Wer ist eigentlich Paul?

Das Internetportal Labournet und die Kampagne Agenturschluss sind ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. von tom beerwald

Anfang Juli erhielten Mitarbeiter der gewerkschaftslinken Internetplattform Labournet überraschenden Besuch. Während die Chefredakteurin Mag Wompel gerade ihren Jahresurlaub auf der Ferieninsel Naxos beginnen wollte, ließ die Polizei durch einen Schlosser ihre Wohnungstür öffnen. Auch beim Vorstandsvorsitzenden des Trägervereins von Labournet Germany, dem ehemaligen Bochumer Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, und bei Redaktionsmitglied Ralf Pandorf fanden zeitgleich Hausdurchsuchungen statt. Die Polizei beschlagnahmte sämtliche Computer, Laptops, Server und Ersatzgeräte und legte dadurch den Betrieb des Internetportals kurzfristig lahm. Mitgenommen wurden zahlreiche CD-Rom, Disketten und Teile des archivierten Schriftverkehrs mit Labournet. Begründet war der vom Bochumer Amtsrichter Frank Gerkau erlassene Durchsuchungsbeschluss mit dem Verdacht der Urkundenfälschung.

Der Anlass für das Vorgehen der Ermittlungsbehörden liegt bereits sieben Monate zurück: eine Aktion, die auf die sich ständig verschlechternde Situation von Billigarbeitskräften aufmerksam machen wollte. Mitte Dezember 2004 tauchten in verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen, u.a. auch in Bochum, gefälschte Anschreiben mit dem Briefkopf der Bundesagentur auf. In diesen wurde Privatpersonen die Möglichkeit angeboten, Bezieher von Arbeitslosengeld II auf Ein-Euro-Basis im Haushalt zu beschäftigen. Als mögliche Aufgaben wurden Kinderbetreuung, Straßenkehren, Räumdienst oder kleinere Reparaturarbeiten angeführt. Eingehende Anträge würden möglichst schnell und unbürokratisch bearbeitet. Offenbar nicht wenige Empfänger hielten das Schreiben für echt und kontaktierten die lokalen Agenturen, um sich dort die billigen Arbeitskräfte vermitteln zu lassen. Daraufhin stellten die Agenturen umgehend Strafanzeige gegen die unbekannten Verfasser der Schreiben.

In einer auf Indymedia veröffentlichten Erklärung übernahm ein »Kommando Paul Lafargue« die Verantwortung für die Postwurfsendungen. Das Schreiben endete mit einem Aufruf, sich an der Kampagne »Agenturschluss« zu beteiligen, mit der am 3. Januar 2005 bundesweit die Arbeitsagenturen lahm gelegt werden sollten. Als Link zu näheren Informationen über Agenturschluss wurde dann auf die Webseite von Labournet verwiesen.

Diesen Link wertet die Staatsanwaltschaft in Bochum als Hinweis auf die Autoren des Schreibens. Die Labournet-Aktivisten halten die ganze Aktion, ihre Begründung und Durchführung für fadenscheinig. »Wäre unter dem Bekennerschreiben ein Hinweis auf eine Webseite des WDR aufgetaucht, hätte das bestimmt keinen Durchsuchungsbeschluss zur Folge gehabt«, beklagt sich Mag Wompel gegenüber Jungle World über die »völlig unverhältnismäßige und überzogene Aktion«.

Die Staatsanwaltschaft hat zwar die beschlagnahmten Rechner und Aktenordner wieder herausgegeben, doch alle CD-Rom und Disketten hat sie vorerst behalten. In der Beschlagnahme dieser Unterlagen sieht Labournet einen »schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit«. Der Informanten zugesicherte Schutz sei durch dieses Vorgehen aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft hat die komplette persönliche Korrespondenz mit Labournet im Zeitraum von November 2004 bis Januar 2005 einbehalten. Besonderes Interesse zeigt sie auch an allen Ordnern zur Aktion Agenturschluss und an den Dateien zur »Schwarzen Schafe«- Liste, in der Labournet Informationen über Einsatzstellen von Ein-Euro-Jobbern sammelt und veröffentlicht.

Da Labournet eine wichtige Rolle als Koordinierungsplattform für die Agenturschluss-Proteste gespielt hat, haben die Ermittlungsbehörden einen umfassenden Einblick in die internen Kommunikationsstrukturen der Kampagne bekommen. Aktivisten befürchten eine Kriminalisierung von Teilen der Hartz IV-Protestbewegung. Mit der offensiven Ankündigung, zur Einführung von Hartz IV bundesweit Arbeitsagenturen zu besetzen, hatte die Kampagne bei der Bundesagentur für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Obwohl die spontane Solidarisierung der Betroffenen weitgehend ausblieb und es an kaum einem der über 80 Aktionsorte wirklich gelungen ist, den Betrieb für längere Zeit zu unterbrechen, mussten die Behörden sich doch hinter einem beachtlichen Aufgebot von Polizeikräften und privaten Sicherheitsdiensten verschanzen.

Alle Versuche von Labournet, auf juristischem Weg gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme vorzugehen, blieben bisher erfolglos. Eine Beschwerde des Vereinsvorstands Wolfgang Schaumberg wurde vom Landgericht Bochum abgewiesen. Die im »Bekennerschreiben« genannte Internetadresse begründet für die Richter einen hinreichenden Tatverdacht, dass das gefälschte Schreiben im Namen von Labournet erstellt und verteilt wurde. Angesichts der Schwere der Straftat – Urkundenfälschung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet – sei auch ein Eingriff in den besonders geschützten Pressebetrieb gerechtfertigt.

Auch die Beschlagnahme der einbehaltenen Gegenstände wurde in der letzten Woche durch eine Entscheidung des zuständigen Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Bochum bestätigt. Die sichergestellten Unterlagen seien »als mögliche Beweismittel zur Überprüfung der Urheberschaft des Schreibens« geeignet.

Dass die Ermittlungsbehörden mit ihrer Aktion ein wichtiges Medium der Gewerkschaftslinken in der Bundesrepublik angreifen, ist ungewöhnlich. In den letzten Jahren hat sich Labournet Germany zu einem zentralen Vernetzungsorgan von linken Gewerkschaftern, unabhängigen Erwerbsloseninitiativen und sozialen Aktivisten entwickelt. Wichtige Auseinandersetzungen wie der Streik bei Opel in Bochum, die Kampagne zu Agenturschluss und die Aktivitäten gegen die Einführung von Ein-Euro-Jobs wurden aktiv von Labournet vorangetrieben. Mit Tagungen wie der Dortmunder Konferenz »Die Kosten rebellieren« zu Migration und Prekarisierung mischt Labournet auch in den aktuellen inhaltlichen Debatten der Linken mit.

Die politische Bedeutung von Labournet zeigt sich nicht zuletzt an den zahlreichen Solidaritätsbekundungen. Zu den etwa 150 auf der Labournet-Seite dokumentierten Solidaritätsadressen zählen auch der Bundesvorstand der Deutschen Journalisten Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, etliche Betriebsratsvorsitzende großer Unternehmen sowie zahlreiche internationale Unterstützer. »Hiermit protestiere ich entschieden gegen die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen der Staatsanwaltwaltschaft Bochum gegen Labournet Germany bzw. dessen RedakteurInnen. Für mich stellt sich die ganze Aktion als Teil einer Kampagne dar, mit der systemkritische Stimmen in der Bundesrepublik zum Verstummen gebracht werden sollen. Staatsorgane, die das Wirken sozialer Netzwerke auf solche Art und Weise stören oder zu verhindern suchen, erweisen der Demokratie, die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt braucht, einen Bärendienst. Ich erwarte deshalb, dass die beschlagnahmten Gegenstände umgehend zurückgegeben und die betroffenen Personen rehabilitiert werden«, schreibt zum Beispiel der Politikwissenschaftler und Professor an der Uni Köln Christoph Butterwegge.

Für Labournet bedeutet die ganze Aktion nicht nur eine ungeheure Verschwendung an Zeit und Energie, sondern auch einen erheblichen finanziellen Aufwand. Neben den immensen Anwalts- und Telefonkosten – die Soliarbeit musste zum Teil aus Brasilien und Griechenland koordiniert werden – schlägt auch die Neuanschaffung und Neubestückung der Computer zu Buche. Zusätzlich zu den zahllosen auf Labournet veröffentlichten Solidaritätsadressen ist also auch eine finanzielle Unterstützung gefragt. Bereits jetzt hat der Verein zahlreiche Spender und viele neue Fördermitglieder gewonnen.

Info unter www.labournet.de