Die Opfer des Grips-Theaters

Die Abrechnung mit den 68ern gerät allzu leicht zur Verteidigung konservativer Werte. Die Autorin Sophie Dannenberg gibt dafür ein krasses Beispiel. von jörg sundermeier

Wehe uns, wir sind verloren! Die Läden sind geschlossen, die Städte verödet, die Kassen geplündert. Und wer trägt die Schuld? Die 68er. Die Autorin Sophie Dannenberg, die eigentlich Annegret Kunkel heißt, hat herausgefunden, dass die 68er schlimm waren und sind. Damit gilt sie bereits als Expertin für die so genannte Generation der 68er.

Vor ein paar Wochen behauptete sie im Deutschlandradio: »Überall grinst es, von allen Plakaten, aus allen Talkshows, aus allen Parteien, und dahinter ist immer nichts. Weder Schröder noch Merkel, weder Fischer noch Lafontaine, nichts. Nur Grinsen. So, als wäre nichts geschehen in diesem Land. Dabei ist nichts zu sehen hinter dem Grinsen, nichts mehr zu gewinnen, verloren haben wir alle schon längst – an Bildung, an Reichtum, an Kindern, an Zukunft.«

Doch es kommt noch schlimmer. »Dieses Grinsen ist zur Metapher einer ganzen Epoche geworden. Sie begann 1968 und dauert an, bis heute. Go-in, Sit-in, Hausbesetzung, Stadtteilfeste, Soli-Konzerte, eine immerwährende Riesenfete. Erst mit Klobürsten gewedelt und mit Puddingpulver geschmissen, dann Nonsens-Flugblätter verteilt und die Polizei verprügelt, dann Menschen entführt und gelegentlich auch ermordet. Kürzlich bei Beckmann sagte Alt-Kanzler Schmidt wörtlich: ›Es waren die 68er Studenten, die die Gewalt zurück auf die Straße gebracht haben. Das letzte Mal, dass wir auf deutschen Straßen Gewalttat hatten, das war unter den Nazis. Das war, als die Bücher verbrannt wurden, als die Juden vergast wurden.‹ Im Unterschied zu den Nazis fanden die 68er ihre Gewalttaten allerdings wahnsinnig witzig. Eigentlich ist also nicht Schröder der Erfinder des immerwährenden Grinsens, sondern Dieter Kunzelmann, der erste und lauteste Verkünder der fröhlichen Gewalt. Sein Grinsen sollte die Vergangenheit nicht abwehren, sondern legitimieren. Wer über den Mord an Schleyer lacht, ist kein Mörder, sondern ein Event-Manager. Als Andreas Baader durch den Sand im Terrorcamp robbte, trug er hautenge Samthosen. Terror als Lifestyle, Mord als Performance, Politik als Gaudi. Eigentlich war 68 nichts anderes als ein Werbespot. Blutig zwar, aber lustig, blöd, aber sexy. Jede Demo, jeder Dutschke wies den Weg in eine fröhliche, lachhafte, unwiderstehlich sinnlose Zukunft.«

Für diesen Unfug wird Dannenberg geliebt. Als im Herbst 2004 ihr Roman »Das bleiche Herz der Revolution« erschien, bemängelten die meisten Kritiker zwar den schlechten Stil. Alle jedoch sahen in der Autorin, die sich hinter dem Pseudonym Dannenberg verbarg, ein Kind eines prominenten 68ers oder gar einen 68er selbst, der nun abrechnen wolle mit seiner Generation. Diese vermeintliche Authentizität bescherte dem Roman einen Verkaufserfolg.

Er arbeitet mit Überspitzungen und Verkehrungen. Die Figur des Professors Wisent, in der Adorno wieder erkannt werden soll, hält Vorlesungen über die »Ästhetik der Verzweifelung«. Darin sagt er: »Es ist das Schweigen, in dem sich das Sprechen selbst vollendet, das uns vorbereitet, das uns reinigt. Wie sonst sollten wir das Heilige zum Sprechen bringen, wenn nicht im Schweigen. Nicht Brecht, der Schreihals, nein Beckett, der Schweiger, weist den Weg zum Verstehen. Nicht die Versöhnung versöhnt, nicht die Antwort ist die Antwort, sondern das Warten.« Nebenbei wirft dieser Wisent auch noch KZ und sowjetische Arbeitslager durcheinander, die er Gulags nennt, obschon dieser Begriff 1968 nicht gebräuchlich war. Die von Dannenberg stets nur als dumm gezeichneten SDSler reagieren auf ihre Weise und verbrennen den Professor öffentlich. Das allerdings wird nicht geahndet, nur derjenige, der den Mord anprangert, wird gemaßregelt.

Das ist so blöd wie das restliche Buch: Jeder Aufrechte scheitert, alle Frauen sind stinkdumm und der Nazi-Opa hat auf seiner Flucht vor den Rotarmisten gelernt, wie das Leben wirklich ist. Klar, dass sich dessen Freund, ein ehemaliger US-Soldat, beim Nazi-Opa für die Befreiung entschuldigt. Der Roman gefällt sich in der Grellheit. Selbst da, wo Zwanghaftigkeiten der antiautoritären Erziehung angeprangert werden, übertreibt die Autorin so maßlos, dass man sie eigentlich nicht ernst nehmen kann.

Da ihr Buch jedoch ernst genommen wird und seiner Autorin zudem noch Artikel und Sendeplätze en masse verschafft hat, kann man das Ganze nicht abtun. Und Dannenberg macht munter weiter. Nicht nur, dass sie das Berliner Grips-Theater angreift oder kochende Väter vorführt, nein, es geht um das Ganze. Und das Ganze ist vor allem die Familie als Keimzelle des Glücks. So habe die seit 68 vollzogene »ideologische Zerstörung der Familie« nichts als Unglück gebracht. »Wir haben die Patchwork-Familien, wir haben Kinder mit wechselnden Elternschaften, wir haben Schlüsselkinder, wir haben Eltern, die sich nicht mehr als Leitfiguren präsentieren, sondern nur noch als Kumpels – Eltern also, die selbst infantil geworden sind.«

Das soll, das muss geändert werden. Bildung, Reichtum, Kinder und Zukunft sind ja bereits verloren. Um sie zurückzugewinnen, müssten Fehler der 68er korrigiert werden. Denn »die haben ideologisch legitimiert, was der Kapitalismus gefordert hat, nämlich die Frau aus der Familie rauszunehmen und dem Verwertungsprozess verfügbar zu machen«. Dannenberg glaubt, Emanzipation habe bedeutet, dass eine Frau als Mutter »es vereinbaren muss, zu arbeiten und sich gleichzeitig um ihr Kind zu kümmern«. Das führe unweigerlich zu Kinderelend, zu »Verletzungen des Menschen«, zu »neuerlichen Ungerechtigkeiten«.

Elende Kinder waren selbstverständlich auch die 68er, sie wurden Mordbuben und Dauergrinser. Und auch sie sind Opfer der »vaterlosen Gesellschaft«, nämlich »Kriegskinder, die selbst in kaputten Familien groß geworden sind, mit einer überforderten Mutter und einem Vater, der im Krieg gefallen war, der jedenfalls nicht anwesend war oder als gebrochener Mensch zurückkam«. Diese Opfer müssten zu sich selbst finden, sich als Opfer ihrer Familiensituation und ihrer ideologischen Verblendung begreifen. Dann werde der Versuch der »verwundeten Kinder«, »es besser zu machen«, gelingen.

Das, was Dannenberg fordert, Umkehr und Reue, ist deckungsgleich mit dem, was zur Zeit von FAZ bis taz, von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb gefordert wird: Stärkung der Familie, Frauen in die Küche, Frieden mit den Urgroßeltern, Versöhnung mit der Geschichte, Wiedererstarken der Religion, das Erkennen des Kommunismus als Faschismus. Und vor allem, denken wir an Wisents Rede, sollen wir alle mal schön die Fresse halten.

Die ideologische Mobilisierung erfolgt stets im Feuilleton. Dannenberg hat das erkannt und spielt ihre Rolle gut. In den Feuilletons wird nicht über den Gegenstand der Debatte diskutiert, es sind nur verschiedene Grade der Zustimmung erlaubt. Dannenberg ist laut und derb. So bereitet sie den Weg, auf dem ihre Kritiker das Getöse dann nur noch einordnen und abwägen. Erst so kommt heraus, was herauskommen soll.