Tortenheber tötet Werwolf

Ein Horrorfilm mit Happy End: Wes Cravens »Verflucht«. von thomas blum

Sie erinnern sich an die Elm Street, an den unansehnlichen Schlitzer, der die Vorstadtkids bevorzugt mit diversen Messern, die er an seinem Handschuh trug, zu Geschnetzeltem verarbeitete. Freddy Krueger, so hieß der vernarbte Kerl in dem grün-orangefarbenen, gestreiften Pullover, hatte sich den cleveren Trick zu eigen gemacht, sich in die Träume der Jugendlichen zu schleichen, und von da an gab’s für die Schlafenden nichts mehr zu lachen, denn alles, was in ihren Träumen geschah, war real. Und wer zu früh einschlief, war erledigt.

»Nightmare on Elm Street« (1984) hieß der Film von Wes Craven, der etliche schlechte Fortsetzungen nach sich zog. Man hat sich damals, Mitte der achtziger Jahre, nicht nur gefreut über die neue, hübsche Inszenierungsidee, den Zuschauer fortwährend im Unklaren darüber zu lassen, wann im Film die Traumebene endet und die Realitätsebene beginnt, sondern man war dankbar, dass es im Horrorfilm unverhofft etwas Neues gab: Bizarre Wendungen im Drehbuch, und als Dreingabe und kleine Schmankerl mit großem Schauwert gab’s hie und da eine mit liebevoller Hand hergestellte Splattersequenz.

Auch in seiner »Scream«-Trilogie (1996 bis 2000) hat sich der Regisseur Wes Craven althergebrachter Muster (Teenager und ihre Nöte, Schule, Eltern, die suburbs und ihre gutbürgerliche Fassade, Sexualität) bedient und sie mit einer neuen Idee, mit Persiflage und ironischem Zitat, angereichert. Zur permanenten Verunsicherung und Verwirrung des Zuschauers kam hier die unablässige Selbstironisierung, wodurch das Spiel mit dem Rezipienten an Nuancen gewann. Den Genreliebhaber und -kenner belohnten und belustigten der Regisseur und der Drehbuchautor (Kevin Williamson) damit, dass quasi gleichzeitig zu der im Vordergrund ablaufenden Handlung auf einer zweiten Filmebene eine postmoderne Ironie- und Zitatmaschine betrieben wurde, die unzählige Anspielungen produzierte und die dem Betrachter zuweilen den weit größeren Genuss bereitete als die vergleichsweise simple Story, die zumeist nur darin bestand, dass ein Häuflein austauschbarer und gesichtsloser Teenager, die allesamt wirkten, als seien sie einem Reklameprospekt für Freizeitkleidung entnommen, sich eines irren Killers zu erwehren hatte.

In der Folge wurde dieses filmische Muster wegen des großen kommerziellen Erfolges von Kevin Williamson in einer Weise ausgeschlachtet, dass man es schnell sehr satt hatte (z.B. in den 1997 bzw. 1998 gedrehten Filmen »I know what you did last summer«, »I still know what you did last summer« und »The Faculty«).

Und tatsächlich beginnt auch Wes Cravens neuer Film »Verflucht«, der den Werwolfmythos ausschlachtet und für dessen Drehbuch abermals Kevin Williamson verantwortlich ist, so, wie man sich das vorgestellt hat, mit kulturellen Referenzen: mit Wahrsagerei, einer nächtlichen Straße, einem Autounfall und einem mysteriösen, riesenhaften Vieh, das in der Dunkelheit auf Beute lauert.

Als der Werwolf, als welcher das Vieh sich später herausstellt, gewütet hat, wirft er seine Speisereste, bei denen es sich um einen zerfleischten, menschlichen Torso handelt, in hohem Bogen – zack! – direkt vor die Augen des Zuschauers.

Zunächst muss man die nicht allzu geistreiche Geschichte über sich ergehen lassen: Das Geschwisterpaar Ellie und Jimmy, die den Autounfall hatten, sind von einem Werwolf verletzt worden und mutieren nun allmählich selbst zu derartigen Monstren.

Jimmy verspeist unmittelbar nach dem morgendlichen Aufstehen mit Heißhunger größere Mengen Schinken, die er großzügig mit dem Salzstreuer würzt. Und Ellie fragt eines Morgens im Büro: »What is smelling so good in here?« Woraufhin sie schnuppernd einen Weg durch mehrere Arbeitszimmer zurücklegt, bis sie schließlich den so verführerischen Geruch lokalisiert hat. Es handelt sich um eine aus der Nase blutende Kollegin.

Wie seit je kulturhistorisch bei der Mutation zum Werwolf üblich, entdeckt das Geschwisterpaar eine ungeahnte Virilität in sich: Animalische Instinkte werden wach, die Sinne werden sensibilisiert, die Körperkräfte wachsen.

Die Überraschungsmomente, verspielten Wendungen und geschickt platzierten Schocks jedoch, die man von dem Duo Craven/Williamson erwartet hat, bleiben beinahe zur Gänze aus. Stattdessen wird, versetzt mit den allzu bekannten Special Effects und Computeranimationen, eine vorhersehbare, hochkonventionelle und uninspirierte Nummernrevue abgespult, deren Ingredienzen man zu Genüge aus zahlreichen Teenie-Horrorfilmen der letzten zehn Jahre kennt und in deren Verlauf die klassischen Schauplätze aufeinander folgen: der nächtliche Highway, der Wald und das dunkle Gestrüpp, der Fahrstuhl, die Tiefgarage, das Spiegelkabinett usw.

Sollen das jetzt Genre-Zitate sein, oder hat man es nur mit dem zwanzigsten Aufguss eines typischen Drehbuchs von Kevin Williamson zu tun?

Die nur äußerst sparsam eingestreuten komischen Dialoge entschädigen einen nicht für die sich träge hinschleppende, gänzlich belanglose Geschichte, die nur das Gerüst bildet für diese Art von Horror-Konfektionsware.

»Is she dead?« fragt Ellie, nachdem eine Armee von Cops ihre besonders verabscheuungswürdige Arbeitskollegin, die zur Werwölfin mutiert ist, mit Gewehrkugeln zersiebt hat. »Brain’s on the floor. That should do it«, antwortet ihr Bruder.

Am Schluss steht erwartbar der böse Urwerwolf, der den ganzen Reigen einst ausgelöst hat, im finalen Kampf gegen das all-american Geschwisterpaar Ellie und Jimmy, unsere beiden süßen, jungen Sympathieträger. Das ist öde, das zieht sich hin, und die einzige Hoffnung, die dem Betrachter noch bleibt, ist die, dass es mit den zwei unerträglich sympathischen, eigenschaftslosen Langweilern, dem Streber und der Karrierefrau, böse endet.

Doch nichts da. Mit dem Werwolf, auch er enttäuschenderweise in seinem Dasein als Mensch im Grunde kein Bösewicht, sondern ein ebenso angepasster und fader Zeitgenosse wie seine Gegenspieler, wird unnachgiebig Schluss gemacht, was eine unappetitliche Angelegenheit ist. Es reicht nicht, ihm einen silbernen Tortenheber ins Herz zu rammen, was nur eine halbe Sache wäre, man muss ihm auch mit einem Spaten den Kopf abtrennen. Werwolf tot, Klappe zu.

So herrscht am Ende eitel Sonnenschein, und das Traumpärchen findet sich und alle sind Freunde. Alles wird gut. Küsschen hier, Küsschen da. Abspann.

Die Enttäuschung könnte größer nicht sein, haben die Filmemacher doch eins der wichtigsten Gesetze in der Tradition des Genres missachtet: Das Böse ist nicht aus der Welt zu schaffen. In den Klassikern gewinnt es. Man suche also die Hinterzimmer der einschlägigen Videotheken auf, wo die besseren Werke des Genres meist verschwinden. Dort wird man fündig, wenn man nach dem echten Stoff sucht.

Verflucht. Regie: Wes Craven. Drehbuch: Kevin Williamson. Start: 21. Juli