Passgenau nach Plan

Noch in diesem Jahr wird Deutschland Pässe mit biometrischen Merkmalen ausgeben. Protest dagegen regt sich kaum. von daniel kulla

Wir haben bestimmte Vereinbarungen in der Interpolzusammenarbeit, und es gibt auch eine Reihe von bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen«, sagte Bundesinnenminister Otto Schily dem Deutschlandradio Mitte Juni. Als bloße Erfüllung internationaler Anforderungen präsentierte er die noch für dieses Jahr beschlossene Einführung biometrischer Merkmale in deutschen Pässen. Die Europäische Union habe auf Druck der US-amerikanischen Visa-Politik entschieden, dass die Verordnung nun ratifiziert werden müsse. Tatsächlich hatten die USA gedroht, ab Oktober nächsten Jahres Reisende aus der EU nur noch mit Visum in das Land zu lassen, wenn sie keine Ausweise mit biometrischen Merkmalen vorlegen können.

Der »Fahrplan« (Schily) der angekündigten Sicherheitsmaßnahmen wird eingehalten, ohne dass eine ausführliche Diskussion darüber stattfindet. Europa will der frühestens im Jahr 2007 zu erwartenden Einführung neuer Pässe in den USA deutlich zuvorkommen. Bereits Ende vorigen Jahres beschloss der EU-Ministerrat, biometrische Merkmale in Reisepässen zu speichern. Das Foto des Passinhabers und später auch seine Fingerabdrücke sollen auf einem so genannten RFID-Chip im Pass gespeichert werden. Bei einer Grenzkontrolle wird der Pass dann an ein Lesegerät gehalten, das die gespeicherten Daten per Funk abfragt. Eine Kamera nimmt das Gesicht der kontrollierten Person auf, der Computer prüft dann die Übereinstimung mit dem digitalisierten Foto. Ein Fingerabdruckleser tastet die Fingerkuppen ab.

Die Zweifel an der Biometrie sind in Deutschland eher rar. Die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, der in seinem Tätigkeitsbericht auf die Gefahr hinwies, »dass RFID-Systeme personenbezogene oder personenbeziehbare Daten speichern, ohne dass Verarbeitungsvorgänge ausreichend transparent werden oder sogar Dritte diese Daten auslesen oder verändern können, ohne dass der Nutzer dies bemerkt oder unterbinden kann«, wurde von Schily kurzerhand zurückgewiesen.

Der Landesbeauftragte für Datenschutz von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, erklärt im Gespräch mit der Jungle World das »geringe datenschutzrechtliche Engagement« in Deutschland mit dem »großen Vertrauen«, das hierzulande angeblich den Institutionen entgegengebracht werde. Dabei ist die rechtliche Ausgangslage für eine Verteidigung der Privatsphäre und der Freizügigkeit in der Bundesrepublik relativ günstig. Nicht umsonst muss regelmäßig auf die übergeordnete EU-Instanz verwiesen werden, um Überwachungsmaßnahmen durchzusetzen.

Zum einen existiert bereits seit den späten siebziger Jahren ein staatlich geförderter Datenschutz, zum anderen haben die Hackeraktivitäten in den achtziger Jahren die Kosten für die Erhöhung der Sicherheit steigen lassen. Dies wirkte sich auch auf die Neufassung des Datenschutzgesetzes 1990 aus. »Die ethical hackers hatten einen großen Einfluss darauf, was als wirtschaftlich gilt«, sagt Andreas Pfitzmann, der an der Dresdner Universität Datensicherheit lehrt. Er wurde kürzlich als einziger Kritiker vom 9. Deutschen IT-Sicherheitskongress des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) von dessen Präsident Udo Helmbrecht persönlich ausgeladen.

Die entscheidende Frage lautet seiner Meinung nach: »Bekommen wir denn überhaupt ein Mehr an Sicherheit?« So sei unklar, ob die direkte Folge der Erfassung von biometrischen Merkmalen nicht die Entstehung eines Schwarzmarktes für Daten und Attrappen, etwa von Fingerkuppen, sein könnte, die im schlimmsten Fall zur Hinterlegung falscher Spuren an Tatorten verwendet werden könnten.

Außerdem ist die Technik offenbar nicht ausgereift. »Schily gibt zu, dass die Erkennungsrate beim Gesicht katastrophal schlecht ist. Wir bringen die Pässe aber schon mal unters Volk und hoffen, dass die Geräte an der Grenze innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre besser werden«, kritisiert Pfitzmann das Vorgehen. Sollten dann in zehn Jahren alle angekündigten Maßnahmen realisiert sein, dürften sie aller Wahrscheinlichkeit nach bereits wieder überholt sein. Und selbst »wenn Biometrie perfekt funktionieren würde, kann jeder in einem korrupten Staat einen oder mehrere Ausweise mit den gewünschten biometrischen Merkmalen kaufen«, hebt Pfitzmann hervor.

Mitte Juni versuchte der Chaos Computer Club auf dem »Festival für junge Politik« in der Berliner Wuhlheide über die Biometrie aufzuklären. Dieses Podium nutzte Peter Schaar für eine Stellungnahme zu Schilys Vorwurf, er habe seine Kompetenzen überschritten. Er wiederholte seine Einschätzung, dass die geplante Einführung der neuen Pässe im November zu früh und »verfassungsrechtlich höchst problematisch« sei.

Anders als zumeist suggeriert, ermittelt Biometrie nur Wahrscheinlichkeiten, kann also eindeutige Verschlüsselungen, wie etwa den PIN-Code einer EC-Karte, nicht ersetzen. Um dem Problem entgegenzuwirken, dass einzelne Merkmale zur biometrischen Identifizierung kaum ausreichen, werden außerdem Daten erfasst, die viel zu viel über die jeweilige Person aussagen. So kann etwa die Netzhaut auch Auskunft über den vorangegangenen Alkoholkonsum der überprüften Person geben. Ist der Zugang zum Arbeitsplatz von solchen Messungen abhängig, kann es schnell um die Existenz des Erfassten gehen.

Biometrie wird andererseits schon längst verwendet, etwa mit dem einfachen Passbild. Neu ist die Möglichkeit der digitalen Speicherung und der Einrichtung entsprechender Datenbanken. Eine solche gibt es für die Strafverfolgungsbehörden bereits in Gestalt von Afis, dem Automatisierten Fingerabdruckidentifizierungssystem, schon bald soll eine Gendatenbank hinzukommen.

Aber was verspricht sich die Bundesregierung von der überstürzten Einführung von unzähligen Lesegeräten und Chips? Weichert meint: »Das Vorantreiben der Pläne hat erklärtermaßen auch damit zu tun, dass man der deutschen IT-Wirtschaft einen Gefallen tun will.« Denn die Standards »müssen bei allen staatlichen Stellen auf der Welt verfügbar sein, die zur Ausweiskontrolle berechtigt sind«. So würden die deutschen Lesegeräte und die Chips von Infineon dank der Bundesregierung zu einem »globalen Vorzeigeprojekt«. Das Verwertungsinteresse sorgt schließlich für eine Erfassbarkeit des Einzelnen, die über die angeblichen innenpolitischen Erfordernisse weit hinausgeht.