Deutsche vernetzen

Am kommenden Wochenende treffen sich Globalisierungskritiker und Freunde der neuen Linkspartei zum ersten Sozialforum in Deutschland. von jesko bender

Wenn Frieden und Gerechtigkeit sich küssen«, dann, ja dann, könnte man diesem Veranstaltungstitel hinzufügen, ist wieder Sozialforum. Dieses Mal findet es vom 21. bis 24. Juli in Erfurt statt und ist weder ein Weltsozialforum (WSF) noch ein Europäisches Sozialforum (ESF), sondern das erste »Sozialforum in Deutschland«. Zwar lassen Veranstaltungen wie die erwähnte eher eine Nähe zum rund vier Wochen später in Köln stattfindenden Weltjugendtag vermuten – wie auch jene über die »Erhaltung der Schöpfung« oder die Frage, wer nun eigentlich die Welt regiert: »Gott oder Profit (Mammon)?« Doch beim deutschen Sozialforum geht es um wesentlich mehr.

Die erwarteten 5 000 Teilnehmer können nach dem vorläufigen Programm knapp 600 Veranstaltungen und Workshops besuchen. Das vielfältige inhaltliche Angebot sei eine »prima Möglichkeit« zur Vernetzung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Deutschland, erklärt Steffen Kachel, der im Organisationsbüro für die Pressearbeit zuständig ist. »Gerade in Deutschland ist die Zusammenarbeit der vielen Gruppen und Initiativen sowohl inhaltlich als auch konzeptionell sehr zurückgeblieben.« Aus diesem Grund sei das zunächst einmalig geplante deutsche Sozialforum trotz der bereits existierenden internationalen Pendants sinnvoll. Das Weltsozialforum (WSF) fand bereits fünf Mal statt, das Europäische Sozialforum (ESF) trifft sich im Jahr 2006 zum vierten Mal.

Wesentliche Unterschiede zwischen den drei Varianten des Sozialforums gibt es nicht. Gerade darin liegt auch ein zentrales Problem. Die Sozialforen zeichnen sich durch eine nahezu grenzenlose inhaltliche Beliebigkeit aus. Fast alles und fast jeder, dem das Wort »Globalisierung« Unbehagen bereitet, kann teilnehmen, ausgenommen Parteien und Faschisten.

Das Potpourri der für Erfurt angekündigten Veranstaltungen teilt sich in fünf Themengebiete, zu denen jeweils auch eine größere, prominent besetzte Konferenz stattfindet. Auf der Konferenz zum Schwerpunkt »Eine lebenswerte Welt – anders besser leben« soll beispielsweise mit der Ethnologin und Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen von der Universität Bielefeld über die Frage diskutiert werden, was »wir von indigen-matriarchalen Gesellschaftsstrukturen lernen« können. Andere Bereiche sind »EU-Europa: In welcher Verfassung sollte es sein?«, »Menschenrechte und Partizipation« sowie »Globalisierung und die Rolle Deutschlands in der Welt«. Auf der zentralen Veranstaltung zum Schwerpunkt »Arbeitswelt und Menschenwürde« tritt der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, auf. Im Einleitungstext dazu heißt es: »In Zeiten anhaltender Wachstumsschwäche, besonders auf dem Binnenmarkt, muss der Staat die Verantwortung für mehr und bessere Arbeitsplätze übernehmen. Das ginge mit öffentlichen Investitionsprogrammen, gezieltem Wachstum des öffentlichen Beschäftigungssektors (…), verstärkter Beschäftigungsförderung und Arbeitszeitverkürzung.« Besser könnte es die Wasg nicht formulieren.

Hat man sich halbwegs einen Überblick über das Programm verschafft, erscheint ein eigenes Sozialforum in Deutschland angesichts der offensichtlichen Tendenz zur Renationalisierung sozialer Bewegungen nur konsequent. Adressaten politischer Forderungen sind wieder mehr und mehr die einzelnen Staaten, wie sich nicht zuletzt in den Argumenten zeigte, mit denen die EU-Verfassung abgelehnt wurde. Gegen die Globalisierung zu sein, bedeutet auch beim deutschen Sozialforum häufig: zurück zur Nation und/oder den »Völkern«! Dementsprechend trifft man nicht selten auf hohe Erwartungen, die sich an das Bündnis aus PDS und Wasg richten. In der anlässlich des Forums gemeinsam von taz, junge Welt und Neues Deutschland produzierten Sonderbeilage frohlockt beispielsweise Arnold Schölzel, der Chefredakteur der jungen Welt, ob der »Panik«, die die guten Umfrageergebnisse des Linksbündnisses hervorriefen. Dem »politisch-medialen Komplex« bleibe augenblicklich nichts anderes mehr übrig, als »fassungslos bis hysterisch« Oskar Lafontaine und Gregor Gysi niederzumachen. Gerade deshalb könne das Sozialforum zu einem »Wendepunkt« werden. Steht etwa die Vereinigung der Bewegung mit der Partei schon kurz bevor?

»Es gibt de facto viele Überschneidungen zum Linksbündnis«, sagt Roland Röder, Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar, die sich an den ersten großen Sozialforen beteiligte. Er sieht in der Wasg »die inhaltliche Fortsetzung der Sozialforumsbewegung« und meint das keineswegs positiv. Diejenigen, die sich aktiv an den Sozialforen beteiligten, propagierten nach wie vor ein dichotomes Weltbild, in dem es lediglich Unterdrückte und Unterdrücker, also Gut und Böse gebe. »Soziale Marginalisierung bedeutet nicht unbedingt überbordende Klugheit«, sagt er. Deshalb fuhr seine Gruppe bereits nicht mehr zum ESF nach London und wird auch am Sozialforum in Erfurt nicht teilnehmen.

Zurückhaltende Töne zum Linksbündnis sind jedoch ebenso zu vernehmen. Steffen Kachel begründet beispielsweise seine Vorbehalte mit der »Charta« des WSF in Porto Alegre, die eine Mitarbeit von Parteien an den Sozialforen grundsätzlich ausschließt. Allerdings müsse man sich auch der »Gefahr der Instrumentalisierung von außerparlamentarischen Bewegungen« durch Parteien bewusst sein.

Indessen arbeitet Eckart Spoo, Mitherausgeber der Zeitschrift Ossietzky, in der Co-Produktion der drei Tageszeitungen an einer Vertiefung politischer Flachheiten. Ein Sozialforum in Deutschland sei notwendig, »um uns von der Wirkung der Lügen zu befreien, mit denen wir in kleine und große Kriege getrieben werden« und »um der Einschüchterungspropaganda der Konzernmedien zu widerstehen«. Ihm sei ein Workshop der Schenker-Bewegung empfohlen: »Gewissenprüfung, Schenkende Liebe, einfaches Leben im Naturkreislauf, Pilgerschaft, Sozialarbeit, Dorffamilie«.

Topthemen der Sozialforumsbewegung bleiben jedoch Israel, Palästina und der Irak-Krieg. Obligatorisch sind auch in Erfurt Veranstaltungen wie etwa eine zur israelischen Sperranlage, die mit dem Titel »Stoppt die Mauer in Palästina« jegliche abweichende Meinung ausschließt. Dem Irak widmet sich die »Initiative Internationales Tribunal der Völker« gleich in einem ganztägigen »Hearing«. Darin sollen zahlreiche Referenten unter anderem ausloten, »inwiefern bewaffneter Widerstand im Irak durch das Recht zum Widerstand gegen Fremdherrschaft und Besatzung gedeckt« ist. Einer von ihnen ist Joachim Guillard vom Antikriegsforum Heidelberg, der gleichzeitig verantwortlich für die Internetpräsenz der Initiative ist. Seine Meinung zu »militärischen Aktionen gegen die Besatzer« wird er nicht müde zu betonen: Sie seien »selbstverständlich legitim« (Jungle World 10/05). Wenn Frieden und Gerechtigkeit sich küssen, heißt es also Land gewinnen und auf keinen Fall mitknutschen!