Veteranen gegen Agenten

Eine Gruppe hoher KP-Funktionäre in Vietnam fordert eine Reform des Geheimdienstes. Mit dessen Hilfe soll der ehemalige Präsident Konkurrenten aus dem Weg geräumt haben. von marina mai

In Vietnams Kommunistischer Partei toben harte Auseinandersetzungen. Eine Gruppe kritischer Mitglieder des ZK, hoher Militärs und Universitätsprofessoren fordert in offenen Briefen an die Parteiführung eine Demokratisierung des Auslandsgeheimdienstes Cuc Hai. Symbolfigur der Kritiker ist Vo Nguyen Giap, jener legendäre Generalleutnant, der 1954 die Schlacht bei Dien Bien Phu gegen Frankreich siegreich geführt hatte.

Cuc Hai sei das eigentliche Machtzentrum im Land, heißt es in einem Manifest kritischer ZK-Mitglieder. Der Geheimdienst habe sich verselbständigt und missbrauche seine Macht. Er werde zudem vom so genannten Geheimdienstflügel innerhalb der Partei und der Regierung für interne Machtkämpfe benutzt. Konkret werfen die Genossen dem vor wenigen Jahren aus Altersgründen zurückgetretenen Präsidenten Le Duc Anh vor, 1991 und 1995 politische Konkurrenten mit erfundenen Geheimdienstdossiers über angebliche CIA-Kontakte entmachtet zu haben. Die Forderungen der kritischen Genossen lauten: staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Cuc Hai, eine klare politische Definition seiner Aufgaben und demokratische Kontrolle. Dem ehemaligen Präsidenten sollen zudem seine politischen Verdienste offiziell aberkannt werden.

Begonnen hatte die Diskussion vor fast einem Jahr mit einem Brief von Generaloberst Nam Khanh an die Parteiführung, der erst jetzt gemeinsam mit weiteren Dokumenten auf den Internetseiten von Vietnamesen, die im Ausland leben, publiziert wurde. Die staatlich kontrollierten Medien in Vietnam ignorieren hingegen die Diskussion. Nam Khanh war stellvertretender Leiter der Politabteilung im Verteidigungsministerium, bis er Mitte der neunziger Jahre aus Altersgründen zurücktrat. Diesem Ministerium untersteht auch der Auslandsgeheimdienst. Nam Khanh wirft Cuc Hai vor, in den achtziger Jahren, als Vietnam Truppen in Kambodscha stationiert hatte, Funktionäre der dortigen KP mit unter Folter erzwungen Geständnissen belastet und ausgeschaltet zu haben. Mehrere der Gefolterten hätten anschließend Selbstmord begangen.

Die Parteiführung hatte zunächst von Nam Khanhs Hanoier Parteizelle gefordert, den Kritiker zu disziplinieren und aus der Partei auszuschließen, wenn er keine Reue zeige. Doch diese weigerte sich und bezeichnete den Gescholtenen sogar als »musterhaftes Parteimitglied«. Ein Hochschulprofessor sorgt sich jetzt in einem offenen Brief um mehrere der kritischen Veteranen, die Repressionen ausgesetzt seien.

Offensichtlich haben die Funktionäre mit ihrer Kritik an Cuc Hai die Sympathie vieler Vietnamesen gewonnen, die sich eine Beschränkung des Machtmissbrauchs und der Korruption erhoffen. Weil Vietnam seine Staatsdiener nicht angemessen bezahlen kann, erlaubt das Land ihnen einen Nebenerwerb. Rund um das Verteidigungsministerium ist ein Firmengeflecht entstanden, an dem mutmaßlich auch Geheimdienstler beteiligt sind. Sie spekulieren mit Immobilien im In- und Ausland, exportieren Reis und betreiben Inkassodienstleistungen. Mit ihrem Geschäftsgebaren haben sie sich bei vielen Vietnamesen unbeliebt gemacht.

Für den 10. Parteitag zu Beginn des kommenden Jahres wird eine heftige Auseinandersetzung zu diesem Thema erwartet. Die Kritiker sind jenseits der 70 und hochverdiente Kriegsveteranen. Nach der konfuzianischen Tradition genießen sie den allerhöchsten Respekt. Ihnen auf dem Parteitag das Wort zu entziehen, wäre ein Skandal. Zudem wurden bereits auf den letzten drei Parteitagen, anders als in den Medien, strittige Fragen offen debattiert und Flügelkämpfe ausgetragen.