My Home is my Killing Field

Nach den Anschlägen von London befürchten manche Briten, dass sich die Stimmung gegen die Muslime im Land richten könnte. von fabian frenzel, sheffield

Es war ein wunderbarer Tag für das jährliche Abbeyfield Festival in Burngreave, einem Stadtteil der nordenglischen Stadt Sheffield. Die Sonne schien auf die vielen Stände und Bühnen, und das Festival versprach, ein bisschen Abwechslung in den sonst eher tristen Alltag in diesem armen Bezirk zu bringen.

Doch gegen 16 Uhr begannen plötzlich Ordner, alle Menschen vom Festivalplatz zu evakuieren. Kurze Zeit später wurden die Gerüchte durch das Auftauchen der »Bombsquad« bestätigt, jener Spezialeinheit, die in jeder englischen Polizeidirektion existiert. Eine Bombendrohung war eingegangen, und obwohl kein Sprengsatz gefunden wurde, wurde das Festival durch den Vorfall vorzeitig beendet.

Falschen Alarm gab es seit den Anschlägen von London in vielen britischen Städten. Oft gehen einem Alarm Hinweise voraus, die die Nervosität vieler Menschen offenbaren. Teilweise aber, wie wahrscheinlich auch im Fall von Sheffield, handelt es sich bei den Drohungen um Provokationen von Rechtsradikalen, die sich gegen muslimische oder »multikulturelle« Veranstaltungen oder Einrichtungen richten.

Sheffield liegt in der Grafschaft Yorkshire, etwa 50 Kilometer von Leeds entfernt. Von dort stammen drei der vier Attentäter von London, junge Briten muslimischen Glaubens und pakistanischer Herkunft. Auch wenn die Ermittlungsbehörden noch nicht wissen, ob es sich bei ihnen tatsächlich um Selbstmordattentäter handelte oder ob sie möglicherweise von ihren Hintermännern getäuscht wurden, gilt als sicher, dass sie die Tat verübt haben.

Auch in Sheffield leben viele Muslime, die Stadt gilt als tolerant und liberal. »In unserer Stadt haben wir eine sehr stolze Tradition, Fremde willkommen zu heißen und ihnen das Gefühl eines neuen Zuhause zu geben«, sagt der gebürtige Sheffielder Paul Allonby. »Aber sofort nach dem Anschlag sind Plakate der British National Party und einer Gruppe, die sich ›England First‹ nennt, in einigen Vierteln aufgetaucht. Mir bereitet das ernsthafte Sorgen.«

Sheffield, Leeds und Bratford sind die größten Städte in Yorkshire. Das ehemalige englische Stahlzentrum leidet noch immer unter dem Ende der Schwerindustrie. Arbeitslosigkeit und Armut sind hier doppelt so hoch wie im Süden des Landes, und die angespannte soziale Lage trifft migrantische Gruppen überproportional.

In Bratford, das unmittelbar an Leeds grenzt, hat die explosive Mischung aus migrantischer Isolation, Ausgrenzung und sozialen Verwerfungen bereits von einigen Jahren zu rassistischen Unruhen auf den Straßen geführt. Kleinere Orte in Westyorkshire wie Halifax sind lokale Hochburgen der BNP. Und selbst muslimische Verbände beklagen den Grad der Selbstisolation vieler muslimischer Communities in der Region.

Die britische Regierung hat in ihren Planungen für den lange befürchteten ersten Schlag des neuen Terrors das Potenzial dieser Spannungen und sozialen Verwerfungen gerade im Norden Englands sehr hoch eingeschätzt. Um Racheakten an Muslimem und muslimischen Einrichtungen vorzubeugen, betonten alle verantwortlichen Politiker in den Tagen nach den Anschlägen immer wieder, dass man nicht von muslimischem Terror sprechen dürfe und die Täter den Islam falsch interpretierten.

Doch je länger die Anschläge zurückliegen, desto mehr werden sie nicht nur in die Deutungsmuster von links und rechts eingearbeitet, es ertönt obendrein auch Widerspruch zu litaneiartigen Deeskalationsversuchen der Politiker.

»Stell dir vor, es ist 1938. In Berlin haben Pogrome gegen jüdische Einrichtungen stattgefunden und alles, was die britische Regierung tut, ist immer wieder zu sagen, dass nicht alle Nazis Fanatiker seien und es sehr viele gesetzestreue und gute Staatsbürger unter ihnen gebe«, polemisiert inzwischen die Sun gegen die vermeintlich übertriebene Political Correctness der Regierung.

»Was ist mit den Rechten der Mehrheit?« fragt Simon Helfer in der Daily Mail und fordert ein »monokulturelles Land von Werten und Traditionen«, ein hartes Vorgehen gegen den »inneren Feind« und ein »Ende der Massenimmigration«.

Andere sicherheitspolitische Themen, etwa die von der Regierung geplante Einführung eines Personalausweises, hingegen sind vorläufig aus der Debatte verschwunden. Die Tatsache, dass alle Täter Briten waren, widerlegt die angebliche Bedeutung des Personalausweises bei der Bekämpfung des Terrorismus.

Die kriegskritische Linke wiederum interpretiert den Anschlag als eine Reaktion auf die Besetzung Afghanistans und Iraks. Bei einer kleinen Demonstration der »Stop the war coalition« in Sheffield verlangte die lokale Sprecherin der Organisation Respect, Maxime Bowler, einen sofortigen britischen Abzug aus dem Irak und Afghanistan. »Die Anschläge bringen das nach London, was in Bagdad täglich passiert. Diese Regierung ist verantwortlich für die Eskalation des Konfliktes.«

Am Rande der Veranstaltung steht Mohammed al-Farra, ein Palästinenser, der seit 20 Jahren in Sheffield lebt. »Ich glaube nicht, dass ein sofortiger Abzug der britischen Truppen aus dem Irak als Sieg der Terroristen interpretiert würde. Das sind die Argumente der Falken. Der Wille zum Frieden wird als Schwäche ausgelegt. In diese Falle dürfen wir nicht treten. Irak ist ein Land, das Jahrhunderte lang existiert hat. Wenn die Besatzungstruppen abziehen, werden sich die Menschen zusammenraufen, so wie die Menschen hier nach dem Anschlag zusammengekommen sind«, sagt er optimistisch.

Doch das Gefühl von Zusammenhalt, das in den ersten Tagen nach den Anschlägen die Stimmung im Land beherrschte, scheint allenfalls noch in London selbst präsent. Während in den ersten Tagen nach dem Anschlag die meisten Menschen anscheinend möglichst schnell zur Tagesordnung zurückkehren wollten, wird die Stadt durch die ständigen neuen Enthüllungen der Ermittlungsbehörden über die Zusammenhänge in Atem gehalten.

Greg Mullon, ein Australier, der sich in London niedergelassen hat, beschreibt die Atmosphäre so: »Die Leute haben eine pragmatische Attitüde, sie sagen, sie haben keine Zeit für Spekulationen darüber, wer aus welchem Grund dahinter steckt. Doch das ist Verdrängung. Es war ein Schock zu sehen, wie die gesamte Stadt nicht mehr funktionierte, wie viele Leute auf den Straßen standen, weil keine U-Bahnen mehr fuhren, und sie ins Gespräch mit Fremden vertieft waren, weil niemand seine Freunde anrufen konnte. Das hat alle hier zusammengebracht.«