Tanz den Tudjman!

In Kroatien wird die Vertreibung der serbischen Minderheit vor zehn Jahren gefeiert. Heute ist sie ein Hindernis auf dem Weg in die EU. von boris kanzleiter, belgrad

Es war eine eigentümliche Szenerie am vergangenen Freitag. Bei windigem, regnerischem Wetter fanden sich die führenden kroatischen Politiker und Militärs in der Provinzstadt Knin zu einer pompösen Militärparade ein. Mit Vorführungen von Fallschirmspringern, Volkstänzen und Konzerten für tausende Besucher wurde der »Tag des Sieges und des Dankes an das Vaterland« gefeiert.

Der nationale Feiertag erinnert an die Militäroffensive »Operation Oluja« (»Sturm«), mit der die Armee vor zehn Jahren die von kroatischen Serben besiedelte Region Krajina eroberte.

Ohne Zweifel war die »Operation Oluja« ein Wendepunkt des Kriegsgeschehens auf dem Balkan. In der sorgfältig vorbereiteten Großoffensive gelang es den kroatischen Verbänden, innerhalb von wenigen Tage die Krajina im Sturmangriff zu erobern. Dort hatte die mehrheitlich serbische Bevölkerung nach der Proklamation eines unabhängigen kroatischen Staats im Jahr 1991 ihrerseits einen eigenständigen Staat ausgerufen: die Republik Serbische Krajina.

Doch bei der kroatischen Offensive gaben sich die bewaffneten serbischen Verbände fast kampflos geschlagen, die befürchtete Intervention Belgrads blieb aus, so dass der Staatsgründer und Präsident Franjo Tudjman bereits am 5. August 1995, einen Tag nach Beginn der Angriffe, die kroatische Fahne in Knin, der Hauptstadt der Krajina, hissen konnte. Die »Operation Oluja« wird in Kroatien seither als »glänzende« militärische Leistung gefeiert, mit der die »serbische Aggression« auf dem kroatischen Staatsgebiet endgültig beendet wurde, wie Präsident Stipe Mesic am Freitag in Knin einmal mehr betonte.

Ungern hingegen hört man in dem Land zwischen Adria und Donau, dass die »Operation Oluja« auch die größte »ethnische Säuberung« in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg war, wie sich der serbische Außenminister, Vuk Draskovic, mit einiger Berechtigung empört. Serbische Interessenverbände sprechen sogar von einem »Genozid«.

Den Zahlen des kroatischen Helsinki-Komitees zufolge wurden über 22 000 Häuser von kroatischen Truppen in Brand gesetzt. Hals über Kopf mussten über 200 000 serbische Zivilisten ins nahe Bosnien fliehen; die meisten zogen von dort weiter nach Serbien. Eine unbekannte Zahl von Zivilisten – die Schätzungen liegen zwischen einigen Hundert und 3 000 – wurde während oder nach dem Angriff ermordet. Dabei handelte es sich oft um ältere Menschen. Nur wenige der Flüchtlinge konnten wieder zurückkehren.

Von irgendwelchen serbischen Vorwürfen allein würden sich in Kroatien nur die Wenigsten vom herzlichen Feiern abhalten lassen. In Zagreb freut man sich noch immer über alles, was Belgrad schadet. Ein Problem bereitet den Kroaten aber, dass auch das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Siegerlaune stört.

Bereits im Jahr 2001 wurden der General Ante Gotovina als einer der Befehlshaber der Operation sowie eine Reihe weiterer Militärs wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Gotovina tauchte danach unter. Inzwischen ist er zu einem echten Hindernis für die kroatischen Bemühungen um einen Beitritt zur EU geworden. Insbesondere auf britischen Druck hin wurde im Frühjahr beschlossen, einen Beitritt Kroatiens so lange aufzuschieben, bis Gotovina wieder auftaucht.

Das ist längst nicht alles: Im Mai erweiterte Den Haag die »Oluja«-Anklage und spricht nunmehr von einem »gemeinsamen kriminellen Unternehmen«, an dem neben vielen anderen hochrangigen Staats- und Regierungsfunktionären auch der verstorbene Tudjman teilgenommen habe. Das ist vielen Kroaten zu viel. Mittlerweile ist die Zustimmung für einen EU-Beitritt unter die 50-Prozent-Marke gesunken.