Präventive Gegenrevolution

Die Linkspartei hält sozialreformerische Illusionen aufrecht und kanalisiert soziale Konflikte, ehe sie entstehen. Von ein paar Linksradikalen wird sie sich nichts diktieren lassen. von felix baum

Was sich derzeit als Linkspartei zusammenbraut, lässt sich mit Johannes Agnoli als »präventive Konterrevolution« bezeichnen. Mit diesem Begriff bezeichnete er in den siebziger Jahren die Notwendigkeit, drohende soziale Konflikte vorbeugend in die geordneten Bahnen staatlicher Vermittlung zu lenken. Dass in der Folge der Wahlkampf ein wenig nach Klassenkampf anmutet, ist daher kein Unfall, sondern unerlässlich.

Entsprechend erweisen sich die Vertreter der politischen Klasse mit ihrem aufgeregten Geifern gegen die Linkspartei als miserable Staatsmänner und -frauen, hätten sie doch allen Grund, erleichtert zu sein, dass der Dissens, den sie mit ihrer rabiaten Politik gegen die unteren Klassen erzeugen, bereits vor einem unkontrollierten Ausbruch sein parlamentarisches Ventil erhält. Andererseits gehört dieses Geifern natürlich zum Spektakel und verstärkt die Illusion, mit dem Kreuz für die Linkspartei könne man es der Herrschaft mal so richtig zeigen.

Die so genannten radikalen Linken, die hierbei mitmischen wollen, ziehen der Staatskritik das Taktieren des Sozialdemokraten Lenin vor. Dieser hielt die Massen grundsätzlich für blöd, bot sich aber selbstlos als ihr Erzieher an. Über den Antiparlamentarismus der Linksradikalen sagte er, nicht die Einsicht der Marxisten in die Funktion des Parlaments sei entscheidend, sondern das falsche Massenbewusstsein von ihm. Daraus folge, »dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen«. Bekanntlich wurden stattdessen die Erzieher von den parlamentarischen Verhältnissen erzogen, und bald hatten sich die Kommunistischen Parteien zu sozialdemokratischen Vereinen gemausert, auf welche die Herrschaft in brenzligen Momenten zählen konnte.

Gemäß den trüben Zeiten findet der linke Eiertanz ums Wählen heute auf einem noch jämmerlicheren Niveau statt. So erklingt ein schwaches Echo des Taktierens Lenins aus einem »offenen Brief an die Linkspartei«, der einige so genannte radikale Linke auf diesem Wege fortschrittliche Forderungen nahe bringen wollen. Die proletarischen Massen sind zur »medialen Öffentlichkeit« verkümmert, die revolutionäre Partei zur »linken Politik«, der Sozialismus zum Sozialstaat. Doch Mitmachen ist immer noch Pflicht, wenn schon nicht auf der Parlamentstribüne, so wenigstens im Wahlkampf – ganz so, als ob nicht nur Bewegungen, wenn sie nicht mehr weiter wissen, institutionelle Repräsentation hervorbringen, sondern auch umgekehrt eine linke Bundestagsfraktion Bewegung an der Basis auslösen oder wenigstens stärken könne.

Das Verhältnis zu denen, die es noch nicht in die »Linke« geschafft haben, wird instrumentell gedacht: Man will sie durch Resolutionen und Fernsehberichte gewinnen. Obwohl die vermeintlichen Radikalen erklärtermaßen selbst nicht glauben, dass Wahlen etwas ändern könnten, hängen sie sich an die Linkspartei, um in ihrem Gefolge ins Rampenlicht des Spektakels zu gelangen. Diese wird sich ihre Agenda nicht von ein paar hundert Aktvisten diktieren lassen, während jene darauf verzichten, die Illusionen des Sozialreformismus anzugreifen.

Dabei dürfte es sich weniger um taktisches Stillhalten als um Unfähigkeit handeln. Die Warnung vor einem Bündnis zwischen Partei und Bewegungen erübrigt sich daher nicht nur, weil es derzeit keine Bewegung gibt, sondern auch, weil die Unterzeichner des »offenen Briefs«, die sich ziemlich unbescheiden als »soziale Bewegungen« ausgeben, mit Forderungen wie nach einem »angemessenen Grundeinkommen« dem Etatismus eines Oskar Lafontaine in nichts nachstehen. Nur dass dieser ihn konsequenterweise sozialpatriotisch bis rassistisch versteht, während der »offene Brief« das Bekenntnis zum Staat mit dem Antirassismus vereinbaren will.

So bleibt nur die Hoffnung, der präventiven Konterrevolution möge bald eine Bewährungsprobe ins Haus stehen. Ein Ende von Massenentlassungen, Arbeitsverdichtung und Sparrunden ist nicht in Sicht und die Möglichkeit nicht auszuschließen, die davon Betroffenen könnten auf den Gedanken kommen, dass für sie anderes besser sein könnte als ihre vermeintliche Repräsentanz im Bundestag. Die so genannten radikalen Linken werden dann Gelegenheit haben zu zeigen, dass sie in weniger trüben Zeiten zu mehr in der Lage sind, als konfuse Post zu verschicken.