Wie die Hamburger Schule nach Beirut kam

alfred hackensberger hört im Libanon die neue alte »Huah«-CD

Mein Umzug steht kurz bevor – von Beirut geht es nach Tanger. Meine Anlage schippert bereits auf einem Frachter Richtung Marokko, als eine CD, die L’Age D’Or noch an die Beiruter Adresse geschickt hat, in meinem Briefkasten liegt. »Huah! – Was machen Huah jetzt?« Es handelt sich um das Re-Release des ersten Albums der Hamburger Band, das in der Reihe »Lado Classic« wieder aufgelegt wurde. Wie einen kleinen Schatz trage ich die CD mit den lustigen Enten auf dem Cover zu Maher, der einen kleinen CD-Laden in Beirut nicht weit von meiner Wohnung betreibt. Wie die meisten Plattenhändler verkauft auch Maher hauptsächlich Kopien. Vier Dollar das Stück.

Im Virgin Store höre ich einmal im Monat die Neuerscheinungen ab, mache dann eine Wunschliste und trage sie zu Maher, der mir dann die preisgünstigere Variante organisiert. Heute brauche ich lediglich Mahers Musikanlage, um die neue alte Huah hören zu können.

Aber plötzlich, je näher ich dem Laden komme, desto unsicherer werde ich. Was, wenn die Musik vergangener Tage, aus den ersten Jahren der so genannten Hamburger Schule, an die man sich noch gerne erinnert, heute nun völlig Scheiße klingt? Passiert ja öfter, man legt eine Uralt-Platte auf und denkt, oh wie peinlich! Vielleicht sagt Maher: »So ein Mist!« Und »Schon gar nicht in meinem Geschäft!« Schließlich ist er ja auch ein DJ. Aber so oder so müssen wir da durch, Maher und ich.

An die Songs konnte ich mich nicht mehr so recht erinnern. Ja, »Scheiß Kapitalismus«, die zweite und letzte Platte von Huah, nach der sich die Band um Knarf Rellöm mit Sonny Motor, Nixe, Bernadette Hengst und Claudia Bollig trennte, ist mir noch ein Begriff. Aber »Was machen Huha jetzt?«

Das Intro scheint plausibel, gibt sofort alle Sicherheit zurück: »Wem die Platte nicht gefällt, dem gefällt sie eben nicht«, höre ich Knarf Rellöm mit jungenhafter Stimme sagen. Dann geht es weiter mit einem Surf-Instrumentalstück, Maher wippt bereits mit dem Fuß im Takt. Beim nächsten, »Ich möchte ein Mädchen kennenlernen«, dreht er die Lautstärke nach oben. Vielleicht liegt es am Wiedererkennungswert, der Song erinnert an die B-52’s. Nach einer Weile bleiben zwei Kunden vor den Lautsprechern stehen und hören aufmerksam zu. Besonders die schnelleren Stücke scheinen zu gefallen. »Deutsch?« fragt einer. Schon fürchte ich, mal wieder auf die unsäglichen Rammstein, diese miese Coverband des Achtziger-Jahre-Industrial angesprochen zu werden, die einen im Ausland ständig verfolgen. Aber nichts dergleichen. Stattdessen: »Gar nicht so schlecht. Da ist ja von allem was dabei. Punk, Rock’n’Roll, Surf und ein bisschen Soul.« – »Ja«, sage ich – und denke, er versteht die Texte ja nicht. Aber was macht das in Beirut schon? Hauptsache der Sound stimmt, nach mehr wird hier nicht gefragt. Jedenfalls bei Musik aus dem Westen. »Was machen Huah jetzt?« integriert sich problemlos in das Popuniversum, das in Mahers Laden in CD-Form versammelt ist.

Huahs Pop-Eklektizismus ist heute immer noch überzeugend. Link Wray, Spotniks, Shangri Las, Jason and the Torchers, Huesker Due und immer wieder die B-52’s nennt Knarf Rellöm als Anleihen im Booklet. Song für Song erzählt er darin Entstehungsgeschichte und nette Anekdoten.

Die CD ist eines dieser Debüt-Werke, wo vieles ausprobiert wird, der endgültige Sound aber noch nicht gefunden ist. Musikalisch gibt es nur wenige Songs, die qualitativ abfallen, irgendwie schief sind, zu manieriert. Bei den Texten passiert das auch hin und wieder, oder ich verstehe einfach den Humor nicht: »Warum ich und mein Mädchen so gern katholisch wären«. Der rückwärts geschriebene Frank Möller hat da bekanntlich bis heute seine ganz persönliche Note und Stil. Bei »Was machen Huah jetzt?« ergibt sich manchmal eine sehr seltsame Mischung aus Komik und Politik.

Ein Song ist Mao Tse Tung gewidmet, was Knarf Rellöm in seinem Booklet ganz unkommentiert lässt – eine politische Verwirrung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Aber das ist heute wohl eine Geschmacksfrage, wie T-Shirts mit Hammer und Sichel der Sowjetunion oder mit DDR-Emblem. Aber soviel Ernst wird der Platte nicht gerecht, die insgesamt ein wunderbares anarchisches Statement ist, mit vielen Widersprüchen und Ungereimtheiten, wie man es sich nur wünschen kann, was den Charme der 15 Jahre alten Platte ausmacht.

Richtig peinlich wird es nur ein einziges Mal, beim letzten Song der CD, den Knarf Rellöm dagegen für einen »würdigen Abschluss« hält. »Mein Platz« wurde von Bernadette Hengst geschrieben und bietet Lyrics auf dem Niveau von Frauenromanen aus den fünfziger Jahren: »Er ist mein größter Schatz, an seiner Seite ist mein Platz.« Das kennt man gut von ihrer Band »Die Braut haut ins Auge« und von ihrer letzten Soloplatte. Bernadette La Hengst bräuchte dringend jemanden, der gute Texte schreibt. Singen kann sie ja.

Aus »Was machen Huah jetzt?«, das mit mehreren Bonustracks auf insgesamt 21 Songs aufgestockt wurde, kann man sich getrost eine wunderbare Autokassette machen. Für mich ideal, wenn ich bald von Tanger aus, entlang der Küste, ins spanische Ceuta fahre.

Aber wo bleibt die Hamburger Schule, Einordnung, Bedeutung, Stellenwert? Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Vielleicht soviel: Huah wurde im »3 000 Seelendorf« Dithmarschen gegründet, auf dem Land also, woher viele andere Musiker aus Hamburger Bands auch stammen. Mit Schule hat Huah wenig zu tun. Man könnte sagen, die erste Platte von 1990 zeigt die stilistische Vielfalt der Hamburger Musikszene. Aber das sind Plattitüden.

Zurück in die Gegenwart und zu den wichtigeren Dingen: Im CD-Laden von Maher in Beirut gibt es jetzt Huah. Soviel ich weiß, hat er bisher zwei Kopien davon verkauft. Ich nehme an, Knarf Rellöm und seine ehemalige Crew werden nichts dagegen haben.

Huah: Huah! – Was machen Huah jetzt? (L’Age d’Or)