Bin Laden holt die Spiele nach Paris

Bizarre Theorien zum Anschlag in London. Ein Streifzug durch die Internetforen.

Eine feste Meinung zu haben, ist besonders dann sehr nützlich, wenn es darum geht, aktuelle Geschehnisse rasch zu beurteilen. Und so waren die Bomben in London kaum explodiert, als der Verschwörungstheoretiker Mathias Bröckers in seinem Blog bei 2001 schon genau wusste, wer dahintersteckte. Natürlich nicht islamistische Terroristen, sondern die Lieblingsverdächtigen der deutschen Neigungslinken, also die USA, Israel sowie eine ganze Menge westlicher Geheimdienste.

Die erste Reaktion auf die nicht überraschende Bröckers-Theorie zum Thema Anschläge in London muss für den Verschwörungstheoretiker enttäuschend gewesen sein. Denn User Florian brach nicht etwa in Jubel aus, sondern forderte: »Zwicken Sie sich mal! Haben Sie noch irgendwelche normalen menschlichen Gefühle?« Und merkte an: »Wie können solche Attentate die quasi gerechte Antwort Unterdrückter auf den Irak-Krieg sein, wenn sie doch ihrer schrägen Einschätzung nach von irgend welchen westlichen Geheimdiensten verübt werden?«

Gute Frage, aber wen interessiert Logik, wenn es um Rechthaben und die Bestätigung der eigenen Meinung geht? Ein anderer User etwa musste »ehrlich fast kotzen«, als er die Londoner Bilder sah. Aber nicht, weil er es irgendwie Scheiße fand, dass Menschen in die Luft gesprengt wurden, sondern weil es sich um den gleichen »Mist« handele, wie er uns am »9/11-Tag passiert« sei – »und die Leute fallen wieder auf den selben Mist rein«. Hä? Na, ist doch alles ganz einfach: »Diese Operation soll die Kritiker zum Schweigen bringen, die in GB immer lauter werden, z.B. gegen die aktuelle Truppenpräsenz im Irak.«

Haben die Attentäter also ganz besonders smarte Sprengkörper entwickelt, so eine Art Gesinnungs-Neutronen-Bombe, die ausschließlich Befürworter des Irak-Kriegs tötete, während die Kritiker die U-Bahn-Waggons unbeschadet verlassen konnten? Man wird es leider nie erfahren, denn der nächste Beiträger, Horst, beschäftigt sich leider nicht weiter mit der sensationellen Erfindung, die immerhin ein Beleg für die Verstrickung höchster Regierungsstellen in die Anschläge sein würde, sondern konstatiert lapidar: »Ich fürchte, wir werden auch diesmal nicht erfahren, wer die wahren Täter sind.« Die, soviel steht für ihn aber fest, haben keine Ahnung von Sport.

Denn da war ja noch die Sache mit den Olympischen Spielen, die tags zuvor überraschend London statt dem eigentlich favorisierten Konkurrenten Paris zugeteilt worden waren. »Es ist auch bemerkenswert, dass die Terroristen ihre Tat nach der Entscheidung über die Austragung der Olympischen Spiele 2012 verübt haben. Hätten die Anschläge zwei Tage früher stattgefunden, wäre die Entscheidung vielleicht gegen London ausgefallen und den Londonern wäre ein Milliardengeschäft entgangen. War al-Quaida darüber nicht informiert?« Oder war es ihr vielleicht einfach auch nur absolut egal? Oder hatte sich bin Laden schon ganz furchtbar doll auf Spiele in Paris gefreut und, nachdem die französische Hauptstadt das IOC-Voting gleichermaßen unvorhergesehen wie schmählich verloren hatte, voller Enttäuschung seine Selbstmordattentäter nach Großbritannien geschickt? Und warum hat bin Laden eigentlich nicht schon längst einen Sitz im Olympischen Komitee? Und wieso reden diese Verschwörungstheoretiker eigentlich immer von bin Laden und al-Qaida, wenn sie doch eigentlich zutiefst davon überzeugt sind, dass es sie eigentlich gar nicht gibt?

Ein Schreiber namens Capella bestätigt denn auch in seinem Kommentar zur Attentatsanalyse von Bröckers, dass »niemand weiß, wer oder was al-Qaida eigentlich genau ist. Wahrscheinlich nicht mal Ussama bin Laden. Das immer wieder gern zitierte Szenario von ›unabhängig operierenden Terrorzellen‹, die sich gegenseitig nicht kennen, eignet sich perfekt dazu, alle und jede terroristische Aktivität da einzuordnen.« Dieses »praktische und vielseitig instrumentalisierbare« Szenario sei, man ahnt, was jetzt kommt, und jaha, da steht es auch schon, genau das, »was eine Regierung wie z.B. die der USA so braucht, um die eigenen Pläne immer wieder vor der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit durchzusetzen, jetzt, wo der böse Kommunismus als Feind nicht mehr funktioniert. Gäbe es al-Qaida nicht, müssten Bushs Berater sie erfinden.«

Fehlt eigentlich nur noch ein knalliger Abschlusssatz, und fertig ist das Posting. Yes! Capella schließt seine Abhandlung tatsächlich mit einem fetzigen »ein Schelm, wer Böses dabei denkt«. Und bekommt umgehend Antwort von Economic Girlieman: »Capella: Wenn es al-Qaida wirklich gäbe, dann müssten Kinder, die davor Angst haben, sich einen George W. Bush erfinden, verglichen mit dem al-Qaida harmlos aussieht. Man muss sich nichts Böses denken, um ein Schelm zu sein.« Das ist eine äußerst verwirrende Ansage. Dass Bush nach Meinung der Bröckers-Fans in Wirklichkeit der Anführer der angeblich nicht existierenden al-Qaida ist, macht die Dinge noch rätselhafter, aber was soll’s.

Und auch anderswo geschieht Rätselhaftes. »Assalamu alaikum« beginnt die Mitteilung von User Hassan B. über »folgenschwere Explosionen« in London auf www.muslimmarkt.de, er fügt hinzu, er »hoffe und bete, dass es keine Täter waren, die sich Muslime nennen«. Andere Autoren im Forum wissen dagegen bereits wenige Minuten danach nicht nur, dass die Attentäter zu al-Qaida gehören, sondern auch, wer wirklich hinter bin Laden steckt. »Da diese Organisation vom CIA gesteuert wird, stehen mehrere Fragen im Raum«, beginnt Detlef einen langen Monolog, in dem es hauptsächlich um das »Cui bono« geht. Nutznießer der Anschläge seien die westlichen Regierungen, die nun härter gegen Kritiker vorgehen könnten und nebenbei mit Hilfe der »G 8 und dem Spektakel der Popmusik« Afrika ruinierten.

Aber warum den Drahtzieher CIA nicht gleich ganz verbieten? Da ist Detlef aber strikt dagegen: »Ein Verbot des CIA halte ich für kontraproduktiv, da solche Aktionen eh im Geheimen ablaufen.« Detlev zu verbieten, könnte dagegen eine ganz gute Idee sein.