Kugeln zu Wasser

In der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika begann vor 100 Jahren der Maji-Maji-Krieg gegen die deutschen Besatzer. von anke schwarzer

Frauen und Männer rissen die verhassten Baumwollpflanzen aus der Erde. Diese scheinbar unbedeutende Tat – geschehen vor 100 Jahren, am 20. Juli 1905 in Ostafrika – bedeutete eine Kriegserklärung an die deutschen Kolonialherren. Es folgten weitere Attacken auf kleinere Städte entlang der Handelsroute im Hinterland der Küstenstadt Kilwa. Am 30. Juli töteten die Kämpfer den ersten deutschen Siedler. Die Missionarsstation Maneromango westlich von Dar es-Salaam meldete im August eine »Insubordination« der Einwohner. Händler und Plantagenbesitzer flohen an die Küste und riefen dort die Kolonialregierung um Hilfe an. Die personelle Stärke der so genannten Schutztruppe war allerdings zu diesem Zeitpunkt verschwindend gering, im Süden der Kolonie belief sie sich auf 588 Mann. Nachschub wurde geordert, doch bis die Soldaten aus Deutschland eintrafen, war es bereits Oktober.

Zu diesem Zeitpunkt war der Maji-Maji-Krieg, eine der größten Erhebungen gegen die deutschen Kolonialisten und ihre afrikanisch-arabischen Verbündeten, in vollem Gange. Er sollte weit mehr als 100 000 Tote fordern. Außergewöhnlich war, dass sich rund 20 verschiedene Gesellschaften im Süden der Kolonie, die sich vorher zum Teil untereinander bekriegt hatten, zusammenschlossen, um – wenn auch aus unterschiedlichen Interessen – gegen die Deutschen zu kämpfen. Nach den ersten Überraschungs-erfolgen in offenen Feldschlachten wendete sich das Blatt jedoch: Die Einheimischen kamen mit ihren Speeren, Pfeilen und Schießeisen nicht gegen die modernen Maschinengewehre der Kolonialherren und ihrer afrikanischen Soldaten, der Askaris, an. Auch der »Zaubertrank« Maji-Maji, nach dem der Krieg später benannt wurde, half den Kämpfern nicht. Der Heiler Kinjikitile Ngwale hatte eine Nachricht verbreitet, wonach die Medizin maji, was in Swahili »Wasser« bedeutet, die Kugeln der Feinde wie Regentropfen von den Kriegern abperlen lassen würde.

Die Botschaft fand in dem religiösen Umfeld große Resonanz und verbreitete sich rasch. Schließlich bestand damit für alle, die Zwangsarbeit leisten mussten oder deren Einfluss durch das Kolonialsystem geschwächt worden war, die Aussicht, endlich die Deutschen besiegen zu können. »Die Araber hatten unsere Väter versklavt, als die Deutschen kamen, war die Sklaverei vorbei, aber der Schwarze Mann wurde genauso behandelt, wie die Sklaven behandelt worden waren«, berichtete der Zeitzeuge Mzee Mikaeli Mguye.

Vor allem in den Jahren zuvor war es unter dem Gouverneur Gustav Adolf Graf von Goetzen zu neuen oder verschärften Verordnungen und Steuern gekommen: Zwangsarbeit auf Baumwoll- und Sisalplantagen, Kopfsteuer, in Ketten gelegte Feldarbeiterinnen, Schläge mit der Nilpferdpeitsche und dem Bambusstock, Steuer auf selbst gebrautes Bier, Landenteignung und eine Jagd- und Wildschutzverordnung, die viele traditionelle Jagdgewohnheiten der Ostafrikaner verbot. Auch der Schulzwang für Kinder, den viele Missionare durchzusetzen versuchten, zog den Zorn vieler Einheimischer auf sich.

Nach den ersten Niederlagen konzentrierten sich die Maji-Maji-Kämpfer auf Guerilla-Methoden. Das deutsche Kolonialregime antwortete mit einer Politik der »verbrannten Erde«: Frauen wurden vergewaltigt, so genannte Rädelsführer aufgehängt, ganze Dörfer niedergebrannt, die Ernte wurde vernichtet oder mitgenommen. 60 Jahre später erinnerte sich Camelius Kiango: »Es kamen drei Jahre Hungersnot. Menschen starben in Massen, und die Leichen wurden zum Verwesen liegen gelassen, weil niemand in der Lage war, sie zu beerdigen. Die Menschen schliefen im Freien, denn es gab keine Häuser mehr, und die Löwen fraßen einen nach dem anderen. Es gab kein Saatgut, um zu pflanzen.« Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa schätzt, dass zwischen 250 000 und 300 000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, ums Leben gekommen sind.

Die Presse im Deutschen Reich berichtete nur selten über die Situation in der ostafrikanischen Kolonie, die die heutigen Länder Tansania, Burundi und Ruanda umfasste. Der Widerstand im Süden der Kolonie wurde und wird hierzulande als »Aufstand« bezeichnet. Im heutigen Tansania dagegen spricht man auf Swahili von einem vita vya ukombozi, einem Befreiungskrieg. Die Herausgeber des hervorragenden Buches »Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905 – 1907« weisen darauf hin, dass die Bezeichnung »Aufstand« der Terminologie des Kolonialismus entstamme. Aufstände waren danach unvermeidlich, da sich die Kolonisierten gegen die »Zivilisierung« ab und an zur Wehr setzten. Kriege dagegen, zu denen ausgeklügelte Strategien und straff organisierte Armeen gehörten, waren dem kolonialen Konsens zufolge den Europäern vorbehalten.

Der fast gleichzeitig geführte Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika sorgte, im Gegensatz zu den Ereignissen in Ostafrika, für Schlagzeilen und führte schließlich 1906 dazu, dass der Reichstag aufgelöst wurde, da die Zentrumspartei und die Sozialdemokraten dem Nachtragshaushalt nicht zugestimmt hatten.

Bis heute spielt der Maji-Maji-Krieg im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit keine Rolle. Es herrscht eine allgemeine »öffentliche Amnesie« (Reinhard Kößler), die den Umgang mit dem deutschen Kolonialismus kennzeichnet und die in besonderem Maße die Erinnerung an den Krieg in Ostafrika betrifft. Möglicherweise weil die Nachfahren der Opfer nicht gegen Schiffslinien, Banken oder die deutsche Regierung klagen, so wie im heutigen Namibia. Ein anderer Grund ist aber vielleicht auch die Tatsache, dass nur 500 Offiziere am Maji-Maji-Krieg teilnahmen und nur 15 Weiße dabei ums Leben kamen. Wohingegen fast 15 000 deutsche Soldaten mit einem Vernichtungsbefehl in den Krieg gegen die Herero und Nama zogen.

Eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für die während der Kolonialherrschaft begangenen Kriegsverbrechen – oder gar den Kolonialismus an sich – ist in Tansania bislang ausgeblieben. Das brutale Vorgehen der »Schutztruppe« ist vielmehr in beschönigenden Mythen aufgegangen. In der Bundeswehr störte man sich nie daran, dass Kasernen nach Kolonialverbrechern benannt wurden, etwa die vor einigen Jahren aufgelöste Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg, benannt nach dem Kommandanten in Deutsch-Ostafrika (1913 bis 1918) und späteren Kapp-Putschisten, Paul von Lettow-Vorbeck.

Auch in Tansania herrschte viele Jahre Schweigen. »Die Alten sagten, um Himmels willen, wir dürfen den Jungen nicht von den Gräueltaten, der Folter, den Vergewaltigungen und den Demütigungen erzählen!« erklärt der Erziehungswissenschaftler Isack Majuro. Dieses Trauma und seine Tabuisierung habe auch die Wissenschaft betroffen. Erst nach der Unabhängigkeit habe die Universität Dar es-Salaam, Ende der sechziger Jahre, den Krieg und seine Folgen erforscht.

In einer Rede vor den Vereinten Nationen bezeichnete der spätere Präsident Tansanias, Julius Nyerere, 1956 den Maji-Maji-Krieg als großen nationalen Befreiungskampf , der alle Völker Tansanias vereint habe. Seine Partei Tanganyika African National Union (Tanu) sei die legitime Erbin dieser Bewegung. Die Skepsis und Angst in den Dörfern Südtansanias war allerdings groß. »Wir haben die Kolonialisten nicht mit Waffengewalt vertreiben können, wie sollen wir es da mit 50 Cent (dem Tanu-Mitgliedsbeitrag) schaffen?« fragte sich ein älterer Mann damals, als das Land noch eine Kolonie Großbritanniens war.

Heute hat der Maji-Maji-Krieg in den Schulgeschichtsbüchern Tansanias seinen festen Platz. Gedichte, Theaterstücke und Comics behandeln das Thema, ein Fußballteam aus Songea trägt den Namen Maji-Maji. Zu einem Nationalmythos ist der Krieg aber nicht geworden, zumindest erinnert weder ein Feiertag daran, noch gibt es eine nationale Veranstaltung zum 100. Jahrestag. Im Süden, in den Dörfern und Familien, wird es aber kleinere Gedenkveranstaltungen geben. In Deutschland setzen sich bislang vor allem (basis-)kirchliche Kreise und die Bundeskoordination Internationalismus mit dem Krieg und seinen Folgen auseinander. Für November sind Seminare und Gedenkveranstaltungen in Berlin und Wuppertal geplant.

Felicitas Becker und Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Verlag Christoph Links, Berlin 2005, 240 Seiten, 22,90 Euro