere betrachten das Grundeinkommen als pauschale Bezahlung für gesellschaftliche Arbeit, etwa als Lohn für Reproduktionsarbeit oder für bürgerschaftliches Engagement, und damit als Basis für eine Gesellschaft, die Arbeit auch jenseits der Erwerbsarbeit anerkennt und honoriert.

Heben die einen seine Funktion für die Entbürokratisierung und Vereinfachung des Sozialstaates hervor, geht es den anderen vor allem darum, höhere Sozialleistungen für einkommensschwache Gruppen zu erreichen und Armut zu bekämpfen. Jenseits dieser unterschiedlichen Begründungen besteht jedoch Einigkeit in der konkreten Forderung: Ein existenzsicherndes Grundeinkommen soll für alle Mitglieder der Gesellschaft zum individuellen Rechtsanspruch werden und ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit gezahlt werden, also an die einzelnen Personen und nicht an Familien oder »Bedarfsgemeinschaften«.

Ein solches Grundeinkommen würde eine soziale Absicherung unabhängig von Arbeitsmarkt- und Familienstatus gewährleisten. Es würde eine Lösung für soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut und gesellschaftliche Polarisierung darstellen, die der Kapitalismus allgemein und der Neoliberalismus verstärkt hervorbringen. Jenseits der Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe für Arme und Erwerbslose eröffnet es aber auch größeren Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Tätigkeiten (wie Erwerbsarbeit, Familienarbeit, gemeinnütziger Arbeit, Ausbildungs- und Mußezeiten) zu wählen bzw. zu wechseln, ohne dass sie um ihre Existenz fürchten müssten. Es setzt Kreativität und Risikobereitschaft frei und ermöglicht Flexibilität. Arme und Arbeitslose, Frauen und Männer, die Familie und Arbeit miteinander vereinbaren wollen, Teilzeitarbeitende, Selbständige und prekär Beschäftigte, aber auch die angestellten Mittelschichten – sie alle wären potenzielle Nutznießer eines solchen Projekts und bilden somit das große Spektrum, das es zu seiner politischen Durchsetzung zu gewinnen gilt.

Mit realexistierenden Grundsicherungen wie dem neuen Arbeitslosengeld II, das Baum, wohl ironisch, »als Existenzgeld treffend beschrieben« sieht, hat ein Grundeinkommen, wie es etwa vom Netzwerk Grundeinkommen gefordert wird, so gut wie nichts gemein. Das Arbeitslosengeld II ist nicht existenzsichernd, es wird nicht individuell, sondern an »Bedarfsgemeinschaften« gezahlt und verstärkt familiäre Abhängigkeiten. Die Bedürftigkeitsprüfung fällt bei der Anrechnung von Einkommen, Partnereinkommen und Vermögen noch restriktiver aus als bei der alten Arbeitslosenhilfe. Auch ist das Arbeitslosengeld II noch in weitaus höherem Maße an Arbeitspflichten gekoppelt als dies schon bisher bei Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe der Fall war.

Dagegen würde ein existenzsicherndes, bedingungslos gezahltes Grundeinkommen die Abhängigkeit vom Lohn verringern und den Zwang zur Unterwerfung unter staatlich verordnete Ersatzmaßnahmen außer Kraft setzen. Es würde mit dem strukturellen Erwerbszwang brechen und insofern dem Kapitalismus ein anderes Gesicht geben. Entgegen dem herrschenden Reformtrend würde die Reservearmee eben nicht in eine immer härtere Konkurrenz um immer unattraktivere Jobs getrieben. Stattdessen würden alle das Grundeinkommen beziehen und hätten deshalb die Möglichkeit, Arbeit auch abzulehnen. Sie könnten stattdessen kreative und gemeinnützige Tätigkeiten ausüben, müssten dies aber nicht. Für Arbeit, die keiner machen will, müssten dann höhere Löhne ausgehandelt werden. Auf diese Weise würde das Grundeinkommen als ökonomischer Anreiz zur Abschaffung unattraktiver Arbeit wirken.

Nun fragt Baum zu Recht, »warum der Staat den Zwang zur Lohnarbeit abschaffen und dergestalt mit der Mehrwertproduktion seine eigene Grundlage aufheben sollte«. Hierauf zwei Antworten, die eine realpolitisch, die andere ideologiekritisch. »Der Staat« ist kein Klassenstaat, sondern ein Kampffeld gesellschaftlicher Kräfte und Interessen und ist somit veränderbar. Das hat die Geschichte der Arbeiterbewegung und anderer sozialer Bewegungen immer wieder gezeigt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss erkämpft werden, wir werden es nicht geschenkt bekommen. Daher gilt es, neue Koalitionen zu schmieden und Bündnispartner auch außerhalb der eigenen Milieus zu finden, um, dem herrschenden Trend entgegengerichtet, Verbesserungen des Sozialstaates zu Gunsten der ökonomisch Schwächeren durchzusetzen.

Mit politischem Druck muss die Tendenz zur Verstärkung des Arbeitszwanges in eine Entlastung von Arbeit umgekehrt werden. Die materiellen Voraussetzungen dazu sind längst gegeben: Arbeit wird immer produktiver, in diesem Sinne immer überflüssiger. Nie da gewesener Reichtum könnte allen zur Verfügung stehen, je mehr die starre Kopplung des Einkommens an die Erwerbsarbeit durch ein Grundeinkommen aufgehoben wird. Wäre es also tatsächlich das »Schlaraffenland auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise«, wie Baum meint? Einerseits ja, denn es geht um die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum, und das in einer Markt- und Geldwirtschaft. Andererseits nein, denn eine Haupteigenschaft des Kapitalismus – der Lohnzwang – wäre in der Tat außer Kraft gesetzt. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Lohn und wird nicht im System des Lohnprinzips verwirklicht werden können, sondern nur jenseits desselben. Insofern ist es zwar ein Konzept, das an den bestehenden Verhältnissen ansetzt, letztendlich aber über sie hinausweist. Es ist eine transformative Strategie.

Am Grundeinkommen scheiden sich deshalb die Geister. Nicht nur Wirtschaftsliberale und Wertkonservative, sondern auch die traditionellen Arbeiterbewegungslinken sind sich einig in der Ablehnung eines Einkommens für alle, das es bedingungslos, einfach nur so, geben soll. Und nicht der von Baum als fremde Macht dämonisierte »Staat« ist der alleinige Verhinderer dieser radikalreformistischen Utopie.

Der repressive Umgang mit den ökonomisch Schwächeren der Gesellschaft stützt sich auf einen weit reichenden gesellschaftlichen Konsens. Die Ethik des Lohns ist im vorherrschenden Denken nicht nur der politischen Eliten, sondern auch der Bevölkerung tief verankert. Das Lohnprinzip, das die herkömmliche Lohnarbeit regelt, wird in immer größerem Maße auch auf den Sozialstaat angewendet. Hartz IV zwingt die Betroffenen dazu, ihre Arbeitskraft zu immer schlechteren Bedingungen zu verkaufen, und Sozialleistungen werden immer strikter an Gegenleistungen gekoppelt.

Gerechtfertigt wird diese erweiterte Verfügungsgewalt des Staates mit dem Rekurs auf einen neuen Gesellschaftsvertrag: Nur wer etwas leistet, soll auch Unterstützung durch das staatliche Gemeinwesen bekommen. Nur wer Forderungen erfüllt, wird auch gefördert. Das Prinzip bürgerlicher Vertragsfreiheit, das dabei beschworen wird, ist aber bekanntlich problematisch, wenn es auf den Arbeitsmarkt angewendet wird. Denn die auf ein existenzsicherndes Einkommen angewiesenen »Vertragspartner« können sich die Ablehnung des »Vertragsabschlusses« nicht leisten. Wer das Leistungsprinzip auf alle Einkommensarten anwenden und die Kopplung der Einkommen an eine Gegenleistung festigen will, wer alle Einkommen, die nicht durch eine Gegenleistung verdient werden, abschaffen will, kann daher zwar viel von »Eigenverantwortung« oder »Selbstbestimmung« erzählen, er hat jedoch mit Freiheit nichts am Hut, sondern will einen Lohnzwang, dem niemand entrinnen können soll.

Es ist die sich als Gerechtigkeit ausgebende erbarmungslose Härte gegenüber jenen, denen die Vermarktung ihrer selbst nicht gelingt, es ist die Dominanz eines Lohndenkens einer letztlich autoritären Arbeitsgesellschaft, die dem bedingungslosen Grundeinkommen im Wege steht. Diese gilt es zu bekämpfen, um ein Grundeinkommen durchzusetzen, ein »unverdientes« Einkommen, eine »Leistung ohne Gegenleistung«, ein Anrecht auf soziale Teilhabe für alle. Das Ende von Einschüchterung und Bescheidenheit und ein neues Anspruchsdenken wären die Voraussetzungen dafür.

Die Autorin und der Autor sind Sprecher des Netzwerks Grundeinkommen