Stille Diplomatie

Der Irak und die arabische Politik von jörn schulz

Muhammad Sayyid Tantawi, der Großimam der al-Azhar-Moschee in Kairo, ist nicht gerade ein Freund der gesellschaftlichen Emanzipation. Er hält es für die »heilige Pflicht« muslimischer Frauen, den Schleier zu tragen. Doch deutlicher als die meisten seiner Kollegen spricht er sich gegen den islamistischen Terrorismus aus. »Diese Kriminellen entschlossen und ausdauernd zu jagen, ist jedermanns Pflicht«, predigte er am Freitag.

Mindestens 15 Selbstmordanschläge fanden in der vergangenen Woche im Irak statt, allein bei der Explosion eines Tanklastwagens in Musayyib starben mindestens 98 Menschen. Doch nicht nur Geistliche, sondern auch viele arabische Medien finden immer wieder Rechtfertigungen für den Massenmord. Und auch einige Regierungen sehen offenbar zumindest im arabisch-nationalistischen Flügel der bewaffneten Widerstandsgruppen einen potenziellen Verhandlungspartner.

Anfang Juli wurde Ihab al-Sherif, der höchste ägyptische Diplomat im Irak, wenige Wochen vor seiner Ernennung zum Botschafter entführt und ermordet. Die von Abu Musab al-Zarqawi geführte irakische al-Qaida bekannte sich zur »Hinrichtung« des »Apostaten«. Der Mord führte zu einem diplomatischen Zerwürfnis. Der irakische Innenminister, Bayan Jabr, deutete an, Sherif habe sich durch seine Kontakte zu bewaffneten Gruppen selbst in Gefahr gebracht: »Er ist verantwortlich für das, was geschehen ist.« Dass ein hoher Diplomat allein in einem als Botschaftsfahrzeug erkennbaren Wagen nachts durch Bagdad fährt, ist zumindest recht ungewöhnlich. Hatte Sherif sich auf die Zusagen seiner Gesprächspartner aus »gemäßigten« Widerstandsgruppen verlassen und wurde getäuscht?

Die ägyptische Regierung protestierte, dementierte jedoch nicht, dass sie auch Kontakt zu bewaffneten Gruppen sucht. »Das erste Ziel der ägyptischen Diplomatie ist es, alle Elemente in der gegenwärtigen irakischen Gleichung zu kennen und mit ihnen zu kommunizieren«, erklärte Außenminister Ahmed Abul-Gheit in Al-Ahram Weekly. »Wir ziehen es vor, leise zu arbeiten.«

Wie die meisten anderen arabischen Staaten fürchtet auch Ägypten, dass eine erfolgreiche Demokratisierung des Irak einen Dominoeffekt auslösen könnte. Andererseits ist auch für Ägypten der islamistische Terror im Irak eine potenzielle Gefahr, denn die derzeit dort konzentrierten Jihadisten lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie auch die anderen Regierungen der Region stürzen wollen.

Einen Ausweg aus diesem Schlamassel scheint die ägyptische Regierung in dem Versuch zu sehen, die ba’athistischen Terrorgruppen zu integrieren. Ungeachtet aller Machtkämpfe der Vergangenheit haben die Ba’athisten und die postnasseristische ägyptische Regierung im arabischen Nationalismus eine gemeinsame ideologische Grundlage. Die Reintegration der Ba’athisten würde den Einfluss der schiitischen und kurdischen Parteien mindern. Auch das wäre im Interesse Ägyptens und anderer arabischer Staaten, die Forderungen diskriminierter Bevölkerungsgruppen wie der Kopten und der Kurden fürchten.

Die Jihadisten dagegen haben an einer solchen Lösung kein Interesse. Mit dem Mord an Sherif wollen sie die arabischen Staaten davon abhalten, ihre diplomatischen Beziehungen zum Irak zu normalisieren. Möglicherweise wollten sie aber auch Verhandlungen mit den Ba’athisten verhindern. Sollte Zarqawis Kommando Sherif tatsächlich bei einer solchen Mission abgefangen haben, würde das bedeuten, dass es über die Pläne des ägyptischen Diplomaten informiert und ihm einen Schritt voraus war.