Spektakel zum Abschied

In der Bundestagsdebatte am vorigen Freitag zeigten sich die rot-grünen Politiker als Meister der Dialektik und der Simulation. von markus ströhlein

Die Verantwortlichen des Senders Phoenix trafen die richtige Wahl, als sie Friedrich Nowottny als Kommentator für die Übertragung aus dem Bundestag reaktivierten. Denn er ist nicht nur das Gesicht des bürgerlichen Politjournalismus der alten Bundesrepublik, als Intendant des WDR führte er auch das ARD-Frühstücksfernsehen ein, das Sendeformat, bei dem man bereits am frühen Morgen wieder »Gute Nacht« sagen wollte.

Die Übertragung der Bundestagsdebatte und der Abstimmung über die Vertrauensfrage am vergangenen Freitag war ein Hybrid aus Polit- und Frühstücksfernsehen. Die live übertragenden Fernsehsender scheiterten wegen der Vorhersehbarkeit des Geschehens kläglich bei dem Versuch, ihren Ausstrahlungen Spannung zu verleihen. Vor der Debatte und der Abstimmung durften Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler orakeln. Friedrich Nowottny versuchte mit einer schnittigen These, Dynamik in das Geschehen zu bringen. Die Vertrauensfrage sei ein Beweis für die zunehmende Instabilität des parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik, meinte er. Was sind schon 16 Jahre Kohl und sieben Jahre Schröder? In Deutschland gilt eine Regierung offenbar erst dann als stabil, wenn sie 100 Jahre regiert hat.

Spätestens nach der Aufwärmphase war klar, dass der Wert des Spektakels nicht in den Neuigkeiten, sondern in seiner Absurdität liegen würde. Ein Kanzler mit der Mehrheit im Bundestag muss das Gegenteil simulieren lassen. Ein Kanzler, der das Vertrauen seiner Koalition hat, benötigt ihr Misstrauen. Und Schröder erreichte, was er wollte. 151 Abgeordnete sprachen ihm das Vertrauen aus, 148 enthielten sich, 296 sprachen ihm ihr Misstrauen aus. Nun liegt es an Bundespräsident Horst Köhler, den Totenschein für die rot-grüne Regierung auszufüllen und der Auflösung des Bundestags und vorgezogenen Neuwahlen zuzustimmen.

In seiner Rede vor der Abstimmung nannte Schröder die vorangegangenen Wahlniederlagen in den Bundesländern und die daraus resultierende Mehrheit der von der Union regierten Länder im Bundesrat als Begründung für sein Vorgehen. Es sei an der Zeit, die Wähler entscheiden zu lassen, welchen Staat sie sich wünschen. Das klang beinahe so, als hätte Schröder erkannt, dass seine Regierung als Vermittlerin zwischen den Kapitalinteressen und den Lohnabhängigen ausgedient hat. Doch welche Konsequenz ist daraus zu ziehen? »Aus den Reihen der Opposition gab es die Forderung nach meinem Rücktritt. Aber was dann?« fragte Schröder.

Als zurückgetretener Kanzler umgehend wieder für den Posten zu kandidieren, wäre wahrlich noch weniger werbewirksam gewesen, als sich mit einer Partei in den Wahlkampf zu begeben, die ihm noch kurz vorher das Vertrauen verweigert hat. Doch der Rücktritt wäre für Schröder ohnehin nicht in Frage gekommen. Seine Regierungszeit seien gute Jahre für Deutschland gewesen, lobte er sich selbst. Seine Regierung habe die Reformunwilligkeit überwunden. Er habe Deutschland als Friedensmacht etabliert, »im Kampf gegen Hunger, Armut und Unterdrückung«.

Da war er noch einmal, der Reform- und Friedenskanzler. Das weltmännische Pathos war aber fehl am Platz. Die Opposition lachte. »Sie sollten vorsichtig sein. Es schauen uns viele zu«, ermahnte er die grinsenden Abgeordneten der CDU, der CSU und der FDP. Kurz darauf verließ er das Rednerpult.

Der Kanzler hat inoffiziell abgedankt, der Wahlkampf hat begonnen. Nur Angela Merkel wies keiner darauf hin. In einem Versprecher kürte sie statt der FDP die SPD zur Regierungspartnerin für die Union. Vielleicht meinte sie das Angebot an die SPD aber auch ernst. »Wir waren uns, als wir uns über die Gesundheitsreform unterhalten haben, immer einig«, sagte sie an Gerhard Schröder gerichtet. Über sich und ihre Partei sagte sie nichts. Es soll schließlich niemand merken, dass die CDU nichts grundsätzlich anderes als die rot-grüne Regierung vorhat.

Schröders Sprache der Modernisierung beherrscht auch Merkel. »Es gibt keine Alternative dazu, das Land zu reformieren«, sagte sie. Man müsse »im Bundesrat und Bundestag durchregieren«. Man müsse »Menschen in Arbeit bringen«. Schröders Politik sei Stückwerk, sie wolle eine konsequente Politik, denn »die Menschen merken es, wenn sie nicht in einem Guss regiert werden«. Was das konkret bedeuten soll, »in einem Guss regiert werden«, lässt sich nur erahnen.

Für die sozialdemokratische Dialektik war der Parteivorsitzende Franz Müntefering zuständig. Es gehe nicht darum, dem Kanzler das Misstrauen auszusprechen, erklärte er seinen Genossen. Vielmehr gelte es, das Vertrauen in den Kanzler zu beweisen, indem man sich der Stimme für eben dieses Vertrauen enthalte. Dass Schröder erneut Kanzler werde, scheine »aussichtslos in dieser Situation«. Doch die Zeit der rot-grünen Regierung sei eine gute für Deutschland gewesen. »Die Wähler werden sich fragen, wer Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten hat und wer wachsweich geworden ist.« Und wenn es die Wellen des Antiamerikanismus nicht schaffen, die SPD wieder in die Regierungssitze zu spülen, dann tun es vielleicht die Wellen der Oder. Oder auch nicht.

Außenminister Joschka Fischer glaubte offenbar, dass Sprüche wahr werden, wenn man sie dreimal aufsagt. »Diese Koalition hat allen Grund, stolz zu sein«, wiederholte er den trotzigen Sermon von Schröder und Müntefering. Er würde gern weitermachen, respektiere aber die Entscheidung des Bundeskanzlers. Dann folgten der Angriff auf die Opposition und ein Exkurs in die Welt der Hybridantriebe und Dieselrußfilter für Autos.

Was der Fraktionsvorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, vorbrachte, hatte er offenbar zuvor bei Merkels Rede mitgeschrieben. Die Regierung sei wankelmütig, ihre Politik sei nicht stetig gewesen. Deshalb sei der Regierungswechsel nötig. Die Abgeordneten der Union und der FDP klatschten pflichtbewusst Beifall. Nur für Friedrich Nowottny gab es kein Halten mehr: »Du warst klasse, Junge!«

Die Abgeordnete Gesine Lötzsch von der PDS zeigte sich in ihrer Rede nicht ganz auf der Höhe der Zeit und warb um Solidarität mit »Florida-Rolf« und um »Reformen, wie wir sie vorschlagen«. Den Aufstand des Anständigen versuchte der grüne Abgeordnete Werner Schulz mit einer Erklärung, in der er die Abstimmung als »inszeniertes, absurdes Geschehen« und »organisiertes Misstrauen« bezeichnete. Zu Schröder sagte er: »Sie haben mit ihrem genialen Schachzug alles erreicht, was Sie vermeiden wollten: Die Opposition ist geeint und geschlossen wie nie zuvor, die Formierung einer neuen Linkspartei und die Erosion der SPD wurde beschleunigt.« Schröder werde in die Geschichte eingehen »als einer, der letztlich seine Partei zerlegt und sein Land in Schwierigkeiten gebracht hat«.

Am Ende aber hat Schröder auch Schulz in Schwierigkeiten gebracht. Denn er hat keinen sicheren Platz auf der Liste der Berliner Grünen für die Bundestagswahl bekommen. Das ist fürwahr ein Grund, mal so richtig sauer zu sein.